Bilfinger, Paul Wilhelm 

Geburtsdatum/-ort: 15.05.1858; Bern
Sterbedatum/-ort: 04.01.1928;  Mannheim
Beruf/Funktion:
  • Bauingenieur und Unternehmer
Kurzbiografie: 1865–1867 Volksschule Pforzheim
1867–1874 Realgymnasium Pforzheim
1874 –1877 Oberrealschule Stuttgart bis Abitur
1877–1882 Bauingenieurstudium am Polytechnikum in Stuttgart
1879–1880 Einjährig Freiwilliger im 1. Bayer. Feldartillerieregiment in München
1882 I. Staatsprüfung für Bauingenieure
1882–1884 Bauleitender Ingenieur bei dem Gemeinschaftsunternehmen Philipp Holzmann&Co., Frankfurt am M. u. Gebr. Benckiser, Pforzheim
1884–1886 Tätigkeit bei d. Società Veneta in Padua
1886–1887 Tätigkeit bei Benckiser
1887 II. Staatsprüfung, Regierungsbaumeister
1887–1891 Tätigkeit bei Bernatz&Grün in Mannheim
1891–1892 Tätigkeit bei d. Unternehmensgemeinschaft Philipp Holzmann&Co u. Joos&Co
1892 Kompagnon von August Grün (vgl. Badische Biographien. Neue Folge VI, S. 156-158) u. Umbenennung d. Firma Bernatz&Grün in Grün&Bilfinger OHG
1893 Bad. Staatsbürgerschaft
1906 Umwandlung d. OHG Grün&Bilfinger in eine AG
1906–1924 Vorsitzender des Vorstands d. AG
1924 Titel Generaldirektor
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Auszeichnungen: Ritterkreuz vom Orden des Zähringer Löwen II. Klasse (1906), I. Klasse (1914); Königlich Württ. Baurat u. Preuß. Roter Adlerorden IV. Klasse (1914); Dr.-Ing. e. h. d. TH Stuttgart (1917); Orden vom Roten Halbmond d. Türkei in Silber (1919); Ehrenbürger d. TH Karlsruhe (1921).
Verheiratet: 1888 (Wertheim) Emilie, geb. Weingärtner (1862–1956)
Eltern: Vater: Bernhard Rudolf (1829–1897), Brückenbauingenieur
Mutter: Minna, geb. Strohm (1837–1905)
Geschwister: 4, darunter Bernhard (vgl. Badische Biographien. Neue Folge VI, S. 25-27)
Kinder: 4; Bernhard Michael (1889–1960), Dora (1890–1980), Paula Emilie
(1898–1997) u. Liselotte (1902–2006).
GND-ID: GND/135548802

Biografie: Karl-Heinz Schwarz-Pich (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 27-29

Auch der ältere Sohn, stand ganz in der Berufstradition der Familie. Seine Tätigkeit als Bauingenieur fällt in die Zeit der Hochindustrialisierung in Deutschland nach dem deutsch-französischen Krieg, mit der ein umfassender Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zu Wasser, auf der Schiene und Straße einherging.
Bereits mit 22 Jahren wurde Bilfinger bei der Firma Gebr. Benckiser in Pforzheim als Projektleiter in Deutschland, der Schweiz und in Italien eingesetzt. 1882 leitete er den Bau der Johannieten-Brücke in Basel. Bilfinger besaß nicht nur die Fähigkeit, schwierige Projekte ingenieurtechnisch zu planen und umzusetzen, auch ein humaner Umgang mit seinen Mitarbeitern kennzeichnete ihn.
Als sich August Bernatz aus dem Unternehmen Bernatz&Grün in Mannheim zurückzog gründeten Bilfinger und August Grün 1892 die Firma Grün&Bilfinger als offene Handelsgesellschaft, OHG. In den ersten Jahren ihres Bestehens war die neue Firma vor allem in Südwestdeutschland mit Schwerpunkt Mannheim im Wasser- und Brückenbau tätig; später wurde der Bau von Eisenbahnstrecken ins Programm aufgenommen. In diese Zeit fällt der Bau der 778 m langen Rheinbrücke bei Worms (1897–1900) durch die Firma Grün&Bilfinger, die auch den preisgekrönten Entwurf geliefert hatte. Zwischen 1893 und 1905 wurden insgesamt 66 Bauprojekte erfolgreich durchgeführt. Das Unternehmen beschäftigte bis zu 3000 Mitarbeiter. Seit 1898 war Bilfingers jüngerer Bruder Bernhard Gesellschafter des Unternehmens.
