Brauer, Georg Karl 

Geburtsdatum/-ort: 1908-04-11; Bochum
Sterbedatum/-ort: 2001-02-26;  Freiburg im Br.
Beruf/Funktion:
  • Chemiker
Kurzbiografie: 1916-1920 Ostern Volksschule und Progymnasium in Markranstädt bei Leipzig
1926 Apr. Abschluss der Oberrealschule-Nord in Leipzig
1926 Sommersemester-1928 Sommersemester Studium der Naturwissenschaften an der Universität Leipzig; 1. Verbandsexamen im Fach Chemie
1928/29 Wintersemester-1932 Sommersemester Studium der Chemie an der Universität Freiburg; 2. Verbandsexamen im Juni 1930
1932 18. Nov. Promotion bei Eduard Zintl: „Über kubisch-raumzentrierte Legierungsphasen und die Atomradien unedler Metalle in Legierungen“
1932 Nov.-1933 Sep. Assistent (Liebig-Stipendium) in der Anorganischen Abteilung des Chemischen Laboratoriums der Universität Freiburg
1933 Okt. Assistent am Institut für Anorganische und Physikalische Chemie der Technischen Hochschule Darmstadt
1937 Jul. Oberassistent
1939 Dez. Gleichzeitig beamteter Oberingenieur
1941 16. Jun. Habilitation: „Über Oxyde, Nitride und Carbide des Niobs“
1942 11. Mär. Dozent
1944 1. Mai Vertretung der außerordentlichen Professur für anorganische und analytische Chemie an der Universität Freiburg
1946 1. Jan. planmäßiger außerordentlicher Professor für Anorganische Chemie und Leiter der Anorganischen Abteilung des Chemischen Laboratoriums
1959 12. Okt. ordentlicher Professor für Anorganische Chemie
1968 17. Jan. Co-Direktor des Chemischen Laboratoriums
1976 3. Sep. Emeritierung
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev., später konfessionslos
Verheiratet: 1. 1935 (Darmstadt) Babette, geb. Meß (1912-2002), geschieden 1959 in Freiburg
2. 1959 (Freiburg) Doris, geb. Hagner (1936-1992)
Eltern: Vater: Otto Eberhard Hermann (1875-1958), Industriechemiker
Mutter: Elisabeth, geb. Ostwald (1884-1968)
Geschwister: 3:
Peter Sven (1911-1995), Physikprofessor in Karlsruhe und Freiburg
Hellmut (1913-1940)
Margarete (geb. 1918)
Kinder: aus 1. Ehe 3: Renate (geb. 1935), Ursula (geb. 1937) und Lore (geb. 1945)
aus 2. Ehe 2: Anselm (geb. 1960) und Solvejg (1960-1985)
GND-ID: GND/14016720X

Biografie: Alexander Kipnis (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 26-28

Brauers Vater war Schüler, langjähriger Assistent und ab 1907 Schwiegersohn von Wilhelm Ostwald (1853-1932). Er hatte in Bochum die erste technische Anlage zur Gewinnung von Salpetersäure aus Ammoniak („Ostwald-Verfahren“) aufgebaut und betrieben. Anschließend arbeitete er von 1908 bis 1911 selbständig in Leipzig; ab 1911 wirkte er als Chemiker bei der Firma Schimmel&Co AG in Miltitz bei Leipzig. So verbrachte Brauer, obwohl in Bochum geboren, seine jungen Jahre in Leipzig und Umgebung. Er wurde zuerst durch seine Mutter unterrichtet, danach besuchte er nach einem halben Jahr Volksschule das Progymnasium, dem sich das Realgymnasium in Leipzig anschloss. Die Basis für die ausgezeichnete Allgemeinbildung Brauers, die seine Kollegen später bewunderten, wurde in der Familie gelegt. Mehr als ein Jahr seiner Schulzeit – von Ostern 1923 bis Michaelis 1924 – verbrachte Brauer in Großbothen als Privatassistent seines berühmten Großvaters und unterstützte ihn bei den Experimenten zur Farblehre. Lebhaftes Interesse an Naturfarben bewahrte Brauer bis ins hohe Alter; zu seinen Liebhabereien gehörte auch die Aufzucht bunter Schmetterlinge und die Suche nach einheimischen Orchideen, genauso wie die Erforschung von kräftig gefärbten Verbindungen seltener Metalle.
