Bossert, Gustav 

Andere Namensformen:
  • Gustav d.Ä.
Geburtsdatum/-ort: 21.10.1841;  Täbingen (bei Rottweil)
Sterbedatum/-ort: 29.11.1925;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Pfarrer, Landes- und Landeskirchenhistoriker
Kurzbiografie: 1846–1851 Volksschule in Großsachsenheim
1851–1855 Lateinschule in Schorndorf
1855 Hospes im Seminar Maulbronn
1856–1860 Seminar Schöntal
1860–1864 Studium der Theologie als Stiftler in Tübingen
1864 Erste theologische Dienstprüfung
1864 Okt.–1866 Mai Vikar in Dürrmenz
1866 Mai–Okt. Studienreise nach Norddeutschland
1866 Nov.–1867 Mai Vikar in Dürrmenz
1867 Mai–1869 Okt. Repetent am Kgl. Pensionat in Heilbronn
1869 April Zweite theologische Dienstprüfung
1869–1888 Pfarrer in Bächlingen (bei Langenburg)
1888–1907 in Nabern (bei Kirchheim u. T.)
1907 pensioniert, lebte seitdem in Stuttgart
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 27.5.1870 Luise, geb. Donandt (1846–1931)
Eltern: Vater: Gottlob Bossert, Pfarrer
Mutter: Sofie, geb. Palm
Geschwister: Albert Bossert (1838–1871), Apotheker in Endersbach
Kinder: 10:
Maria (1874–1959), Krankenschwester, Klarisse;
Friederike (gestorben 1876);
Gottlob Ferdinand (1877–1878);
Anna (geboren 1878), verh. mit Karl Walcker, Buchhändler in Stuttgart;
Dorothea (geboren 1880);
Gustav (1882–1948), Pfarrer, verh. Frieda, geb. Raithelhuber;
Helene (1883–1986) verh. Wilhelm Gundert (1880–1971), Missionar und Lehrer in Japan, Ostasienwissenschaftler, Prof. der Japanologie in Hamburg;
Johannes (1886, gefallen 1914), Pfarrverweser;
Leopold (1889, gefallen 1915) stud. math.;
Luise (geboren 1892), verh. Pfarrer Albert Herzog
GND-ID: GND/119207338

Biografie: Hermann Ehmer (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 26-28

Der Familientradition folgend – der Vater und die Vorväter bis zurück auf den Anfang des 18. Jahrhunderts waren Pfarrer gewesen – machte Bossert den Ausbildungsgang des württembergischen Theologen durch das Seminar Schöntal und das Tübinger Stift. Auf seiner Studienreise besuchte er u. a. Berlin; in Bremen lernte er seine zukünftige Frau, Tochter des Senators Dr. Ferdinand Donandt, kennen.
Bosserts wissenschaftliche Neigung hatte zunächst dem Hebräischen gegolten; als Pfarrer im hohenlohischen Bächlingen erkannte er aber die Bedeutung der kirchlichen Orts- und Regionalgeschichte für die pfarramtliche Praxis. Seit 1873 wandte er sich mehr und mehr geschichtlichen Forschungen zu. Er trat in den Historischen Verein für das Württembergische Franken ein und beteiligte sich an dessen Veröffentlichungen.
Seitens der akademischen Geschichtswissenschaft wurde den historischen Vereinen damals vorgehalten, zu wenig für die Erschließung des Materials für orts- und regionalgeschichtliche Forschungen zu tun. Bossert hingegen warb für eine Beteiligung der Universitätshistoriker an der Arbeit der Vereine. Diese wissenschaftsorganisatorische Frage fand dann 1891 eine Antwort in der Gründung der Kommission für württembergische Landesgeschichte, die von Gustav Bossert nach dem Vorbild anderer deutscher Staaten maßgeblich angeregt und von dem Tübinger Historiker Dietrich Schäfer nachdrücklich befürwortet worden war. Bossert ist Mitgründer der Kommission, der er von Anfang an bis zu seinem Tode angehörte.
