Bensemann, Walt(h)er 

Geburtsdatum/-ort: 1873-01-13; Berlin
Sterbedatum/-ort: 1934-11-12; Montreux, Schweiz
Beruf/Funktion:
  • Fußballjournalist und Mitgründer des Deutschen Fußballbundes
Kurzbiografie: 1883–1889 Englische Privatschule in Montreux (Schweiz)
1889–1892 Übersiedlung nach Karlsruhe, Großherzogl. Gymnasium bis Abitur; „Internationaler Footballclub Karlsruhe“ 1889 mitgegründet
1892–1896 Studium d. Sprach- u. Literaturwissenschaften in Straßburg (bis 1893), Freiburg im Br. (1894 –1895) u. Marburg (bis 1896), kein Abschluss
1893 Organisator des ersten internationalen Fußballspiels einer Auswahl aus Süddeutschland gegen Lausanne
1897 Mitbegründer des „Süddeutschen Fußball-Verbands“
1900 Delegierter für die Fußballkreise Mannheim u. Karlsruhe auf dem Gründungskongress des Fußball-Bundes (DFB) in Leipzig; Lehrer in Lausanne
1901–1914 Lehrer an verschiedenen Schulen in England
1915–1917 Lehrer am Institut Adam in Würzburg
1917 Lehrer am Ev. Pädagogium bei Godesberg
1919–1920 Redakteur d. Zeitschrift „Fußball“ in München
1920 Gründer d. Fußballzeitschrift „Der Kicker“
1931 Mehrwöchiger Aufenthalt im Sanatorium
1933 Ausreise in die Schweiz
1934 Gast bei d. Fußballweltmeisterschaft in Italien
Weitere Angaben zur Person: Religion: jüd., später ev.
Verheiratet: unverheiratet
Eltern: Vater: Berthold (gest. 1899), Kaufmann u. Bankier.
Mutter: Eugenie, geb. Markwald (1851–1905).
Geschwister: keine
Kinder: keine
GND-ID: GND/124624227

Biografie: Karl-Heinz Schwarz-Pich (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 18-21

Seinen Ausgangspunkt nahm der Fußballsport in England Mitte der 1830er Jahre. Erste Bemühungen, das Fußballspiel in Deutschland heimisch zu machen, lassen sich für das letzte Drittel des 19. Jh.s nachweisen. Hier setzt Bensemanns herausragende Leistung für die Entwicklung dieser Sportart in Deutschland ein, die bereits in den 1880er Jahren beginnt. Bis dahin war Fußball nur an wenigen Orten in Deutschland im Umfeld von höheren Schulen gespielt worden. Jetzt vollzog sich der Übergang zum organisierten Spiel.
Bensemanns leidenschaftliches Engagement für den Fußballsport entspricht der Geisteshaltung reformorientierter junger Intellektueller in Deutschland, was einer Reaktion auf die negativen Begleiterscheinungen des Fabrikzeitalters entspricht, seiner sozialen, vor allem aber seiner gesundheitsschädigenden Folgeerscheinungen. „Das Leben in Industrie und Großstädten bedrohte mehr und mehr die körperliche Tüchtigkeit und beschleunigte die Entartung“, stellte Ferdinand Hueppe (1853–1938), der erste Vorsitzende des DFB, fest. Vom „Sportspiel“ versprach man sich positive Auswirkungen, sowohl auf den gesundheitlichen Zustand als auch auf das Individual- und Sozialverhalten. Darüber hinaus aber ging es Pionieren der Spiel- und Sportbewegung wie Bensemann auch darum, Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft über die gemeinsame Ausübung des Sports zusammenzuführen und so einen Beitrag zum Abbau sozialer und politischer Spannungen zu leisten: „Der Sport ist eine Religion, ist vielleicht das einzig wahre Verbindungsmittel der Völker und Klassen“, war Bensemanns Ansicht.