Um die wirtschaftlichen Aktivitäten ausweiten zu können, wurde das Unternehmen unterstützt von der Dresdner Bank 1906 in eine Akteingesellschaft mit einem Stammkapital von 4,1 Mio. Reichsmark umgewandelt. 26,97% der Anteile hielt Bilfinger, 26,35% August Grün, 21,65% Bernhard Bilfinger und 24,50% die Dresdner Bank. August Grün wurde Vorsitzender des Aufsichtsrats und Bilfinger Vorsitzender des Vorstandes.
Maßgeblich von Bilfinger vorangetrieben erweiterte das Unternehmen seinen Aktionsradius auf ganz Deutschland. 1909 wurden Zweigstellen in Köln und München gegründet, Filialgründungen in Berlin, Hamburg und in anderen Städten folgten. Zu den Projekten, die unter der Leitung von Bilfinger vor dem I. Weltkrieg realisiert wurden, gehörten neben der Rheinbrücke in Worms u. a. der Güterbahnhof in Freiburg im Br. (1901), die drehbare Diffené-Brücke in Mannheim (1903), das Viadukt über die Hubertusschlucht, die Eisenbahnstrecke Boppard Kastellaun (1906), der Goldbergtunnel Hagen (1906), die Hohenzollernbrücke in Köln und die Errichtung des neuen Hauptbahnhofs in Karlsruhe (1907), die Enzkorrektur bei Pforzheim (1908), der Um- und Erweiterungsbau des Pragtunnels bei Stuttgart (1910), die Kanalbrücke für die Überführung des Mittellandkanals über die Weser bei Minden (1911), die Eisenbahnbrücke bei Rüdesheim (1913), der Distelrasentunnel bei Schlüchtern-Flieden (1914) und außerdem Hafenanlagen an Rhein, Neckar und Main. Um 1910 baute Grün&Bilfinger allein in Berlin neun Brücken.
Nach der Jahrhundertwende erfolgte die Ausdehnung der Geschäftsaktivitäten über die Grenzen Deutschlands hinaus. Mit dem Bau der 65 km langen Donau-Eipeltalbahn in Nord-Ungarn zwischen 1907 und 1909, nach firmeneigenem Entwurf, wozu auch der Bau der Bahnhöfe gehörte, dehnte das Unternehmen seine Tätigkeit auf andere europäische Länder aus. Allerdings endete diese erste Auslandsunternehmung mit einem empfindlichen finanziellen Verlust von einer Million Reichsmark, so dass man sich mit weiteren Auslandsaufträgen zunächst zurückhielt. 1911 erfolgte dann mit Bautätigkeiten in Togo und Kamerun in Afrika die Ausdehnung der wirtschaftlichen Aktivitäten auf Überseegebiete, der ein Vordringen auf den südamerikanischen Kontinent folgte. In dieser Phase vor dem Ausbruch des I. Weltkriegs wurde der Grundstein zur Entwicklung der Grün&Bilfinger AG zu einem Unternehmen von Weltgeltung gelegt. Um den sich verschärfenden Konkurrenzkampf auf den internationalen Märkten zu begegnen, wurde damals vor allem auf Drängen von Bilfinger eine Rationalisierung der Arbeitsmethoden eingeleitet und ein betriebseigener Maschinen- und Gerätepark nebst Werkstätten errichtet. Außerdem wurden sowohl für die unternehmenseigene Entwicklungsarbeit als auch für die Effizienz in der Verwaltung Fachkräfte eingestellt.
