Dangelmaier, Alois 

Geburtsdatum/-ort: 25.03.1889;  Stuttgart
Sterbedatum/-ort: 26.09.1968;  Ravensburg
Beruf/Funktion:
  • Geistlicher, Verfolgter des NS-Regimes
Kurzbiografie:

1908 Abitur am heutigen Friedrich-Schiller-Gymnasium Ludwigsburg, Konkursexamen für die Aufnahme ins Wilhelmsstift Tübingen am Bischöflichen Konvikt in Ehingen

19081912 Studium der Katholischen Theologie in Tübingen

1912/1913 VII 11 Priesterseminar Rottenburg bis Priesterweihe

1913/1914 Aushilfsgeistlicher in Stuttgart, Vikariate in Rottweil und Alpirsbach; mit Kriegsbeginn Meldung zum Sanitätsdienst

1914 XI 20 Vikar an der Garnisonskirche St. Georg, Ulm

1922 IX zweijährige Beurlaubung zum Promotionsstudium

1924 XI nach Aushilfsstellen in Herrlingen und Calw Vikariat in Aalen, dann in Ravensburg

1926 V 16 Stadtpfarrer in Metzingen

1934 I 6II 20 „Schutzhaft“ im KZ Oberer Kuhberg, Ulm

1934 V 3 Pfarrvertretung und Aushilfen in Freudenstadt, Mühlheim, Landkreis Tuttlingen, und Tuttlingen

1934 XII 29 zunächst Aushilfe, ab 14. August 1935 Stadtpfarrer in Oeffingen

1954 X 9 Entzug der Pfarrei Oeffingen wegen Strafverfahren; angeordneter Rückzug ins Kloster Gorheim bei Sigmaringen

1955 XI Verurteilung wegen Sittlichkeitsvergehen an minderjährigen Mädchen, zur Bewährung ausgesetzt

1957 I Umzug nach Weingarten, seit Dezember 1961 wohnhaft in Ravensburg; ab 1960 seelsorgerische Aushilfstätigkeiten

Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Eltern:

Vater: Franz Josef, Postunterbeamter (gest. 1932)

Mutter: Josefine (gest. 1932)


Geschwister:

4; Anna (gest. 1932), Julie (geb. 1895), Felix und Karl

GND-ID: GND/141957506

Biografie: Anette Hettinger (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 93-98

Aus der Rückschau ist Dangelmaiers Leben als gebrochene Biographie zu bezeichnen: In den ersten Jahrzehnten seines Priesterdaseins zeigte er sich als Mann, der bei seiner Amtseinführung in Metzingen 1926 als ein „in der ganzen Diözese [bekannter] glänzender Redner“ bezeichnet wurde (Metzinger Volksblatt vom 22.5.1926), dessen „würdevolles Auftreten als Priester im Gotteshaus“ man 1934 in einer Beurteilung aus Mühlheim hervorhob (DA Rottenburg, Personalakte), der seinen Protest gegenüber NS-Maßnahmen sprachgewandt, energisch und selbstbewusst zum Ausdruck brachte sowie die ihm anvertraute Kirchengemeinde einte und zum öffentlichen Protest gegen die NS-Schulpolitik anstiftete. Durch eigenes schuldhaftes, unsittliches Handeln untergrub er dann aber selbst sein bis dato gutes Renommee.

