Bravmann, Max 

Andere Namensformen:
  • seit 1934 Meïr Mosche
Geburtsdatum/-ort: 03.07.1909;  Eppingen
Sterbedatum/-ort: 16.09.1977; New York City
Beruf/Funktion:
  • Orientalist und Sprachwissenschaftler
Kurzbiografie: 1914–1923 III 24 Volkschule u. Realschule Eppingen
1923–1927 Oberrealschule Heilbronn bis Abitur
1927–1932 Studium d. Assyriologie, Philosophie, Semitischen Philologie und des Persischen an d. Univ. Breslau; Rabbinerausbildung am Jüdisch-Theolog. Seminar Breslau; Promotion bei Carl Brockelmann: „Materialien u. Untersuchungen zu den phonetischen Lehren d. Araber“
1932–1933 Volontärassistent bei Julius Lewy am Seminar für orientalische Philologie an d. Univ. Gießen bis Entlassung
1933 Emigration nach Paris
1934–1951 Emigration ins Britische Mandatsgebiet Palästina u. Forschungsassistent u. Lehrtätigkeit an d. Hebräischen Univ. Jerusalem
1951 Emigration in die USA; wohnh. in New York City
1952–1977 Teillehrauftrag, auch außerordentlicher Professor für Arabisch u. Semitistik am Dropsie College, später festanstangest. Bibliothekar u. Unterricht an d. Columbia University New York
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Verheiratet: Unverheiratet
Eltern: Vater: Samuel (1880–1958), Religionslehrer u. Chasan (Kantor)
Mutter: Regina, geb. Ettlinger (1882–1945)
Geschwister: 3; Siegfried (1905–1971), Elsa (1907–1977) u. Ruth (1914–2009)
Kinder: keine
GND-ID: GND/125277830

Biografie: Michael Heitz (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 6 (2016), 46-49

„Er war der Inbegriff eines zielstrebigen Energiebündels, der mehrmals in der Woche zum Schwimmen ging und schneller schlurfte als andere Menschen überhaupt in der Lage sind zu gehen. Für seine Kollegen in der Columbia Bibliothek, wo er über 25 Jahre lang arbeitete, war er der rätselhafte Mr. Bravmann. Für all die Vertrauten im Bereich der Semitischen Sprache und Literatur war er vermutlich der letzte große vergleichende Semitist“, (Greenstein, 1979, S. 1), so charakterisiert ihn der amerikanisch-israelische Sprach- und Bibelwissenschaftler.
Geboren als 3. Kind eines jüdischen Religionslehrers und Chasan wuchs Bravmann in einer religiösen Familie auf, die großen Wert auf die Einhaltung der jüdischen Feiertage und der jüdischen Speisegesetze legte. Mit dem Hinweis in seinem Lebenslauf „Ich bin Jude“ verdeutlichte er in seiner Dissertation seine zeitlebens tiefe Verbundenheit mit der jüdischen Religon. Wohnhaft in einem repräsentativen Wohnhaus in der Brettener Straße 5 verbrachte Bravmann seine Kinder- und Jugendzeit in der damaligen badischen Amtsstadt Eppingen. Schon früh zeichnete er sich als sehr begabter Schüler aus. Bereits im ersten Schuljahr am Realgymnasium Eppingen wurde er als Klassenprimus ausgezeichnet und gehörte bis zu seinem Wechsel an die Oberrealschule Heilbronn (heute: Robert-Mayer-Gymnasium) immer zu den Besten seines Jahrgangs. An der Oberrealschule gründete er mit seinem Freund und Stufenkollegen Bruno Vogelmann einen Sozialistischen Schülerbund und war politisch aktiv.
1927 legte Bravmann in Heilbronn das Abitur ab und begann im selben Jahr sein Studium in Breslau. Neben Semitischer Philologie studierte er Assyriologie, Persisch und Philosophie. Darüber hinaus absolvierte er dort am Jüdisch-Theologischen Seminar Fraenckel’sche Stiftung eine Rabbinerausbildung.
