Schumacher, Tony Antonie Louise Christiane Marie Sophie 

Andere Namensformen:
  • geb. von Baur-Breitenfeld
Geburtsdatum/-ort: 17.05.1848;  Ludwigsburg
Sterbedatum/-ort: 10.07.1931;  Ludwigsburg
Beruf/Funktion:
  • Schriftstellerin
Kurzbiografie: 1856–1864 Privates Töchterinstitut, Ludwigsburg
1875 Heirat und Übersiedlung nach Stuttgart
1883 erste Veröffentlichung
1923 Die Witwe Tony Schumacher kehrt in ihre Heimatstadt Ludwigsburg zurück. Bis zu ihrem Tod widmet sie sich intensiv der Schriftstellerei
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1875 (Ludwigsburg), Karl Friedrich (von) Schumacher (1831–1915), Geheimer Hofrat
Eltern: Vater: Fidel Guntram Maria von Baur-Breitenfeld (1805–1882), General, Gouverneur von Ludwigsburg
Mutter: Lina (Karoline Friederike), geb. Freiin von Kerner (1810–1897)
Geschwister: 6: Fidel; Anna; Karl; Alfons; Elisabeth; eine im Kleinkindalter verstorbene Schwester
GND-ID: GND/117293962

Biografie: Birgit Schäfer (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 266-268

Tony Schumacher gilt als eine der erfolgreichsten Kinder- und Jugendbuchschriftstellerinnen mit Büchern wie „Reserl am Hofe“ (1898), „Ein Wunderkind“ (1903), „Komtesschen und Zirkuskind“ (1914), „Die beiden Trotzköpfe“ (1919), „Das Schloss-Bärbele“ (1925) oder „Nellys Kinder“ (1930). Sie begeisterten in damaliger Zeit insbesondere Mädchen.
Erstmals an die Öffentlichkeit trat Tony Schumacher 1883 mit „Ich gratuliere! Sammlung von Gelegenheitsgedichten, kleinen Scherzen und Aufführungen zu Familienfesten, für unsere Kinderwelt“. 1885 erschien mit „Lottchen und Gertrud oder Großmutters Holzpuppe und der Enkelin Wachspuppe“ eine Verserzählung mit Illustrationen und Bildern nach ihren Zeichnungen. 1895 gelang ihr mit „Mütterchens Hilfstruppen. Eine hübsche Geschichte mit Anleitung wie Knaben und Mädchen im Haushalte helfen können“ der Durchbruch zum Erfolg. Angeregt hatte diese Geschichte in Prosaform ihr Stuttgarter Verleger Max Levy. Von da an prägte Schriftstellerei ihr Leben. Jedes Jahr ein „Schumacherle“ wurde zum geflügelten Wort. Ihre Lesergemeinde erwartete dies besonders zu Weihnachten, auch die mit Buchvorschlägen aufwartenden Verleger.
Ihre Geschichten mahnen zu Redlichkeit, Bescheidenheit, Hilfsbereitschaft und Pflichtgefühl. Ihre Lebensbilder zeigen oftmals selbstverschuldet oder schuldlos in Not oder Unglück geratene Menschen. Tony Schumachers Credo ihrer Tugenden verhieß Schicksalswendung, Linderung von Leid sowie Glück oder Erfolg. Dabei verstand sie sich auf die Empfindungen und Gedankenwelt von Kindern und Heranwachsenden, um sie für ihre Botschaften und Appelle empfänglich zu stimmen.
Tony Schumacher wuchs in behüteten, geordneten Verhältnissen auf. Ihr Vater, angesehener und ranghoher Militär, vermittelte Pflichtgefühl und Gehorsam. Ihre Mutter, geborene Freiin von Kerner, war eine Nichte des Dichters Justinus Kerner. In ihren autobiographischen Erzählungen widmete Tony Schumacher ihm, der sie zum schreiben anspornte, ein Kapitel. Als Tochter des gehobenen Bürgertums, vorbestimmt für Ehe und Familie, wurde sie standesgemäß erzogen, erhielt Privatunterricht und besuchte die höhere Töchterschule in Ludwigsburg, wo die Familie, mit kurzer Unterbrechung in Stuttgart, lebte. Früh entfaltete sie neben der Dichtkunst zeichnerisches Talent. Bis zu ihrer Heirat im Alter von 27 Jahren blieb sie, das jüngste Kind, im Elternhaus. Mit ihrem 17 Jahre älteren Ehegatten Hofrat Friedrich Schumacher, als Geheimrat in Diensten von Familienmitgliedern des königlichen Hauses Württemberg mit persönlichem Adelstitel ausgezeichnet, übersiedelte sie nach Stuttgart. Die Ehe blieb kinderlos. Mit Hingabe nahm sie sich fremder Kinder an, unterstützte und förderte sie. Als die 75-Jährige, seit 1915 verwitwet, in ihre Geburtsstadt Ludwigsburg zurückkehrte, dort eine zur Wernerschen Kinderheilanstalt gehörige Wohnung bezog, galt ihre Fürsorge bis zuletzt den behinderten und kranken Kindern.