Nach dem Abitur studierte Brauer Naturwissenschaften in Leipzig, wobei er zuerst zwischen Biologie und Chemie schwankte. Unter dem Einfluß der faszinierenden Persönlichkeit von Wilhelm Böttger (1871-1949), der damals das Anfängerpraktikum leitete, entschied er sich endgültig für Chemie, bestand das Erste Verbandsexamen und wechselte, so er selbst, „nach dem vom Elternhaus angenehm weit entfernten Freiburg“. Dort lehrte seit einem Semester der geniale Anorganiker Eduard Zintl (1898-1941), der die Chemie der Metalle und Legierungen durch neuartige Konzepte wesentlich bereicherte. Bei ihm wurde Brauer magna cum laude über eine Klasse von intermetallischen Verbindungen promoviert, die später unter dem Sammelbegriff „Zintl-Phasen“ eingereiht wurden. Als Nebenfächer wählte Brauer Physik und Zoologie.
Schon vor seiner Promotion arbeitete Brauer als Assistent bei Zintl, und als dieser 1933 auf ein Ordinariat an die Technische Hochschule Darmstadt berufen wurde, nahm er Brauer mit, der Assistent, dann Oberassistent und schließlich beamteter Oberingenieur am Institut für Anorganische und Physikalische Chemie wurde und gleichzeitig eigene Forschungen auf dem Gebiet der Festkörperchemie durchführte. Im Juni 1941 habilitierte sich Brauer mit der bedeutenden Arbeit über die Oxide, Nitride und Carbide des Niobs. Im März 1942 wurde Brauer als Dozent bestätigt; er las damals über „Kristallstruktur der Metalle und Legierungen“ sowie „Seltene Elemente“ und betreute den Bereich „Spektral- und Röntgenanalyse“ im Praktikum.
Brauer wurde 1933 zur SA eingezogen; in die NSDAP trat er aber nie ein und stand der herrschenden Ideologie stets fern. Innerhalb der Dozentenschaft der Technischen Hochschule führte er das Presseamt. Zum Militär wurde Brauer dank der Unterstützung seines Chefs Zintl und nach dessen Tod des Dekans, des Physikochemikers Carl Wagner (1901-1977), nicht einberufen, die Brauer als UK einstellen konnten.
1943 wurde die Stelle des planmäßigen außerordentlichen Professors für Anorganische Chemie und gleichzeitig Leiters der Anorganischen Abteilung des Chemischen Laboratoriums der Universität Freiburg vakant. Auf der Vorschlagsliste der Kommission stand Brauer an erster Stelle, eingeschätzt als „klarer Kopf mit guten Allgemeinkenntnissen, der mit eigenen Problemstellungen völlig selbständig arbeitet.“ Brauer folgte dem Ruf und hielt ab Sommersemester 1944, zuerst vertretungsweise, Vorlesungen in anorganischer, aber auch analytischer Chemie.
In der wieder eröffneten Universität wurde Brauer Anfang 1946 auf dieser Stelle Beamter auf Lebenszeit und begann unter schwierigen Nachkriegsverhältnissen mit dem Aufbau seiner Abteilung. Ein Entnazifizierungsverfahren entlastete ihn im Herbst 1948 ohne Sühnemaßnahmen. Trotz dieser harten Zeit nahm Brauer die große literarische Arbeit am „Handbuch der präparativen anorganischen Chemie“ auf; er verfasste selbst einige bedeutende Beiträge und konnte sich als Herausgeber die Mitwirkung von 31 weiteren namhaften deutschen Anorganikern sichern. Das 1954 erschienene Werk hat damals eine große Lücke in der chemischen Literatur geschlossen.