Im Jahr 1932 promovierte Bravmann bei Carl Brockelmann, einem der bedeutendsten Orientalisten des 20. Jahrhunderts. In der Dissertation folgte Bravmann der einheimischen arabischen grammatischen Tradition seines Doktorvaters und legte den Schwerpunkt seiner Arbeit auf die Zusammenstellung der phonetischen Begrifflichkeit sowie die faktischen Aussagen entsprechend dem von Brockelmann favorisierten wissenschaftlichen Ansatz. Die Arbeit wurde 1934 unter Vermittlung des Orientalisten Eugen Mittwoch mit Unterstützung der Salomon Neumann-Stiftung in Göttingen gedruckt. In seiner Dissertation führte Bravmann die Begrifflichkeit auf die Rezeption der griechischen Naturphilosophie zurück und zog dabei unter anderem die faktischen phonetischen Aussagen der Grammatiker als Quellen für die historische semitische Sprachvergleichung heran.
Diese Schwerpunktsetzung wurde auch in seinen Veröffentlichungen der folgenden Jahrzehnte deutlich. Bravmann ging stets deskriptiv vor. Die Übertragung von Kategorien der lateinisch-griechischen Schulgrammatik wies er zugunsten einer immanenten Analyse zurück, die ihm als Vorgehensweise überholt galt. Im Bereich der vergleichend- etymologischen Forschung der Semitistik führte er systematische Kategorien der deskriptiven Sprachwissenschaft ein, wie zum Beispiel der Phonetik. Es kann daher mit Recht behauptet werden, dass Bravmann ein ausgesprochener Sprachwissenschaftler unter den Semitisten respektive Orientalisten war.
Leider war es ihm in Deutschland durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten unmöglich, seine Forschungen zu intensivieren und seine akademische Karriere fortzusetzen. Bravmann, der seit Sommer 1932 bei dem Assyriologen Julius Lewy, seit 1930 persönlicher Ordinarius der Universität
Gießen, als Volontärassistent am Seminar für orientalische Philologie arbeitete, wurde wie Lewy und viele andere Orientalisten an deutschen Universitäten unmittelbar nach Inkrafttreten des am 7. April 1933 erlassenen „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ aus dem Universitätsdienst entlassen. Für Gießen bedeuteten diese Entlassungen sogar die Schließung des Instituts für orientalische Philologie.
Der wesentlichen Lebensperspektive beraubt sah ein Großteil dieser Wissenschaftler sowohl in beruflicher als auch in persönlicher Sicht keine Zukunft mehr in Deutschland und entschloss sich zur Emigration. Bravmann emigrierte im Sommer 1933 zunächst nach Paris und folgte ein Jahr später seiner Schwester Ruth nach Jerusalem, die eine feste Anstellung bei der „Jewish Agency“ in Jerusalem hatte und ihm bei der Einreise ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina behilflich war. Beiden war es dann im August 1939 möglich, die Eltern und Geschwister im allerletzten Moment aus dem Kraichgau nach Jerusalem zu holen und sie so vor der Ermordung durch die Nationalsozialisten zu retten.
Die Einwanderung der „deutschen Orientalisten“ nach Palästina seit 1933 trug maßgeblich zum umfassenden Ausbau der wissenschaftlichen Forschung und Lehre an der „Hebräischen Universität Jerusalem“ bei. Als Bravmann mit weiteren sieben entlassenen Orientalisten ins Britische Mandatsgebiet Palästina immigrierte, befand sich die Universität samt ihrer Bibliothek noch in der Aufbauphase. Bravmann hatte dort zunächst eine Stelle als Forschungsassistent, später als Dozent für Semitische Sprachwissenschaft. In dieser Funktion nahm er 1948 u.a. am internationalen Linguisten-Kongress in Paris teil. Seine Publikationen erschienenseit seiner Immigration unter seinen neuen Vornamen Meïr Mosche.