Dangelmaier entstammte kleinbürgerlichen Verhältnissen. Dennoch konnte er das Gymnasium in Ludwigsburg besuchen und durchlief anschließend den für die Diözese Rottenburg typischen Weg zum Priester, der die wissenschaftliche Ausbildung an der Universität und im Wilhelmstift in Tübingen, dann die pastorale am Priesterseminar in Rottenburg vorsah. Sein Studium verlief sehr erfolgreich, worauf eine Belobigung, die er 1912 für eine Preisaufgabe der Katholischen Fakultät zu „Natur und Übernatur in der antijansenistischen Literatur“ erhalten hatte, und einen homiletischen Preis vorweisen, den er nach Abschluss seines Studiums im WS 1912/13 errang. Nach der Priesterweihe im Juli 1913 versah Dangelmaier verschiedene Vikariate. Er meldete sich bei Kriegsbeginn zum Sanitätsdienst und wurde schließlich als Garnisonsvikar an der Garnisonskirche St. Georg in Ulm eingesetzt. Seine Eltern und die beiden Schwestern zogen 1915 zu ihm nach Ulm; Anna und nach deren Tod Julie führten seinen Haushalt. Zu Beginn der 1920er Jahre ließ sich Dangelmaier studienhalber beurlauben. Seine Dissertation griff das Thema seiner Preisaufgabe auf. Er konnte sie aber nach eigener Aussage nicht fertigstellen, weil die „antijansenistische Literatur nur in Rom und Paris zugänglich“ war (DA Rottenburg, Personalakte, 12.2.1925). Nach verschiedenen Aushilfstätigkeiten wurde Dangelmaier schließlich im Mai 1926 die Stadtpfarrstelle in Metzingen übertragen.

Schon früh trat er als Redner auf den regionalen Katholikentagen auf: am 8. Dezember 1919 in Ellwangen und am 18. Januar 1920 in Aalen, wo er unter dem Titel „Schule und Weltanschauung“ mehrfach über die Schulfrage in Württemberg referierte und vehement für den Erhalt der Konfessionsschule eintrat; über deren Abschaffung oder Erhalt wurde in diesen Monaten angesichts der anstehenden Änderung des Schulgesetzes im politischen und parlamentarischen Leben Württembergs heftig diskutiert. Für Dangelmaier war der Erhalt des konfessionell ausgerichteten Schulwesens eine „heiligste Gewissenssache“, die Konfessionsschule eine „christliche Charakterschule“; die Simultanschule und die religionslose Schule, die er dem Sozialismus zuordnete, lehnte er grundsätzlich ab. Damit vertrat er Positionen seiner Kirche und in politischer Hinsicht der Zentrumspartei. Seine Rede in Ellwangen wurde in der dem Zentrum nahestehenden Ipf- und „Jagst-Zeitung“ als „klar disponiert und trefflich durchgeführt“ (ebd. vom 9.12.1919) gelobt.

Seinen guten Ruf als Redner behielt er auch als Stadtpfarrer in Metzingen. In der Metzinger Presse finden sich u. a. Hinweise auf zwei öffentliche Vorträge Dangelmaiers, die er im Februar 1928 auf Einladung des Volksbildungsvereins hielt und die in der katholischen wie evangelischen Bevölkerung auf lebhaftes Interesse stießen. Eine Anzeige im „Metzinger Volksblatt“ vom 2. Mai 1930 verweist auf seinen Einsatz auch auf Diözesanebene: Bei einer vom Rundfunk übertragenen katholischen Morgenfeier in der Nikolauskirche in Stuttgart am ersten Maisonntag 1930 hielt er die Ansprache.

Dangelmaiers Kirchengemeinde umfasste die katholischen Minderheiten von Metzingen und Nürtingen. Das Verhältnis Dangelmaiers zum evangelischen Bevölkerungsteil war nicht frei von Ressentiments, auch wenn er öffentlich einen konzilianten Ton anschlug. So rügte er den Übertritt eines Katholiken zur evangelischen Kirche diesem gegenüber als „Judastat“, was in der überregionalen Presse bekannt gemacht und als „Störung des konfessionellen Zusammenlebens“ (Schwäb. Merkur, 7.5.1930) bezeichnet wurde. Das Bischöfliche Ordinariat ermahnte ihn zur Mäßigung.

