Bruns, Viktor 

Geburtsdatum/-ort: 30.12.1884;  Tübingen
Sterbedatum/-ort: 18.09.1943; Königsberg in Preußen
Beruf/Funktion:
  • Völkerrechtler
Kurzbiografie: Gymnasium in Tübingen, Reifezeugnis1903
1905-1910 Studium in Tübingen (2 Semester), Leipzig (2 Semester), Tübingen (5 Semester)
1910 3. Nov. Promotion zum Dr. iur. in Tübingen mit Dissertation zur Besitzlehre des Bürgerlichen Gesetzbuchs bei Max Rümelin
1910-1912 außerordentlicher Prof. für römische Rechtsgeschichte Universität Genf
1912 außerordentlicher Prof. Universität Berlin
1914-1918 Zivilreferent beim stellvertretenden Generalkommando des XIII. Armeekorps in Stuttgart
1920 ordentlicher Prof. Universität Berlin
1924 Direktor des Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht
1927-1931 Deutscher Richter am deutsch-polnischen und am deutsch-tschechoslowakischen Gemischten Schiedsgericht
1928, 1931/32 Nationaler Richter für Danzig am ständigen Gerichtshof im Haag
1931 Staatsvertreter im Verfahren wegen der deutsch-österreichischen Zollunion
1933 Staatsvertreter im Prozess wegen der Anwendung der polnischen Agrarreform auf die deutsche Minderheit
1937 Staatsvertreter im deutsch-litauischen Schiedsprozess über die Staatsangehörigkeit der Memeldeutschen
1942 Vorsitzender des bulgarisch-rumänischen Schiedsgerichts in Wien
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften; Mitglied der Akademie für deutsches Recht; Mitglied der Académie diplomatique internationale; Mitglied des Institut international de Droit public; Mitglied des Curatorium del’ Académie de Droit international im Haag; korrespondierendes Mitglied der Real Academia de Ciencias Morales y Politicas
Verheiratet: 1915 (Berlin-Charlottenburg) Marie, geb. von Bode, Tochter des Kunsthistorikers Wilhelm von Bode (1845-1929), Direktor der Berliner Museen
Eltern: Vater: Paul Eduard Bruns (1846-1916), Prof. für Chirurgie in Tübingen
Mutter: Marie, geb. von Weizsäcker (1853-1926), Tochter des Theologen und Kanzlers der Universität Tübingen Karl von Weizsäcker (1822-1899)
Geschwister: Oskar (1878-1946), Prof. für Innere Medizin in Königsberg in Preußen
GND-ID: GND/120075075

Biografie: Karl Heinz Burmeister (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 37-39

Der Zivilrechtler und Romanist Bruns fand erst nachträglich über das Staatsrecht seinen Weg zum Völkerrecht, auf dem er zu einer bedeutenden Autorität wurde. Bruns begann seine steile Karriere, als er mit 26 Jahren ohne ein Habilitationsverfahren zum außerordentlichen Professor an die Universität Genf berufen wurde; er war damit in der Folge von drei Generationen der dritte Hochschullehrer in der Familie; auch mütterlicherseits entstammte er einer bekannten Gelehrtenfamilie. An seinem ersten Lehrstuhl in Genf vertrat er die Römische Rechtsgeschichte; aber auch noch in Berlin hielt er anfangs Vorlesungen über römisches und bürgerliches Recht und prüfte diese Fächer auch in der Kommission für die erste juristische Staatsprüfung, um sich dann aber mehr und mehr dem Staatsrecht und dem Völkerrecht zuzuwenden.
Nachdem Bruns 1912 als außerordentlicher Professor nach Berlin berufen war und zunächst weiter im Zivilrecht gelesen hatte, rückte in der Zeit des Umbruchs 1918 bis 1922 zunehmend das Staatsrecht in sein Blickfeld, insbesondere die kommende deutsche Verfassung, wobei ihn die Studie über die „Sondervertretung deutscher Bundesstaaten bei den Friedensverhandlungen“ (1918) an das Völkerrecht heranführte. Bruns befasste sich damals auch intensiv mit der württembergischen Geschichte und dem württembergischen Recht. So gab er 1916 zum 25. Regierungsjubiläum des Königs Wilhelm II., diesem „in tiefster Ehrfurcht gewidmet“, einen monumentalen Sammelband heraus. Ziel des Bandes war keine wissenschaftliche Darstellung; vielmehr wollte er ein Volksbuch, ein Lesebuch für Land und Leute schaffen. Es sollte dem König die warme Verehrung aller Schwaben für Württembergs geliebten Herrscher unter Beweis stellen und in schwieriger Zeit zeigen, „warum wir Schwaben furchtlos in die Zukunft blicken und treu zu unserem König stehen!“. Das „Württemberger Buch“ war trotz der großen Auflage schon nach wenigen Tagen vergriffen, sodass noch im gleichen Jahr eine (unveränderte) Neuauflage nötig wurde. 1919 meldete sich Bruns zur neuen württembergischen Verfassung zu Wort.