Neben seiner Tätigkeit als Unternehmer engagierte sich Bilfinger in verschiedenen Vereinen und Verbänden. Er war Mitglied des Vorstands der Handelskammer Mannheim, des Deutschen Betonvereins Oberkassel, des Beton- und Tiefbau-Arbeitgeberverbandes Berlin, der Hafenbautechnischen Gesellschaft Hamburg sowie des Süddeutschen Kanalvereins. Außerdem gehörte er dem Vorstand des Deutschen Museums in München an, der Deutschen Gesellschaft für Bauingenieurwesen und in Mannheim dem Kunstverein und dem Gemeindevorstand der ev. Hafenkirche. Als Vorstandsmitglied des Süddeutschen Kanalvereins engagierte sich Bilfinger für die Schiffbarmachung des Neckars zwischen Mannheim und Plochingen und für die Realisierung einer Donau-Neckar-Rheinverbindung, die aber nicht zustande kam.
Bilfinger stand bis zu seinem Tod an der Spitze des Unternehmens. Allerdings hatten sich nach einer weiteren Kapitalaufstockung 1920 von 4 auf 8 Mio. und 1923 auf 25 Mio. und der damit verbundenen Erhöhung des Aktienanteils durch nicht unternehmensgebundene Aktionäre die Entscheidungsstrukturen geändert. Alle Beschlüsse von größerer Bedeutung mussten nun vom Aufsichtsrat gebilligt werden. In diesem Kontext verlieh der Aufsichtsrat Bilfinger den Titel eines Generaldirektors, um seine herausgehobenen Stellung gegenüber den anderen Vorstandsmitgliedern hervorzuheben.
Bilfinger gehörte zu den Unternehmensgründern im letzten Drittel des 19. Jh.s, bei denen praktisches Denken und Handeln im Vordergrund stand. Wie in dieser Epoche oft zu beobachten war sein Führungsstil „patriarchalisch“, aber von humorvoller Art geprägt, was ihn bei seinen Mitarbeitern beliebt machte. Von Arbeitskämpfen oder sonstigem Widerstand gegen Firmenentscheidungen ist nichts bekannt. Es ist sicher kein Zufall, dass es die Grabrede des Arbeitervertreters war, die die Herzensgüte und den sozialen Sinn des Verstorbenen pries, die in der öffentlichen Wahrnehmung den stärksten Eindruck hinterließen, so dass bei den Teilnehmern die Empfindung aufkam, „dass nicht nur ein hervorragender Ingenieur, sondern auch ein edler Mensch mit Paul Bilfinger gegangen ist.“ (Der Bauingenieur)
Nach Bilfingers Tod 1928 trat sein Sohn Bernhard Michael als Vorstandsvorsitzender an die Spitze des Unternehmens. Bilfinger wurde auf dem Mannheimer Hauptfriedhof bestattet und nach der Beisetzung seines Sohnes Bernhard Michael 1960 in dessen Grab umgesetzt, das bis heute besteht.
Quellen: FirmenA. d. Bilfinger + Berger AG, Mannheim; Nachlass von Paul Wilhelm Bilfinger im Besitz des Enkels Ortwin Kappes; Verwaltungsakten Hauptfriedhof Mannheim; Auskünfte d. Enkel Sibylle Bilfinger-Schubach vom Mai 2008, Martin Krauß u. von Dietlinde u. Ortwin Kappes vom Juni 2008, alle Mannheim, d. Bilfinger + Berger AG, Mannheim, vom Mai 2008 sowie d. Fam. Robert Sinner, Karlsruhe, vom Juni 2008.
Nachweis: Bildnachweise: Hundert Jahre Bauen, 1980. 2 (vgl. Literatur).

Literatur: Genealogisches Handb. Bürgerlicher Familien, hg. von Bernhard Koerner, Bd. 10, 1903, 60 f.; Der Bauingenieur, Zs. für das gesamte Bauwesen, 1928, H. 6 (o. S.); Hundert Jahre Bauen 1880–1980. Ein Buch zum Jubiläum d. Bilfinger + Berger Bau AG, 1980; Bernhard Stier/ Martin Krauß, Das Unternehmensarchiv d. Bilfinger + Berger AG, in: Archiv u. Wirtschaft 2, 2002, 53–63; Bilfinger + Berger (Hg.), 125 Jahre Bilfinger + Berger AG – drei Wurzeln, ein Unternehmen, 2005.
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