Dangelmaier soll nach der NS-Machtübernahme seine gegnerische Haltung in Metzingen offen bekannt haben. Anlass der Verfolgung durch NS-Behörden war eine Messe, die er als Zeichen des Protestes nach dem 3. Dezember 1933 für sechs nach einem Schauprozess hingerichtete Kölner Kommunisten feierte. Vielleicht protestierte er damit auch indirekt gegen die Verhaftung von Metzinger und Nürtinger Kommunisten. Dangelmaier wurde kurz darauf von der Gestapo verhört; dabei spielte er den politischen Gehalt seines Handelns herab, um im Rahmen der Bestimmungen des Konkordats zwischen dem Vatikan und dem Deutschen Reich zu bleiben, das nur die religiöse Betätigung von Priestern zuließ. Die Verhaftung erfolgte erst am 4. Januar 1934 und geschah im Rahmen einer „konzertierten Aktion“ der württembergischen Politischen Polizei gegen Vertreter der katholischen Kirche im Land, allen voran Bischof Sproll. Die Drohungen, Diffamierungen in der NS-Presse und die „Schutzhaft“ von Dangelmaier und zwei weiteren Geistlichen dienten als „Warnung an Staatsfeinde“ (Staatsanzeiger für Württemberg vom 5.1.1934) und dem eindeutigen Ziel, den öffentlichen Einfluss der Kirche und ihrer Vertreter zu schmälern. Während der KZ-Haft auf dem Oberen Kuhberg in Ulm wurde Dangelmaier wie alle Häftlinge gedemütigt und schikaniert. Die Unterbringung in den feuchten und kalten Kasematten des ehemaligen Forts unter hygienisch unzureichenden Bedingungen setzte auch ihm zu; nach seiner Entlassung am 20. Februar 1934 wurde er bis Anfang Mai 1934 krankgeschrieben. Bischof Sproll konnte Dangelmaiers Entlassung und die der beiden anderen Priester aus der KZ-Haft durchsetzen, weil er unter anderem ihrer Versetzung zustimmte. Dangelmaier durfte nicht mehr nach Metzingen zurückkehren, wo ihm jeglicher Aufenthalt verboten war. Zudem musste Dangelmaier sich, nachdem er seine Vertretungsstellen in Freudenstadt und Mühlheim angetreten hatte, wöchentlich bei der Polizei melden. Über Dangelmaier informiert überwachten die örtlichen NS-Vertreter seine Aktivitäten.

Aufgrund einer Absprache zwischen dem Bürgermeister von Oeffingen, Datphäus, einem ehemaligen Zentrumsmann, und Bischof Sproll konnte Dangelmaier eine neue Pfarrstelle in Oeffingen Ende 1934 zunächst vertretungsweise antreten. Oeffingen war damals als überwiegend katholische Gemeinde eine Insel im evangelischen Umfeld. Dangelmaier gelang es offenbar bald, die Kirchengemeinde für sich einzunehmen. Seit Dangelmaier in Oeffingen wäre, hätte sich die Stimmung in der Gemeinde verändert, so der Kreisleiter von Waiblingen, Dickert, in einem persönlichen Gespräch mit Dangelmaier am 2. Januar 1937. Diese Veränderungen zeigten sich vor allem am 22. Juli 1936 im Protest von 44 Oeffinger Frauen gegen die Abschaffung der katholischen und die Einführung der „Deutschen Volksschule“, die vom NS-Kultminister Christian Mergenthaler angeordnet worden war und zunächst über Elternabstimmungen, dann aber über zwangsweise angeordnete „Anträge“ der Kommunen durchgesetzt werden sollte.