In Montreux hatte Bensemann, einziges Kind jüdischer Eltern, bereits als 14-jähriger zu den Aktivisten bei der Gründung des ersten Fußballvereins gehört, des FC Montreux. In diesem Verein betätigte er sich sportlich und als Funktionär (Sekretär). Um ein deutsches Abitur und damit die Hochschulreife zu erlangen, zog er dann von Montreux nach Karlsruhe, wo er 1889, gleich nach seiner Ankunft, den „International Footballclub Karlsruhe“ (IFC) gründete, den ersten Fußballverein in Süddeutschland, der nach den Regeln des englischen Fußballverbandes („Football Association“) spielte. Später wurden diese Regeln zum internationalen Standard. Diese Aktivität setzte Bensemann auch später fort: wo immer er sich aufhielt, gründete er Fußballvereine, so z. B. in Freiburg, Heidelberg, Mannheim, Frankfurt, Gießen und Baden-Baden. In München gehörte Bensemann zu den Mitbegründern der Fußballabteilung des Münchner Turn- und Sportvereins (MTV), dem Vorläufer des FC Bayern München.
Nach dem Abitur begann Bensemann ein Studium der Sprach- und Literaturwissenschaften, zunächst in Straßburg, später in Freiburg und Marburg. In Freiburg wurde er wegen des Vorwurfs „der Verführung Minderjähriger zum Fußballspiel und zum Alkoholkonsum“ von der Universität verwiesen. Bensemann empfand die Vorwürfe als ungerecht und bemühte sich um eine Revidierung, worin er von seinen Eltern unterstützt wurde. Das Studium, so will es scheinen, war bei Bensemann aber immer der eigentlichen Leidenschaft nachgeordnet. Den größeren Teil seiner Zeit investierte er in die Weiterentwicklung des Fußballspiels; er verließ die Universität dann auch ohne Abschluss.
Um einen geordneten Spielbetrieb mit Punktspielen und Meisterschaften auf Orts-, Kreis- und Landesebene aufziehen zu können, war es an der Zeit, Kreis- und Landesverbände zu bilden. Auch hierbei leistete Bensemann Pionierarbeit. Er war maßgeblich beteiligt, als am 17. Oktober 1897 in Anwesenheit von Vertretern von acht süddeutschen Vereinen aus Karlsruhe (3), Pforzheim, Heilbronn, Hanau, Frankfurt und Mannheim im Karlsruher Gasthaus „Landsknecht“ mit dem „Verband Süddeutscher Fußball-Vereine“ der erste Landesverband in Deutschland gegründet wurde.
Mit der Gründergeneration verstand Bensemann die Vereine ausdrücklich als „Volksvereine“, in denen sich alle sozialen Schichten der Bevölkerung begegneten. Deshalb gehörte politische und weltanschauliche Neutralität zu ihren Grundsätzen. Als sich später weltanschaulich und konfessionell ausgerichtete Sportverbände bzw. -vereine bildeten, lehnte Bensemann diese Entwicklung ab, allerdings ohne sie aktiv zu bekämpfen, ungeachtet der Tatsache, dass der Arbeitersport den DFB gezielt als „bürgerlich“ diffamierte.
Mit Beginn der 1890er Jahre tritt Bensemanns Bemühen zutage, vor allem internationale Sportbegegnungen im Fußball zu organisieren. Er sah darin ein Mittel zur Werbung für den Fußballsport und seine gesellschaftliche Anerkennung, aber auch zur Völkerverständigung. Nicht zuletzt aufgrund seiner großbürgerlich-jüdischen Herkunft war Bensemann in einer Zeit des extremer werdenden Nationalismus, der mit zunehmendem Antisemitismus einherging, für den friedlichen Umgang der Völker und Kulturen miteinander besonders sensibilisiert. In Karlsruhe organisierte er die erste internationale Begegnung zwischen einer repräsentativen Süddeutschen Auswahlmannschaft und einer Mannschaft aus Lausanne. Insgesamt soll Bensemann ca. 80 internationale Spiele realisiert haben, für deren Finanzierung er die Verantwortung übernahm und dabei nicht selten eigene Mittel zur Verfügung stellte. Als er 1899 begann, Spiele mit englischen Mannschaften zu organisieren, stieß er bei den Landesverbänden aber auf Widerstand, vor allem wegen der sportlichen Überlegenheit der Engländer. Als Bensemann trotzdem vier Spiele veranstaltete, wurde er für kurze Zeit aus dem Süddeutschen Fußballverband ausgeschlossen. An der Gründung des Deutschen Fußball-Bundes am 28. Januar 1900 in Leipzig war er aber wieder maßgeblich beteiligt. Unter den ca. 60 Delegierten vertrat er die Fußballkreise Mannheim und Karlsruhe, und auf seinen Vorschlag hin erhielt der Verband den Namen „Deutscher Fußball-Bund“ (DFB).