Nach Überwindung der schweren Nachkriegsfolgen setzte Brauer den allmählichen Ausbau seines Faches in Freiburg konsequent fort. Erweiterte Möglichkeiten boten sich durch den 1957 fertiggestellten Neubau sowie durch die 1959 vollzogene Umwandlung seiner Stelle in ein Ordinariat für Anorganische Chemie. Die zunehmende Bedeutung des Faches führte 1973 sogar zur Einrichtung eines zweiten Lehrstuhls, und im Zuge von Brauers Nachfolge wurde 1981 das Institut für Anorganische und Analytische Chemie als selbständige Einheit gegründet. Mehr als drei Dutzend Doktoranden von Brauer wurden promoviert; vier seiner Mitarbeiter habilitierten sich. Brauer hat auch wesentlich zum Wiederaufbau der Naturwissenschaftlichen Fakultät beigetragen; 1959/60 fungierte er als Dekan. Bis zu seiner Emeritierung hielt Brauer die große Experimentalvorlesung über anorganische Chemie, die Generationen von Freiburger Studenten verschiedener Fachrichtungen am Anfang des Studiums die Grundzüge der Chemie nahebrachte. Er war ein brillanter Vortragender; seine außerordentlich klare und kultivierte Sprache ließ seine Vorlesungen und Vorträge druckreif erscheinen. Auch auf den Fachtagungen war er sehr gefragt. Er nahm insbesondere von 1960 bis 1979 an elf „Seltenerd-Konferenzen“ in den USA teil, an fünf „Plansee-Seminaren“ über metallische Hartstoffe in Österreich und an Fachversammlungen in Frankreich, wo ihm 1971 die Lebeau-Medaille der Französischen Gesellschaft für Hochtemperatur-Keramik verliehen wurde. Nach seiner Emeritierung rundete Brauer sein Lebenswerk durch weitere Arbeiten ab. Der Unfalltod seiner Tochter und der frühe Tod seiner zweiten Frau trafen ihn aber hart und lösten bei ihm eine tiefe Schwermut aus.
Als Lehrer und Doktorvater war Brauer „liebevoll, geduldig, vornehm zurückhaltend, viel zu großzügig“, so H. Vahrenkamp. Andere charakterisieren ihn als uneigennützig, hilfsbereit, verständnisvoll, was ihm die Verehrung seiner Kollegen, Mitarbeiter und Schüler einbrachte.
Von Brauer stammen ca. 150 Publikationen, fast alle über anorganische Chemie, dennoch bemerkenswert vielseitig. Brauer leistete bedeutende Beiträge zur Chemie und Kristallchemie intermetallischer Verbindungen und Legierungen. Er untersuchte binäre Systeme von Übergangsmetallen, besonders von Oxiden, Nitriden, Carbiden und Hydriden des Niobs, Tantals und Vanadiums, beschäftigte sich intensiv mit den Oxiden der Seltenerdmetalle und widmete sich auf chemisch breiter Basis sogenannten Gemischtvalenzverbindungen. Dabei wurden viele neue Verbindungen entdeckt, vorbildlich charakterisiert und meist ihre Kristallstrukturen aufgeklärt. Darunter finden sich sogar bis dahin unbekannte, ganz fundamentale Strukturtypen, wie z. B. der Lithiumnitrid-, Lithiumbismuthid-, Zirkoniumaluminium 3-, Thoriumdisilicid- und der ungewöhnliche Niobmonoxid-Typ.
Brauer arbeitete exakt und zuverlässig; bis heute können viele seiner Publikationen, dank ihrer Fragestellungen und ihrer experimentellen Bewältigung, als beispielhaft gelten, insbesondere die Technik des Arbeitens mit luft- und feuchtigkeitsempfindlichen Substanzen. Der bekannteste Teil seines Lebenswerks blieb aber das „Handbuch“, kurz der „Brauer“ genannt. Von diesem Standardwerk erschienen drei Auflagen in deutscher Sprache und mehrere Übersetzungen; inzwischen wurde die ursprüngliche Konzeption unter Wolfgang Herrmann als Herausgeber auf 10 Bände erweitert unter dem Titel „Synthetic Methods of Organometallic and Inorganic Chemistry“ (1996-2002).
Quellen: UA Leipzig, Quästurkartei 1926-1928; UA Freiburg B 331/799, Promotionsakte Brauer, B 15/136, Wiederbesetzung des Lehrstuhls für Anorg. Chemie, B 15/133 u. B 15/279, Akten d. Naturwiss. Fak. 1956-1959 u. 1968, B 17/344, Akad. Quästur Brauer, 1944-1953; StA Darmstadt Best. ST 12/18, Jüngere Melderegistratur, Auskunft vom 20. 9. 2006; UA Darmstadt, Auskunft vom 22. 8. 2006; Magistrat d. Stadt Neckarsteinach, Bürgerbüro, Auskünfte vom 26. u. 28. 9. 2006; StA Freiburg, Auskunft vom 4. 9. 2006; Bürgerservice Freiburg, Auskunft vom 2. 10. 2006; Materialien u. Informationen von Frau Gretel Brauer, Großbothen, u. von Prof. Hartmut Bärnighausen, Karlsruhe; Informationen d. Prof. Gerhard Thiele vom 5. 10. 2006 u. Heinrich Vahrenkamp vom 10. 10. 2006.