Dangelmaier stand dieser Entwicklung, die im Januar 1936 an seinem vorherigen Wirkungsort Metzingen einsetzte, von Beginn an und seiner Überzeugung entsprechend kritisch gegenüber. In Oeffingen hatte zudem die Bemerkung eines Lehrers für Unruhe gesorgt, dass in der Schule nach Einführung der „Deutschen Volksschule“ das ureigenste Symbol des christlichen Glaubens, das Kreuz, abgehängt werden sollte. Am 15. Juli 1936 verkündete der Bürgermeister im gleichgeschalteten Gemeinderat der ministeriellen Weisung folgend den Beschluss, die Einführung der „Deutschen Volksschule“ in Oeffingen zu beantragen. Dangelmaier legte gegen diese Entscheidung Verwahrung ein, denn diese missachtete die Bestimmungen des Konkordats. Seinen Protest schickte er ohne Rücksprache mit dem Ordinariat an den Landrat; von dort wurde er an die Parteistellen und ans Kultministerium weitergeleitet. Dangelmaier unterstützte auch eine Unterschriftensammlung zweier Oeffinger Frauen gegen die Abschaffung der Konfessionsschule unter den Eltern der betroffenen Kinder. Im vollbesetzten Gottesdienst am 19. Juli, dem folgenden Sonntag, tat er in geschickter, kaum verschlüsselter Weise seine Meinung kund, indem er statt zu predigen das Evangelium nach Matthäus 7, 15–23: „Hütet euch vor falschen Propheten“ verlas und so Vertreter von Partei und Staat indirekt, aber deutlich mit den Worten des Evangeliums als „Übertreter des Gesetzes“ (ergo: des Konkordats), die „schlechte Früchte“ bringen, kennzeichnete. Dangelmaiers Stellungnahme führte im Dorf zu breiten Diskussionen und Empörung über die dem Bürgermeister wie den Gemeinderäten aufgezwungene Entscheidung. Sie mündeten im öffentlichen Protest von 44 Oeffinger Frauen, die am Vormittag des 22. Juli 1936 vor das Schulhaus und das benachbarte Rathaus zogen und dort den Schulleiter zwangen, eine Erklärung aufzusetzen, die sie unterschrieben. Sie handelten aus religiösen Gründen, so gaben sie an, und verlangten „als deutsche Staatsbürger auf Grund des Konkordats eine Abstimmung über die Beibehaltung der konfessionellen Schule am hiesigen Ort.“ (StAL F 210 II Bü 952) Ein Teil der Frauen war direkt von der Frühmesse gekommen, zudem argumentierten sie mit dem Konkordat – ein eindeutiger Hinweis auf die Einflussnahme Dangelmaiers.

Der Protest blieb letztlich erfolglos, womit Dangelmaier sich wohl nicht abfinden konnte. Wohl ohne die weiteren Konsequenzen zu bedenken, kritisierte er in einer Sitzung des Kirchenstiftungsrates Anfang September 1936 das Vorgehen des Bürgermeisters in dessen Anwesenheit und brüskierte ihn damit öffentlich, was die Stimmung im Dorf weiter anheizte. Kanzelerklärungen Dangelmaiers und verschiedene Predigten danach, die von den stets im Gottesdienst anwesenden „Spitzeln“ den Parteistellen und der Gestapo vorgelegt wurden, führten Anfang Februar 1937 zum Verbot für Dangelmaier, Religionsunterricht in der Volksschule zu halten, wogegen dann Schüler und Schülerinnen protestierten. Auch sie zogen, am 23. Februar 1937, vor das Rathaus, wo sie in einem Sprechchor „Wir wollen von Pfarrer Dangelmaier Religionsunterricht“ skandierten, wohl ein Formulierungsvorschlag des Pfarrers, der im Hintergrund agierte und in seiner nach 1945 verfassten Pfarrchronik das Vorgehen der Schüler hoch lobte. Für diese endete der Protest nach polizeilichen Verhören glimpflich mit einem Verweis im Zeugnis und Schularrest von zwei Stunden. Der ebenfalls beteiligte Jungvolkführer wurde von seinem Posten abgesetzt.