Im gleichen Jahr trat Bensemann seine erste Stellung als Internatspräfekt und Sportlehrer im Château de Lancy in Genf an. Ein Jahr später siedelte er nach England über und war dort die nächsten 13 Jahre als Lehrer für Deutsch, Französisch und Sport u. a. in Staffordshire, in Harrow, Bedfort, Cheltenham und Liverpool tätig. Bei Ausbruch des I. Weltkriegs hielt er sich in Deutschland auf, so dass ihm die geplante Rückkehr nach England versagt blieb. Vielleicht reifte damals bereits sein Plan für eine eigene Fußballzeitschrift, die dann 1920 mit dem „Kicker“ erstmals in Deutschland und in der Schweiz erschien. Bensemann, der als deren Herausgeber und Chefredakteur in Personalunion fungierte und auch den Vertrieb und die Anzeigen übernahm, hatte diesen Titel „Kicker“ gewählt, um den internationalen Charakter des Fußballsports zu unterstreichen.
Seine Leistungen als Sportjournalist zeigen, wie sich in Bensemann intellektueller Geist mit praktischem Verstand verbanden, vor allem aber mit nimmermüder Leidenschaft für den Fußball. Als Autor erwies er sich nachgerade als Schöngeist, dessen sicheres Stilgefühl auffällt, und seine Artikel im „Kicker“ stellen eine Verbindung von Nonchalance und hohem Maß an Sachkenntnis dar. Dies galt sowohl für allgemeine Fragen des Fußballs, z. B. Verbandsangelegenheiten, wie auch für seine Spielberichte, und mit seinen unnachahmlichen Glossen und Kolumnen begeisterte Bensemann die Leserschaft.
Zusammengenommen würden seine Beiträge mehrere Buchbände füllen. „Der Kicker“ ist in seinem Profil als herausragendes Werk Bensemanns anzusehen; er nimmt eine Sonderstellung innerhalb der deutschen Sportpresse ein.
Bensemann hatte auch einen nicht unerheblichen Anteil an der Karriere der beiden ersten Trainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft Otto Nerz (➝ V 213) und Seppl Herberger (➝ II 128). Als Herberger 1921 in eine Berufsspieleraffäre verwickelt war, die das Ende seiner Spielerkarriere hätte bedeuten können, trat Bensemann im „Kicker“ für die Begnadigung des „Sünders“ ein. Otto Nerz unterstützte er vermutlich, indem er dessen Englandaufenthalt im Sommer 1924, wo Nerz bei führenden Vereinen hospitierte, zum Teil über den „Kicker“ finanzierte. Die Erfahrungen, die er als junger Sportlehrer im Mutterland des Fußballs hatte sammeln können, waren später eine wichtige Voraussetzung für Nerz’ Berufung zum Trainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.
Bensemann galt als ausgesprochen kontaktfreudiger Mensch, Liebhaber guter Weine, Gourmet und großzügiger Gastgeber; seine Feiern waren berühmt. Anfang der 1930er Jahre zeigten sich dann erstmals Symptome seiner Herzerkrankung; ein Sanatoriumsaufenthalt brachte wenig Erfolg und auf Anraten der Ärzte beschloss Bensemann schließlich, seine Tätigkeit beim „Kicker“ aufzugeben. Dies geschah im Juli 1933. Er hatte Deutschland aber bereits im März 1933 verlassen und war in die Schweiz gereist, von wo er nicht mehr zurückkehrte. In der Literatur wird vermutet, dass sein Ausscheiden beim „Kicker“ unmittelbar auf Druck der Nationalsozialisten erfolgt sei, er selbst schrieb aber am 2. Juni 1933 aus der Schweiz, dass „weder die deutsche Regierung noch eine sonstige Behörde ihn zur Lösung seines Redaktionsverhältnisses angehalten oder veranlasst“, hätten. Dennoch scheint damit jeglicher Druck seitens der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen, besonders der SA
– während der Phase der NS-„Machtergreifung“ im Frühjahr 1933 durchaus gängige Praxis – keineswegs ausgeschlossen.