Werke: (mit E. Zintl) Über die Valenzelektronenregel u. die Atomradien unedler Metalle in Legierungen, in: Zs. für physikal. Chemie B, 20, 1933, 245-271; (mit E. Zintl) Konstitution des Lithiumnitrids, in: Zs. für Elektrochemie 41, 1935, 102-107; (mit E. Zintl) Konstitution von Phosphiden, Arseniden, Antimoniden u. Wismutiden des Lithiums, Natriums u. Kaliums, in: Zs. für physikal. Chemie 37, 1937, 323-352; Über die Kristallstruktur von TiAl3, NbAl3, TaAl3 u. ZrAl3, in: Zs. für anorgan. u. allg. Chemie 242, 1939, 1-22; Die Oxyde des Niobs, ebd. 248, 1941, 1-31; (mit R. Rudolph) Röntgenuntersuchungen an Magnesiumamalgamen, ebd., 405-424; (mit A. Mitius) Kristallstruktur des Thoriumsilicids ThSi2, ebd. 249, 1942, 325-339; (Hg.) Handb. d. präparativen anorganischen Chemie, 1954 (Übersetzung ins Russische 1956, ins Spanische 1958, ins Chinesische 1959), 2. Aufl., 2 Bde., 1960 u. 1962 (Übersetzung ins Englische 1963, 1965), 3. Aufl., 3 Bde. 1975-1981 (Übersetzung ins Russische 1985-1986); (mit H. Gradinger) Über heterotype Mischphasen bei Seltenerdoxyden, in: Zs. für anorgan. u. allg. Chemie 276, 1954, 209-226, 277, 1954, 89-95; (mit R. Esselborn) Nitridphasen des Niobs, ebd. 309, 1961, 151-170; (mit W. u. H. Morawietz) Das Zustandsdiagramm d. Indiumbromide, ebd. 316, 1962, 220-230; (mit H. Bärnighausen u. N. Schultz) Darstellung u. Kristallstruktur d. Samarium-, Europium- u. Ytterbium-oxidbromide, ebd. 338, 1965, 250-265; (mit B. Pfeiffer) Über Mischkristalle zwischen Praseodymdioxid u. Terbiumdioxid, in: Journal für praktische Chemie 34, 1966, 23-29; Structural and solid state chemistry of pure rare earth oxides, in: L. Eyring (Ed.), Progress in the science and technology of the rare earths, vol. 2, 1966, 312-339; (mit H. Reuther) Phasen des ternären Systems Vanadium-Kohlenstoff-Sauerstoff, in: Zs. für anorgan. u. allg. Chemie 402, 1973, 87-96; (mit H. Kristen) Sauerstoff-Perowskite mit vierwertigem Neodym, ebd. 456, 1979, 41-53; (mit W. Kern) Zersetzungsdrücke u. Phasengrenzen von Niobnitriden, ebd. 507, 1983, 127-141; (mit W. Kern) Gezielte Präparation von Niobnitridphasen, ebd. 512, 1984, 7-12.
Nachweis: Bildnachweise: Zs. für anorgan. u. allg. Chemie 357, H. 4-6, 1968, vor 161; Berr. d. Bunsen-Ges. für physikal. Chemie 87, 1983, 296; W. A. Herrmann, Synthetic Methods of Organometallic and Inorganic Chemistry, 10 vols., 1996-2002, Preface to the Series, (vgl. Lit.).

Literatur: Poggendorffs Biogr.-literar. Handwörterb. VIIa, Teil 1, 1956, 249 f. u. VIII, Teil 1, 1999, 511-513; G. Thiele, G. Brauer zum Gedenken, in: Freiburger Universitätsbll. Jg. 41, H. 156, 2002, 158-160 (mit Bild).
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