Dangelmaier gab sich nicht geschlagen. Er nutzte die Möglichkeiten, die der NS-Staat zur Verfügung stellte, und forderte die Eltern im Herbst 1937 auf, ihre Kinder vom Religionsunterricht abzumelden; Abmeldeformulare verteilte er gleich mit. Dies war staatlicherseits möglich gemacht worden, um den Religionsunterricht zu schwächen; in Oeffingen diente sie dem Pfarrer dazu, die religiöse Unterweisung in seinem und kirchlichen Sinn in der örtlichen Kirche fortzusetzen. Der „Fuchs“, wie Dangelmaier einmal vom NS-Stützpunktleiter genannt wurde, war damit erfolgreich: Die meisten Kinder wurden vom schulischen Religionsunterricht abgemeldet. Es ist allerdings nicht bekannt, wie lange der Religionsunterricht auf diese Weise durchgeführt werden konnte. Dangelmaiers Vorgehen im Zusammenhang mit der Einführung der „Deutschen Schule“ wurde vom Bischöflichen Ordinariat kritisch gesehen: Damit habe er „nicht die Grenzen der Klugheit und Mäßigung eingehalten“ (DA Rottenburg, Personalakte), wie Bischof Sproll am 5. März 1937 feststellte. Selbst in einem Schreiben an Kultminister Mergenthaler vom gleichen Tag wurde konstatiert, dass Dangelmaier „nicht ganz die rechte Linie eingehalten“ (ebd.) habe. Ein Protest gegen das Unterrichtsverbot wurde nicht geäußert, das Ordinariat kritisierte gegenüber dem Kultminister lediglich die Veröffentlichung hierüber in der SS-Zeitung „Flammenzeichen“ vom Februar 1937, mit der Dangelmaier quasi an den Pranger des NS-Staates gestellt worden war.

Von NS-Seite wurde Dangelmaier immer wieder vorgeworfen, mit „Hetzpredigten“ die Bevölkerung gegen Maßnahmen der NS-Behörden aufzustacheln. In der Tat nutzte Dangelmaier die Instrumentarien seiner Kirche, vor allem Messe, Predigt und Kanzelerklärung, und die kirchliche Öffentlichkeit zum Protest gegen NS-Maßnahmen. Mit der Messe für die in Köln hingerichteten Kommunisten im Dezember 1933 hatte er ein Zeichen gegen den sich etablierenden Unrechtsstaat gesetzt. In seinen Predigten und Lesungen nutzte er danach biblische Inhalte als Anspielung auf aktuelle, von ihm kritisierte Vorgänge, aber ohne diese direkt zu benennen. Die in den Gottesdiensten regelmäßig anwesenden Parteispitzel konnten ihn so nicht festnageln, die zuhörenden Gemeindeglieder jedoch seine Kritik erfassen. Doch fand Dangelmaier in Kanzelerklärungen wie Predigten auch deutliche Worte der Missbilligung. Man kann durchaus von einer bewussten Inszenierung seiner kritischen Verlautbarungen sprechen: Er kündigte diese im Vorfeld an und setzte seine Gestik und Stimme wirkungsvoll ein, so dass ihm von Parteiseite schauspielerisches Talent und Meisterschaft der Sprache konzediert wurden.

Nach Überlieferungslage wurde Dangelmaier noch mehrmals von der Gestapo verhört, ohne dass man in den inkriminierten Vorfällen rückblickend bewussten Protest erkennen kann. Zum Jahresende 1939 wurde Dangelmaier wegen des „unzulässigen Verkehrs mit Kriegsgefangenen“ angezeigt (StAL FL 20/19 Bü 203). Dangelmaier hatte eine Gruppe polnischer Kriegsgefangener beim Vorbeigehen durch Abnahme des Hutes gegrüßt, nachdem diese ihn gegrüßt hatten. Seinen Hut hatte Dangelmaier aber bereits wieder aufgesetzt, bevor der begleitende Wachmann ihn passierte, der, weil er angeblich nicht vom Pfarrer gegrüßt worden war, den Vorfall zur Anzeige brachte. Da Dangelmaier hierbei keine strafbare Handlung nachzuweisen war, wurde die Angelegenheit nicht weiter verfolgt, auch weil, wie der Landrat am 11. April 1940 bemerkte, sich Dangelmaier „zweifellos irgendwie herausreden“ (ebd.) würde. Anfang Januar 1942 wurden in Oeffingen die Kirchenglocken eingezogen, während Dangelmaier laut eigener Angabe sich zu einem notwendigen Verwandtenbesuch in Ulm befand. Doch seine Abwesenheit wurde ihm als Protest gegen diese Maßnahme ausgelegt. Ein Verhör durch die Gestapo folgte. 1942 wurde er dann vor dem Sondergericht Stuttgart angeklagt: Dangelmaier hatte auf einem Stammbaumgesuch den Hitler-Gruß durchgestrichen, eine wohl impulsive Reaktion, die von der Gesuchstellerin zur Anzeige gebracht wurde. Er wurde hierfür zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, dann aber begnadigt; die Gefängnisstrafe wurde in eine Geldstrafe von 900 RM umgewandelt. Nach eigener Angabe wurde Dangelmaier insgesamt 16 Mal während der gesamten NS-Zeit von der Gestapo verhört.