Obwohl die deutschen Wissenschaftler eine bevorzugte Behandlung bei der Einwanderung nach Palästina genossen, bedeutete dies keine automatische akademische Aufstiegsmöglichkeit in ihrem Forschungsgebiet. Bravmann blieb, trotz seines Engagements und vieler auch international beachteten Veröffentlichungen, der Ruf auf eine ordentliche Professur in Jerusalem verwehrt. Das lag auch daran, dass nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 weitere Orientalisten und Semitisten ins Land gekommen waren und so ein gewisser Überhang an gut ausgebildeten europäischen Sprachwissenschaftlern entstanden war. Bravmann entschloss sich daher Anfang der 1950er-Jahre, Israel zu verlassen und in den USA seiner beruflichen Laufbahn neue Impulse zu geben. Seit dem Frühjahr 1951 in New York City wohnhaft waren die Anfangsjahre in seinem „US-amerikanischen Exil“ (Maas, 2002, S. 222) mit vielen Entbehrungen verbunden. Er musste zunächst mit einem befristeten Lehrauftrag an der New York University sowie eine Tätigkeit als Tutor finanziell über die Runden kommen. Später wurde die Columbia University auf Bravmanns Begabung aufmerksam. Allerdings konnte die Universitätsverwaltung ihm vorerst keine Festanstellung im Forschungsbereich anbieten und stellte ihn stattdessen unbefristet in der Bibliothek als Katalogisierer ein. In den Folgejahren gelang es ihm aber, einen Teillehrauftrag und schließlich eine außerordentliche Professur zu bekommen, zunächst am „Dropsie College“ in Philadelphia, später auch an der Columbia University.
Bravmanns Unterrichtsschwerpunkt lag im sprachwissenschaftlichen Bereich und umfasste Syrisch, Vergleichende Semitische Grammatik und Fortgeschrittenes Arabisch. Vielen Doktoranden der Columbia stand er beratend zur Seite. Edward L. Greenstein äußert sich über das Wirken und die Person Bravmanns in der Einleitung der Gedenkschrift wie folgt: „Er arbeitete bei seinen Forschungen […] unermüdlich. Die freie Zeit verbrachte er in der Bibliothek und nutzte die meisten seiner Feierabende, um einen Berg von wissenschaftlichen Ausarbeitungen und Buchbesprechungen zu produzieren […]. Diese Arbeiten unterstreichen […] die große Breite seiner Interessen – von den frühen arabischen Liebesliedern und der Psychologie der Religion bis hin zur Akkadischen Morphologie und der Linguistik im Allgemeinen.“ (Greenstein, 1979, S. 2)
Dennoch wurden seine Begabung und besondere Herangehensweise in seinem Fachgebiet in den USA während seiner Schaffensjahre wohl nie richtig erkannt, wie seine Schwester Ruth in einem Interview im Jahr 2006 meinte, was sowohl mit seiner Persönlichkeitsstruktur als auch mit seinem wissenschaftlichen Selbstverständnis zusammenhing. Bravmanns wissenschaftlicher Ansatz war dem Deskriptivismus US-amerikanischer Prägung nicht kongruent.
Bravmann erlag kurz vor Vollendung seines 68. Lebensjahres den Folgen eines Herzinfarktes. Er wurde später nach Israel überführt und auf dem Yerushalaim Erets HaHaim Friedhof in der Nähe von Bet Shemesh bestattet. Sein Grab befindet sich in unmittelbarer Nähe seiner beiden Schwestern Elsa Salomon und Ruth Elkoshi.