Nachdem er 1920 zum Ordinarius aufgestiegen war, gelang es dem organisatorisch begabten Bruns 1924, trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage in Deutschland, seine Vision eines Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zu verwirklichen, für das es bisher kein Vorbild gab. Dieses im Rahmen der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften arbeitende Institut, das bald über die Grenzen Deutschlands bekannt und zum Vorbild für ähnliche Institute wurde, darf als sein eigentliches Lebenswerk gelten. Es bildete sich hier ein sich ständig erweiternder Forschungskreis von Schülern und Mitarbeitern, der weltweite Beachtung fand. Eine Fachbibliothek wurde aufgebaut, wie es keine zweite in Deutschland gab. Bruns gründete mit der seit 1927 erscheinenden „Zeitschrift für ausländisches öffentliches und Völkerrecht“ und den „Beiträgen zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht“ (26 Hefte 1927/40) führende Fachorgane, in denen die Forschungsergebnisse seines Instituts veröffentlicht wurden. Zu den großen Leistungen des Instituts gehören die seit 1931 in den vielbändigen „Fontes Juris Gentium“ gesammelten diplomatischen Aktenstücke und völkerrechtlichen Entscheidungen sowie die drei Bände der „Politischen Verträge“ (1936/42) und zehn Bände „Pressgesetze des Erdballs“. Das Institut verfolgte unter der Leitung Bruns' mehrere Ziele. In erster Linie diente es der Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses, wie denn auch für Bruns sein Lehramt stets eine zentrale Bedeutung hatte. Das Institut sollte aber auch dazu dienen, durch Beratung und Unterstützung eine auf dem Völkerrecht beruhende Staatspraxis zu verwirklichen, es sollte wissenschaftliche Hilfestellung bei den internationalen Schiedsprozessen leisten und es sollte den Zentralbehörden als Gutachter- und Auskunftsstelle dienen. Es sollte durch besonders geschulte und befähigte Mitarbeiter das für Theorie und Praxis wichtige völkerrechtliche Quellenmaterial nach einem einheitlichen Plan und System durchforschen und die darin enthaltenen allgemeinen Grundsätze, Einzelregeln und Einzelentscheidungen in systematischer Form der allgemeinen Benutzung zur Verfügung stellen.
Bruns' Wirken in der Zwischenkriegszeit ließ ihn an zahlreichen Schnittstellen der Politik nicht nur wissenschaftlich Stellung nehmen, sondern auch aktiv gestaltend tätig werden: Die Verfassungsfrage nach dem Umbruch, die Friedensverhandlungen, der Völkerbund, der Ständige Gerichtshof im Haag, der deutsch-österreichische Zollvertrag, die Danziger Frage, die Saarabstimmung, die Sudetenfrage, der Handelskrieg und die Seesperre am Beginn des Zweiten Weltkriegs. Bruns war auch 1929/31 Mitglied der Deutschen Kommission für geistige Zusammenarbeit, die zur Vertretung der deutschen kulturellen Interessen bei der Internationalen Kommission für geistige Zusammenarbeit in Genf und beim Internationalen Institut für geistige Zusammenarbeit in Paris bestellt worden war. Von grundsätzlicher Bedeutung blieb seine Schrift „Völkerrecht als Rechtsordnung“, die nach dem Krieg zwei Neuauflagen erlebte (1956, 1962).
Bruns war ein geschätzter Vortragsredner. Viele seiner Aufsätze und Monographien sind aus Vorträgen hervorgegangen, die er im In- und Ausland gehalten hat, u. a. an der Académie de droit international im Haag, am Johnsoninstitut in Stockholm, an der Akademie für deutsches Recht, an der er lange Zeit den Vorsitz im Ausschuss für Völkerrecht innehatte, oder bei der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften.