Dangelmaier stand auch wegen seiner Verbindungen zum ehemaligen württembergischen Staatspräsidenten Eugen Bolz unter Beobachtung der Gestapo. Nach dem Krieg sprach Dangelmaier von einer „jahrelangen Freundschaft“ – die beiden hatten sich spätestens auf den Katholikentagen in Ellwangen und Aalen kennengelernt. Die Besuche von Bolz in Oeffingen und Dangelmaiers Besuche im Haus Bolz wurden schon im September 1936 von Gendarmerie und Stützpunktleiter vermerkt. Wie tief diese Freundschaft oder Bekanntschaft ging, lässt sich nicht erschließen. Sicherlich war sie ein Austausch über politische und kirchlich-religiöse Angelegenheiten. Die jahrelange Bekanntschaft und das Renommee Dangelmaiers als Pfarrer, Redner und auch als ehemaliger KZ-Häftling dürften dazu geführt haben, dass Dangelmaier am 23. Januar 1948 in Stuttgart vor hohen kirchlichen und staatlichen Vertretern die erste Gedenkrede für Eugen Bolz hielt und so das öffentliche Gedenken an den ehemaligen Staatspräsidenten mit initiierte, indem er dessen christliche Handlungsorientierung, Verhaftung, Prozess und Hinrichtung schilderte.

Dem in der Außensicht aufrechten Lebensweg wurde 1954 abrupt ein Ende gesetzt, als Oeffinger Schülerinnen ihrem Schulleiter mitteilten, dass sie vom Pfarrer unsittlich berührt worden seien. Durch die Untersuchung, die der Anzeige folgte, wurde ersichtlich, dass Dangelmaier, so die Anklageschrift des Landgerichts Stuttgart, während des Religionsunterrichts in den Volksschulen Oeffingen, Schmiden und Hegnach, aber auch in der Sakristei und im Pfarrhof in Oeffingen 22 Schülerinnen im Alter zwischen 10 und 14 Jahren „in wollüstiger Absicht“ unsittlich an Brust, Oberschenkel und Gesäß berührt hatte (StAL EL 317 / Zugg. 1983 Bü 682 Az. KLs 25/55). Die Gerichtsakte lässt keinen Zweifel aufkommen, dass Abscheuliches geschehen war. Dangelmaier, der nach Bekanntwerden der Vorgänge Hals über Kopf aus Oeffingen verschwand, wurde im November 1955 in elf Fällen im Sinne der Anklage schuldig gesprochen und zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt; in den übrigen Fällen fand das Gericht keinen eindeutigen Beweis oder setzte das Verfahren vorläufig aus. Die Strafe, die dem milden Urteil folgte, wurde im Laufe des Jahres 1956 auf dem Gnadenweg zur Bewährung ausgesetzt; im Juni 1960 wurde Dangelmaier dann endgültig begnadigt.