Bossert hatte 1883 Drei »pia desideria« für die württembergische Geschichtsforschung veröffentlicht. Mit Rücksicht auf seinen angegriffenen Gesundheitszustand nannte er diese Schrift ein „Testament“ und forderte 1. Die Veröffentlichung von »Fontes rerum wirtembergicarum«, gesammelt durch eine vom Kultminister zu berufende Kommission von württembergischen Gelehrten, Archivaren, Bibliothekaren usw., 2. die Fortsetzung des Württembergischen Urkundenbuchs, zunächst für die Zeit 1250 – 1313; von da an in Regestenform, 3. die Durchforschung der württembergischen Kirchenbücher für die Zeit bis 1650 für die Landes- und Ortsgeschichte und deren Katalogisierung bei einer zentralen Stelle.
Für Nummer 1 der Blätter für Württembergische Kirchengeschichte (1886), die dann für zehn Jahrgänge als monatliche Beilage zum Evangelischen Kirchen- und Schulblatt für Württemberg erschien, schrieb Bossert den programmatischen Artikel »Was wir wollen«, in dem er Zweck und Aufgaben der Landeskirchengeschichte darlegte. Das neue Organ sollte sich nicht nur an Theologen, sondern auch an den gebildeten Laien wenden und die Anhänglichkeit an die heimische Kirche fördern. Das Arbeitsfeld der kirchlichen Geschichtsschreibung, für die dieselben methodischen Regeln wie für die Profangeschichte gelten sollten, erstreckte sich von der Christianisierung bis zur Gegenwart. Sie sollte auf dem Boden der evangelischen Kirche stehen, aber unparteiisch und unbedingter Wahrheit verpflichtet sein.
Für Jahrzehnte blieb Bossert durch seine umfang- und ideenreichen Forschungen die maßgebende Persönlichkeit auf dem Gebiet der württembergischen Kirchengeschichte und der allgemeinen Landesgeschichte. Seine Forschungsschwerpunkte waren das frühe Mittelalter, die Zeit der Christianisierung und das Reformationsjahrhundert. Auf allen diesen Gebieten hat er Bahnbrechendes geleistet.
Seine Forschungen flossen zunächst zusammen in die 1893 erschienene, groß angelegte »Württembergische Kirchengeschichte«, in der Bossert das frühe und hohe Mittelalter und die Reformation bis 1552 behandelt hat. Die übrigen Zeitabschnitte wurden von Pfarrerskollegen aus dem Mitarbeiterkreis der Blätter für Württembergische Kirchengeschichte übernommen, von Friedrich Keidel (1851 – 1938), Julius Hartmann (1836 – 1916) und Christoph Kolb (1847 – 1928). Nach dieser gelungenen ersten und umfassenden Darstellung der Landeskirchengeschichte machte sich das Bedürfnis eines größeren periodischen Publikationsorgans bemerkbar, denn die Blätter für Württembergische Kirchengeschichte traten 1897 erneut ins Leben, nunmehr als eigenständige Publikation. Bossert hat diese nicht nur durch zahlreiche eigene Veröffentlichungen bereichert, sondern vor allem anregend und fördernd auf die jüngeren Generationen gewirkt. Aufforderungen, einen entsprechenden Verein zu gründen, lehnte er jedoch ab, da er eine Pfarrstelle am Rande des Landes versah, und er der Meinung war, dass ein Verein nur von der Landeshauptstadt aus gegründet und geleitet werden könnte. Eine solche Gründung kam daher erst 1920 zustande, wobei Bossert die Leitung des Vereins jüngeren Kräften überließ.
Von Anfang an war Bossert die Durchforschung der Archive wichtig, die damals erst begannen, sich dem Publikum zu öffnen. Es gelang ihm, anfänglich Versendungen von Akten, etwa aus dem Nürnberger Kreisarchiv, nach Langenburg zu erreichen. Von der Kirchenbehörde wurde ihm schließlich auch für Archivreisen großzügig Urlaub gewährt. Darüber hinaus erhielt er vom Ministerium des Kirchen- und Schulwesens Zuschüsse für seine Forschungen.
Durch das Aufspüren neuer Quellen gelang es ihm, die Landeskirchengeschichte und damit auch die Landesgeschichte in den von ihm bearbeiteten Bereichen auf neue Grundlagen zu stellen. Durch seine Quellenveröffentlichungen, die sich von Württemberg betreffenden Auszügen aus den frühmittelalterlichen Quellen der Klöster Lorsch, Fulda und Weißenburg (1895) bis zu den posthum erschienenen Quellen zur Geschichte der Wiedertäufer im Herzogtum Württemberg (1930) erstrecken, hat er der Ortsgeschichtsforschung unmittelbar Material an die Hand gegeben.