Nachdem das elterliche Erbe aufgebraucht war, verfügte Bensemann in der Schweiz nur noch über geringe finanzielle Mittel. Nach Angaben von Oskar Althausen (1919–2001), einem Mitglied der jüdischen Gemeinde Mannheim, wurde beim VfR Mannheim Geld gesammelt und Bensemann in Montreux übergeben; im Januar 1933 hatte der VfR aus Anlass seines 60. Geburtstags Bensemann zum Ehrenmitglied ernannt.
Im Mai und Juni 1934 konnte Bensemann noch die Fußballweltmeisterschaft in Italien besuchen, die zum Heimsieg Italiens wurde; Deutschland gewann den dritten Platz. Gegen Ende des Jahres verstarb Bensemann, vermutlich an Herzversagen. Obwohl in Deutschland die Nationalsozialisten an der Macht waren, ehrte der DFB den Toten in Montreux mit einem Kranz. Die Grabstelle existiert heute nicht mehr.
Quellen: Standesamt Berlin-Mitte, Geburtsurk. Bensemanns; UA Freiburg, Studentenakte Bensemann; UA Marburg, Studentenakte Bensemann; A des DFB, Frankfurt am M., Nachlass von Seppl Herberger; Nachlass von Otto Nerz bei Sohn Robert Nerz, Berlin; Bibliothek des Berlin-Brandenburgischen Fußballverbandes Berlin-Wannsee, Brief von Bensemann vom 2.6.1933 an „Herrn Kleinert“, zeitnah abgedruckt in: „Fußballwoche“.
Werke: (zus. mit Josef Bausenwein) Englische Sprech-Übungen für Anfänger, 1918; Französische Sprech-Übungen für Anfänger, 1918; Hg. u. Beiträge in: „Der Kicker“, Jgge. 1920–1933.
Nachweis: Bildnachweise: 25 Jahre DFB, 1925, 251; 60 Jahre Süddt. Fußballverband, 1957, zwischen 32 u. 33; 90 Jahre Karlsruher Fußballverein 1881–1971, 1980, 48 u. Bernd-M. Beyer, 2003, 16 Bilder zwischen 464 u. 465 (vgl. Literatur).

Literatur: Konrad Koch, Die Geschichte des Fußballsports im Altertum u. in d. Neuzeit, 1895; Ferdinand Hueppe, Über die Spielbewegung in Deutschland u. die Entstehung des Dt. Fußballbundes, in: DFB (Hg.), 25 Jahre DFB, 1925, 51–58; DFB (Hg.), 50 Jahre DFB, 1950; Carl Koppehel, Geschichte des Dt. Fußballbundes, 1954; Süddt. Fußballverband (Hg.), 60 Jahre Süddeutscher Fußball-Verband, 1957; DFB (Hg.), 75 Jahre DFB, 1975; Lothar Skorning, Fußball in Vergangenheit u. Gegenwart, 1976; KFV (Hg.), 90 Jahre Karlsruher Fußballverein, 1881–1971, 1980 (mit Bildnachweis); 75 Jahre „Der Kicker“, 1995 [mit Kurzbiogr. Bensemanns]; DFB (Hg.), 100 Jahre DFB, 2000; Karl-Heinz Schwarz-Pich, Der DFB im Dritten Reich. Einer Legende auf der Spur, 2000; Bernd-M. Beyer, Der Mann, d. den Fußball nach Deutschland brachte. Das Leben des Walter Bensemann, ein biogr. Roman [mit ausführl. Belegen im Anhang], 2003 (mit Bildnachweis).
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)