Noch kurz vor seinem Tode hatte er die Herausgabe eines Buches über den modernen jüdisch-arabischen Dialekt in Bagdad geplant, erlebte aber noch die Veröffentlichung seiner „Studies in Semitic Philology“, woran er jahrelang gearbeitet und in denen er den umfangreichen wissenschaftlichen Diskurs von mehr als vier Jahrzehnten hatte einfließen lassen. Greenberg vermerkte dazu: „Dieses Werk ist in der Tat ein Kompendium und wird auch in Zukunft als ein Monument für diesen kreativen, brillanten und eindrucksvollen Gelehrten sowie großartigen Wissenschaftler stehen“ (ebd.). Dass er mit dieser 1979 gestellten Prognose durchaus richtig lag, unterstreicht die Tatsache, dass der nur unter Pseudonym bekannte Wissenschaftler und Autor Ibn Warraq 2002 gleich mehrere Artikel von Bravmann in seinem Buch „What the Koran Really Says: Language, Text and Commentary“ veröffentlichte. Darin wie durch Publikationen anderer Forscher wird deutlich, dass sich renommierte Sprachwissenschaftler aus Europa und Israel noch im 21. Jahrhundert auf Forschungen und Schlussfolgerungen Bravmanns beziehen. So nannte der Basler Philologe Alfred Bloch Bravmann eine der wichtigsten Autoritäten im Bereich der Arabistik. Ähnlich äußerte sich der israelische Sprachwissenschaftler Zecev Ben-Hajjim, was die Anerkennung von Bravmanns Leistung über drei Jahrzehnte nach seinem Tod dokumentiert.
Quellen: SchulA Hartmanni-Gymnasium Eppingen Schülerlisten 1918–1923 Realschule Eppingen; Zeitzeugengespräch mit Ruth Elkoshi, geb. Bravmann, Jerusalem, vom 3.6.2006.
Werke: Materialien u. Untersuchungen zu den phonetischen Lehren d. Araber, Diss. phil. Breslau 1932, gedr. 1934; Some Aspects of the Development of Semitic Diphthongs. Orientalia N., 8, 1939, 244-253 u. 9, 1940, 45-60; On a Case of Quantitative Ablaut in Semitic. Orientalia N. S. 22, 1953, 1-24; Studies in Arabic and General Syntax. Imprimérie de l´Instiut Français d´Archeologie Orientale, 1953; Genetic Aspects of the Genitive in the Semitic Languages, in: Journal of the American Oriental Society 81, 1961, 386-394; The Arabic Elative. A New Approach, 1968; The Spiritual Background of Early Islam: Studies in Ancient Arab Concepts, 1972; Studies in Semitic Languages and Linguistics. 6, Studies in Semitic Philology, 1977.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (1951), in: Baden-Württembergische Biographien 6, S. 50, im Jahr seiner Ankunft in den USA – Zeev Elkoshi, Kfar Sava, Israel, Foto vom 1951; digit. Fotoalbum, 3 Fotos von 1936–2012, in: Digit. Album des Verf.

Literatur: Karl Diefenbacher, Ortssippenbuch Eppingen im Kraichgau, 1984, 895; Peter Chroust, Gießener Universität u. Faschismus, Studenten u. Hochschullehrer 1918–1945 Bd. 1, 1996, 232; Bruno Vogelmann [Crailsheim], Mein jüd. Schulfreund Max Bravmann u. Familie, unpubl. Manuskr. vom 12.12.1999 (6 S.); Ekkehard Ellinger, Dt. Orientalistik zur Zeit des Nationalsozialismus 1933–1945, 2006, 471; Edward L. Greenstein, Meïr Mosche Bravmann, A Sketch, in: Near Eastern Studies in Memory of M. M. B. The Journal of the Ancient Near Eastern Society of Columbia University Vol. 11, 1979, 1f.; Michael Heitz, Meïr Mosche Bravmann, in: ders. u. Bernd Röcker (Hgg.), Jüdische Persönlichkeiten im Kraichgau, 2013, 35-40; Ibn Warraq, What the Koran Really Says: Language, Text, and Commentary. Edited with translations by Ibn Warraq, 2002; Utz Maas, Verfolgung u. Auswanderung deutschsprachiger Sprachforscher 1933–1945. 1996, 221f.
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