Gerade weil er kein schulmäßiger Historiker war, gelang es ihm, damals wenig oder kaum beachtetes Schriftgut, wie etwa Rechnungen und Steuerlisten, für seine Forschungen fruchtbar zu machen. Daraus entstanden seine Arbeiten über die Hofkapelle und Hofkantorei der württembergischen Herzöge des 16. Jahrhunderts, ebenso wie die Arbeit über die Liebestätigkeit der württembergischen Kirche bis zum Dreißigjährigen Krieg und die Zusammenstellung der württembergischen Kirchendiener bis 1556. Selbst da, wo die Archive schweigen mussten, etwa hinsichtlich des Vorgangs der Christianisierung, wies Bossert einen Weg, indem er die Patrozinienforschung für Württemberg fruchtbar machte und den Begriff der „Urkirchen“ in die Forschung einführte.
Bosserts Arbeiten gingen somit vielfach von archivalischen Funden aus, anderes entstand als Einspruch gegen die Lehrmeinungen anderer, wie etwa Janssens Geschichte des deutschen Volkes, der er mit Arbeit an den Quellen entgegnete. Durch seine daraus entstandene Geschichte des Interims (1895) wurde Bossert auf die Reformationsgeschichte gewiesen. Seine besondere Aufmerksamkeit galt hier der Täufergeschichte, wobei es ihm gelang, das Anliegen dieser Dissidenten angemessen zu würdigen.
Mehr und mehr entstanden Bosserts Arbeiten aus der Auswertung ganzer Archivbestände, auch solcher, die – wie das Innsbrucker Archiv – für die württembergische Landesgeschichte noch kaum herangezogen worden waren. Ergebnis dieser Forschungen waren jedoch weniger Gesamtdarstellungen als vielmehr eine große Zahl von Aufsätzen zur Geschichte einzelner Orte und Personen. Dabei blieb Bossert nie nur auf dem Feld der Kirchengeschichte, sondern hat sich stets auch zur allgemeinen Landesgeschichte geäußert. Er arbeitete auch an der Landesbeschreibung mit, verfasste Beiträge für die Oberamtsbeschreibungen Künzelsau (1883) und Crailsheim (1884); auch an der zweiten Bearbeitung des Königreich Württemberg (1884) hat er mitgearbeitet.
Die von seinem gleichnamigen Sohn veröffentlichte Bossert-Bibliographie verzeichnet 801 Titel, dazu 400 Rezensionen. Die sachthematische Gliederung dieser Bibliographie lässt die Forschungsschwerpunkte erkennen, desgleichen die Vielzahl der Zeitschriften aus dem südwestdeutschen Raum, aber auch überregionaler, wie das Archiv für Reformationsgeschichte, in denen er publiziert hat. Darüber hinaus verfasste er Artikel für die Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, die Allgemeine Deutsche Biographie, das Mennonitische Lexikon und andere.
Bossert war nicht nur Geschichtsforscher, sondern mit ganzem Herzen Pfarrer, der sich seiner Gemeinde in allen Belangen annahm. Er ergriff die Feder auch für aktuelle kirchliche, schulische und soziale Belange, wie entsprechende Zeitungsartikel, etwa im Schwäbischen Merkur belegen.
In der Bächlinger Zeit, aber auch später noch, machten ihm gesundheitliche Probleme zu schaffen, die mehrere Kuraufenthalte in der Schweiz notwendig machten. Nachdem er zehn Jahre lang in Bächlingen gewesen war, begann er, sich auf andere Stellen zu bewerben. Der Wechsel nach Nabern glückte allerdings erst 1888, so dass er fast zwei Jahrzehnte trotz wachsender Familie auf einer Anfängerstelle saß, die gehaltsmässig gering dotiert war. Die kleine Gemeinde Nabern mit 456 Seelen (1887) bot Bossert neben einer besseren Besoldung mehr Zeit für seine Forschungen. Seit 1901 war er jedoch aus gesundheitlichen Gründen genötigt, einen ständigen Vikar zu halten, bis er 1907 in den tätigen Ruhestand trat.