Kindheit steht auch im Zentrum ihrer Erinnerungen. „Was ich als Kind erlebt“ (1901), ihr erster autobiographischer Band, aus dem „Aus frühester Jugendzeit“ (1923) und „Mein Kindheitsparadies. Erinnerungen an meine Vaterstadt“ (1924) hervorgingen, denen „Was mein einst war“ (1925) folgte. Eng verknüpft mit dem Leben in der Stadt Ludwigsburg und den Menschen, denen sie begegnete, sind dies reizvolle kulturhistorische Quellen zur Stadtgeschichte. Einen anderen autobiographischen Band, „Wie ich zu meiner Puppensammlung kam“ (1929), widmete sie ihrer Sammelleidenschaft, neben Krippen und Tassen bezeichnenderweise Puppen, zusammengetragen aus aller Welt; Teile ihrer Sammlung sind im Württembergischen Landesmuseum und im Städtischen Museum Ludwigsburg aufbewahrt.
Neben Vers- und ausführlichen Bucherzählungen, Kurzgeschichten und autobiographisch-historischen Erinnerungen verfasste sie sogenannte Plaudereien, wie sie als Untertitel beispielsweise „Du und deine Hausgenossen“ (1897), „Vom Schulmädel bis zur Großmutter“ (1900), „Spaziergänge ins Alltagsleben“ (1902) und „Überlegs“ (1903) beigegeben wurden. An Erwachsene gerichtet, reflektiert sie hierin ratgebend Dinge des Alltags und Lebensfragen.
Erlernen von Lebensbewältigung war Tony Schumacher ein Anliegen. Ihre ersten, deutlich pädagogisch ausgerichteten Kinderbücher wie „Mütterchens Hilfstruppen“ (1895), „Schulleben“ (1897) und „Keine Langeweile“ (1899) sind mit praktischen Anleitungen verknüpfte Erzählungen, verwandt mit den Anstandsbüchern jener Zeit. Ihnen folgen, einsetzend mit „Reserl am Hofe“ (1898), reine Erzählungsbücher. Sie transportieren mittels Handlung und Charakteren Vor- und Nachteile von Lebensmustern und zeigen über Irrungen und Wirrungen hinweg die Entwicklung zu gesellschaftsanerkannter und positiver Lebensführung. Tony Schumachers Geschichten berühren alle sozialen Klassen. Fremdartig und exotisch wirken Zigeuner und Artisten, die Sehnsucht nach Ausbruch aus Konformität hervorrufen, aber als Außenseitertum, oft auch mit negativen Eigenschaften stigmatisiert werden. Auch das Mulattenkind Nelly, eine über mehrere Bände fortgesetzt geschilderte Hauptperson, ist in der von Schumacher charakterisierten Wildheit nicht vorbildlich, durchläuft aber eine Läuterung zu angepasstem Verhalten. Schicksale zu meistern ist Lebensziel. Dies zeigen auch ihre kranken und verkrüppelten Kinder, für die sie besondere Zuneigung fordert und denen sie in ihrer Rolle der Duldsamkeit Nachahmungscharakter verlieh. Hier floss Tony Schumachers eigene Erinnerung ein, als sie eine orthopädische Behandlung in der Wernerschen Kinderheilanstalt erhielt.
Tony Schumachers Beliebtheit, besonders bei Mädchen, denen die weiblichen Rollen Identifizierungsmuster boten, belegen eine Flut von Zuschriften. Hunderte von Postkarten und Briefe übergab sie jahrgangsweise gebunden 1919 der Württembergischen Landesbibliothek. Die Zuschriften resultieren aus ihren persönlich und verständnisvoll gehaltenen Nachworten, mit der Aufforderung, ihr zu schreiben – eine besondere Art der Leserbindung, gefördert mit Geschenkbildchen der Verlage als Beilage für Tony Schumachers Rückantworten.
Gehorsam, Disziplin, Heldinnen mit Attributen wie pflichtbewusst und lebenstüchtig kamen auch nationalsozialistischem Gedankengut entgegen. Tony Schumachers Bücher blieben gefragt. Die Zensur korrigierte allerdings missliebige oder widerstrebende Passagen, so um die dunkelhäutige Nelly, oder auch in Tony Schumachers „Wenn Vater im Krieg ist“ (1915), „Vater noch im Kriege“ (1916), deren patriotisch-nationalistische Tendenz überhöht wurden, selbst ihr Nachwort unterlag Eingriffen.