In seiner internationalen Tätigkeit in den vielen Kommissionen, Schiedsgerichten oder Gerichtshöfen setzte er sich immer wieder für die Gleichberechtigung Deutschlands ein und stellte dabei, wie in allen seinen Arbeiten, die hohe Achtung vor der Heiligkeit der Rechtsidee in den Vordergrund. Wenn Bruns mit den Mitteln des Rechts gegen den Versailler Vertrag kämpfte und seinem Vaterland als Berater in Völkerrechtsfragen politisch dienen wollte, wenn wir ihn auch nach 1933 an vorderster Front der Außenpolitik streiten sehen, etwa mit seinen gegen England gerichteten Schriften über den britischen Wirtschaftskrieg und das Seekriegsrecht (1940), so stellt sich die Frage nach seiner Einstellung gegenüber dem Nationalsozialismus. Konnte sich Bruns, der ein führendes Mitglied der Akademie für Deutsches Recht war, diesen Einflüssen ganz entziehen? Bruns wurde zwar nie Mitglied der NSDAP, musste aber wohl manche Dinge schweigend hinnehmen, da er gewillt war, seine Arbeit auf hohem wissenschaftlichen Standard fortzuführen und das Institut von einer nationalsozialistischen Kontrolle frei zu halten.
Bruns, der die französische Sprache fließend beherrschte, brachte alle Voraussetzungen für einen hoch qualifizierten Diplomaten mit. Er war auch Jahre hindurch Mitglied des Prüfungsausschusses für die diplomatisch-konsularische Prüfung. Bruns verkörperte jene Grundtugenden, die er 1933 in seinem Stockholmer Vortrag vom internationalen Richter forderte: Takt, Weisheit, Gerechtigkeit und Geduld. Er war eine umgängliche Persönlichkeit, er verstand es, mit Menschen umzugehen, er war ein liebenswerter Gesellschafter und zeichnete sich durch einen feinen Humor aus. Neben seinen wissenschaftlichen Arbeiten verfolgte Bruns auch künstlerische Interessen. Er vereinigte mit der Weite seines Gesichtskreises auch die Züge eines echten Schwaben. Bruns starb nach längerer, tückischer Krankheit als die in Wissenschaft und Praxis führende deutsche Autorität im Völkerrecht.
Werke: Besitzerwerb durch Interessenvertreter. Ein Beitrag zur Besitzlehre des Bürgerlichen Gesetzbuches, 1910; Württemberg unter der Regierung König Wilhelms II., 1916; Sondervertretung deutscher Bundesstaaten bei den Friedensverhandlungen, 1918; Württembergs künftige Verfassung, 1919; Gutachten über die Frage der Ernennung der Ersatzrichter zum ungarisch-rumänischen Schiedsgericht durch den Völkerbundsrat, 1928; Völkerrecht als Rechtsordnung, in: Zs. für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 1/3 (1929/33, auch 1956, 1962); Memorandum relating to the proposed Constitution of a federal union of all-India, 1930; Régime douanier entre l’Allemagne et l’Autriche, Leiden 1931; Der internationale Schutz des Privateigentums im Frieden, in: Mitt. der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 12 (1933); Germany’s equality of rights as legal problem, 1933; Deutschlands Gleichberechtigung als Rechtsproblem (Vortrag an der Akademie für Deutsches Recht vom 5. 11. 1933, Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 21), 1934; Völkerrecht und Politik, 1934; Die Volksabstimmung im Saargebiet, 1934; Saarabstimmung und Völkerbund, 1934; Der internationale Richter, 1934; Die politische Bedeutung des Völkerrechts, 1935; The political significance of international Law, 1936; Bund oder Bündnis? Zur Reform des Völkerbunds, in: Zs. für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 7 (1937); Deutschland und der Völkerbund (25 Jahre Kaiser Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Bd. 3), 1937; La Cour permanente de Justice internationale, 1937; Die Tschechoslowakei auf der Pariser Friedenskonferenz, in: Zs. für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 7/8 (1937/38); Die Schuld am „Frieden“ und das deutsche Recht am Sudetenland, in: Jb. der Kaiser Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (1939); Grenzen der Schiedsgerichtsbarkeit, in: Zs. für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 9 (1939); Der britische Handelskrieg und die Neutralen, in: ebda. 10 (1940); Der britische Wirtschaftskrieg und das geltende Seekriegsrecht, in: ebda. 10 (1940); Die britische Seesperre und die Neutralen, in: ebda. 11 (1942).
Nachweis: Bildnachweise: Académie de droit international, Recueil des Cours 62 (1937), 548.

Literatur: Kürschner, 1925, 1195 f.; 1931, 1, 339 f., 1940/41,1, 214; Académie de droit international, Recueil des Cours 62 (1937), 548 f.; H. Triepel, in: Zs. für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 11 (1942), 324a-324d; F. Berber, in: Zs. der Akademie für Deutsches Recht 10 (1943), 217; E. Borchard, in: American Journal of International Law 37 (1943), 658-660; C. Bilfinger, in: Forschungen und Fortschritte 20 (1944), 47 f.; ders., in: NDB 2, 687; J. Asen, Gesamtverzeichnis des Lehrkörpers der Univ. Berlin, 1, 1955, 26; P.-E. Martin, Histoire de l’Université de Genève 4, 1958, 348.
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