Dem „Landpfarrer“, als der er sich stets verstand, wurden alsbald Ehrungen zuteil. Die Philosophische Fakultät der Universität Tübingen verlieh ihm 1892 den Ehrendoktor, von der Universität Leipzig erhielt er 1897 den theologischen Ehrendoktor für seine Verdienste um die Reformationsgeschichte, König Wilhelm II. verlieh ihm 1906 die Große goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft. Daneben ernannte ihn eine Anzahl wissenschaftlicher Vereinigungen zum Ehrenmitglied oder korrespondierenden Mitglied.
Quellen: Personalakte Gustav Bossert: LKAS A 127, 390; Sammlung Bossert: LKAS D 18 (Belegexemplare von Bosserts Schriften, Materialsammlungen; NL Gustav Bossert d. J.).
Werke: (Auswahl) Luther und Württemberg, in: Theologische Studien aus Württemberg 4 (1883) 225-302; Württemberg und Janssen (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 5), 1884; Die Urpfarreien in Württemberg, in: BWKG 1 (1886) – 7 (1892); Rottenburg am Neckar und die Herrschaft Hohenberg im Reformationszeitalter, in: BWKG 1 (1886) – 10 (1895); Die Täuferbewegung in der Herrschaft Hohenberg, in: BWKG 4 (1889) – 7 (1892); Die Visitationsprotokolle der Diözese Konstanz von 1574 – 1581, in: BWKG 6 (1891) Württembergische Kirchengeschichte, 1893, 1-181, 250-380; Das Interim in Württemberg (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 46/47), 1895; Zur Charakteristik von Johannes Brenz, in: BWKG 3 (1899), 127-142; Die Liebestätigkeit der evangelischen Kirche Württembergs von der Zeit des Herzogs Christoph bis 1650, in: Württ. Jbb. 1905 – 1906; Die württembergischen Kirchendiener bis 1556, in: BWKG 9 (1905), 1-42; Acta in synodo Sindelfingensi, 24. Juni 1544, in: BWKG 12 (1908), 1-31; Beiträge zur badisch-pfälzischen Reformationsgeschichte, in: ZGO NF 17 (1912) – 20 (1915); Augustin Bader von Augsburg, der Prophet und König, und seine Genossen, in: Archiv für Reformationsgeschichte 10 (1912) – 11 (1914); Zur Geschichte Stuttgarts in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, in: Württ. Jbb. 1914, 138-243; BWKG 25 (1921) = FS zum 80. Geburtstag von Gustav Bossert; Quellen zur Geschichte der Wiedertäufer. Bd. 1: Herzogtum Württemberg (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 13,1), 1930.
Nachweis: Bildnachweise: Porträt in: Gustav Bossert d. J., in: ZWLG 6 (1942).

Literatur: Gustav Bossert d. J., (Bearb.), Bossert-Bibliographie. Verzeichnis der Schriften von † D. Dr. Gustav Bossert (1841 – 1925), 1932; Karl Schottenloher, Bibliographie zur deutschen Geschichte im Zeitalter der Glaubensspaltung, Bd. 6, 66-69; 7, 552.
J[ulius] Rauscher, D. Dr. Gustav Bossert zum 80. Geburtstag, in: BWKG 25 (1921), 85 (mit Porträt); ders., Zum Gedächtnis D. Dr. Gustav Bosserts, in: BWKG 30 (1926), 1; Julius Rauscher, In memoriam Gustav Bosserts, in: Kirchlicher Anzeiger für Württemberg 34 (1925), 210 f.; [Heinrich]Hermelink, [Nachruf Gustav Bossert], in: ZSRG Kan 46 (1926), 606; Blätter der Erinnerung an Gustav Bossert, D. Theol., Dr. phil., Pfarrer, [o. O. 1925]; G[ebhard] Mehring, Gustav Bossert. Versuch eines Überblicks über sein Schaffen, in: Württembergisch Franken NF 14 (1927), 5-13; RGG2, Bd. 1 (1927), 1206 f.; Gustav Bossert d. J., Die Arbeitsweise des Geschichtsforschers D. Dr. Gustav Bossert, in: ZWLG 6 (1942), 194-215; NDB 2, 484 f.; BBKL 1 (1990), 713; Biographisches Handbuch der württ. Landessynode (2005), 99 f; Territorialkirchengeschichte. Handbuch für Landeskirchen– und Diözesangeschichte (2005), 186.
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