Zu Jahresbeginn 1957 übersiedelte Dangelmaier nach Weingarten und von dort Ende 1961 nach Ravensburg. Nach seiner Begnadigung 1960 erhielt er die Erlaubnis des Ordinariats zu seelsorgerischen Aushilfstätigkeiten. Er starb an den Folgen eines Herzinfarkts, der ihn während einer Busfahrt ereilte. Dem Wunsch des Verstorbenen folgend unterblieb eine offizielle Bekanntmachung seines Todes durch das Ordinariat über Todesanzeige und Pressemitteilung.

Quellen:

Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, Ulm, Häftlingsdatenbank http://dzok-ulm.de/haeftlingsdatenbank.html. -Auswahl: DA Rottenburg Personalakte G 1.7.1, Nr. 392; StadtA Fellbach: De-26 A-42, Qu-288, Qu-293, Qu-356, Qu-1255, Qu-1260; StA Ludwigsburg F 210 II Bü 873, F 210 II Bü 952, FL 20/19 Bü 1153, PL 502/34 Bü 21, EL 350/37436, EL 317/ Zugang 1983 Bü 682 Az. KLs 25/55; A des Dokumentationszentrums Oberer Kuhberg, Ulm R 1/60, R 2/418; UA Tübingen 258/2918 und 184/284.

Werke: Staatspräsident Dr. Eugen Bolz als Mann und Staatsmann. Gedenkrede, anlässl. des 3. Todestages am 23. Januar 1948, 1948; Pfarr-Chronik Metzingen [1926 bis 1932]: StadtA Metzingen K 2 Bd. 13, unveröff. MS; Chronik zur Kirchengemeinde Oeffingen, in: StadtA Fellbach De-26 A-42 Fasz. 1, unveröff. MS.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (vor 1930), A Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, Ulm, DZOK, A 164.

Literatur:

Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg, Ulm: Häftlingsdatenbank http://dzok-ulm.de/haeftlingsdatenbank.html. -Auswahl: H.-V. Findeisen, Pfarrer Alois Dangelmaier und der Oeffinger Frauenprotest, in: Rottenburger Jb. für Kirchengeschichte 6, 1987, 263–265; ders., Die Regierung ist uns schon recht, bloß unser Recht wollet mir ...“, in: Beiträge zur Volkskunde in Baden-Württemberg 2, 1987, 217–233; S. Lechner, Das KZ Oberer Kuhberg und die NS-Zeit in der Region Ulm/Neu-Ulm, 1988, 20 f.; M. Adams, Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das KZ Oberer Kuhberg in Ulm, 1933 –1935, 2002, 24–25; R. Renz, Ein geistiges Ereignis in hiesiger Stadt. Zwei Vorträge von Stadtpfarrer Dangelmaier, in: Spuren. Beiträge zur Metzinger Stadtgesch. Nr. 11, Juli 2009, 90–93; F. Raberg, Biographisches Lexikon für Ulm und Neu-Ulm 1802 –2009, 2010, 61; A. Hettinger, Sich der Sache anderer annehmen. Annäherung an den im Dritten Reich verfolgten kath. Pfarrer Alois Dangelmaier (1889–1968), in: Strotmann, A. u.a. (Hgg.), Vergegenwärtigung der Vergangenheit. Festgabe für Joachim Maier, 2010, 93–110; R. Bidlingmaier, Metzingen. Vom Marktflecken zur Outletstadt, 2013, 457–460; R. Renz, Vor 80 Jahren: Zwei Metzinger, Albert Fischer und Alois Dangelmaier, in KZ-Haft, in: Spuren. Beiträge zur Metzinger Stadtgesch. Nr. 17, 2014, 52–65; N. Wenge, Das System des Quälens, der Einschüchterung, der Demütigung … Die frühen württembergischen Konzentrationslager Heuberg und Oberer Kuhberg, in: J. Osterloh, K. Wünschmann (Hgg.), … der schrankenlosesten Willkür ausgeliefert, Häftlinge der frühen Konzentrationslager 1933–1936/37, 2017, 141 f.

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