Tony Schumacher war bis in die 1950er Jahre beliebt, danach wirkte und wirkt ihr Tugendkatalog befremdlich und unzeitgemäß trotz allgemeingültiger Elemente, ihr Stil missionarisch und moralisierend, fragwürdig auch ihre Geschichten vor dem Hintergrund von Standesunterschieden, Armut, Elend und Krieg, die deren Wurzeln übersahen, eine Kritik, mit der sich neueste Publikationen befassen, war Tony Schumacher doch Zeitgenossin sich verändernder Gesellschaft und politischer Umwälzungen in Erstem Weltkrieg und Weimarer Republik. Vereinzelt erschienen in jüngster Zeit Neuauflagen. Breiten Zuspruch fanden drei ihrer erfolgreichen Titel in Verfilmungen 1984 bis 1986 als unterhaltsame Erzählstoffe vergangener Zeit: „Reserl am Hofe“, „Cirkuskinder“, „Das Turmengele“.
Quellen: Schriftlicher NL mit Briefwechsel, Verserzählungen und Prosatexten sowie Manuskripte für Sendungen über und mit Tony Schumacher im Rundfunk 1928–1931, Zeichnungen, Puppensammlung im Städtischen Museum Ludwigsburg; Briefe und Karten an Theobald Kerner, Christian Wagner, Auguste Supper u. a., im DLA Marbach.
Werke: Aiga Klotz, Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland 1840–1950. Gesamtverzeichnis der Veröff. in deutscher Sprache, Bd. IV (R–S) (Repertorien zur Deutschen Literaturgeschichte, hg. von Paul Raabe, Bd. 14), 1996, 318–324; Bibliographie Tony Schumacher, zusammengestellt von Rolf und Heide Augustin, in: Rolf und Heide Augustin, Gelebt in Traum und Wirklichkeit. Biographie und Bibliographie der einst berühmten Ludwigsburger Kinderbuchautorin Tony Schumacher – eine Recherche (Kinder- und Jugendkultur, -literatur und -medien. Theorie – Geschichte – Didaktik, Bd. 20), 2002.

Literatur: (Auswahl) Anne Rooschüz, Tony Schumacher. Ein Lebensbild, 1931; Walter Hagen, Aus Leben und Werk von Tony Schumacher (1848–1931), in: Ludwigsburger Geschichtsblätter, H. 17 (1965), 147–164; Carla Kramer, Tony Schumacher, geb. von Baur-Breitenfeld. Jugendbuchautorin, 1848–1931, in: Lebensbilder aus Schwaben und Franken, Bd. 14, 1980, 386–415; Andrea Berger-Fix, Tony Schumacher, in: Das Buch der Unteren Stadt, 1893–1993, Hundert Jahre Bürgerverein der Unteren Stadt Ludwigsburg e.V. 1893, 1993, 211–224; Rolf und Heide Augustin, Gelebt in Traum und Wirklichkeit. Biographie und Bibliographie der einst berühmten Ludwigsburger Kinderbuchautorin Tony Schumacher – eine Recherche (Kinder- und Jugendkultur, -literatur und -medien. Theorie – Geschichte – Didaktik, Bd. 20), 2002; Andrea Hahn, Ludwigsburg – Literarische Spuren. Kerner, Mörike, Schiller, Tony Schumacher, Strauß, Vischer, 2004; Jutta Schödel, Erziehung im Untertanengeist – wider Willen?, Tony Schumacher (1848–1931) (Kinder- und Jugendkultur, -literatur und -medien, Theorie – Geschichte – Didaktik, Bd. 28), 2004; Albert Sting, Tony Schumacher, in: Geschichte der Stadt Ludwigsburg. Bd. II, Von 1816 bis zum Kriegsende 1945, 2. Aufl., 2005, 478 f.; Rolf und Heide Augustin, Aus Tony Schumachers Leben, Geschichten und Begegnungen, 2006; Monika Bergan, Ludwigsburger Frauenportraits. Biographisches aus vier Jh., 2006; Irmgard Wagner, Kaiserreich und Republik in Tony Schumachers Jugendbüchern. Eine literarisch-kulturgeschichtliche Zeitreise, 2006; Irmgard Wagner, Tony Schumacher, in: Autorinnen in Stadt und Kreis Ludwigsburg vom 18.– 20. Jh., 2007, 28–38.
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