Schneider, Hermann Martin 

Geburtsdatum/-ort: 15.04.1879;  Heilbronn
Sterbedatum/-ort: 19.05.1955;  Heilbronn
Beruf/Funktion:
  • Weingärtner, MdL-FDP/DVP
Kurzbiografie:

1885–1892 Knabenschule in Heilbronn

1892–1894 Winterabendschule in Heilbronn, anschließend Winzer

1929–1935 Ausschussmitglied des Württembergischen Weinbauvereins

1930–1934 Vorstand der „Weingärtnergesellschaft 1888 Heilbronn“

1933–1935 Mitglied des Gemeinderates von Heilbronn

1934 Mitglied im Reichsweinbeirat

1945 Mitglied im Beirat (vorläufigem Gemeinderat) Heilbronn

1946–1955 Mitglied des Stadtrats Heilbronn

1946–1952 Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung und des Landtags von Württemberg-Baden

1946–1955 Vorstandsvorsitzender der Teilnehmergemeinschaft der Flurbereinigung Heilbronn

1948–1955 Vorstandsmitglied der Landeszentralgenossenschaft Württembergischer Weingärtnergenossenschaften, LZG, der Weinbau-Abteilung der deutschen Landwirtschaftsgesellschaft, DLG, in Frankfurt am Main und im Weinbau-Ausschuss des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung

1947–1955 Vorstand bzw. Präsident des Weinbauvereins bzw. Weinbauverbandes Württemberg-Baden e.V.

Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Auszeichnungen: Ehrungen: Ehrenmitglied der LZG (1950); Ehrenvorstand der LZG (1952); Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (1952); Hermann-Schneider-Weg im Heilbronner Weinbaugebiet (1958).
Verheiratet:

1902 (Heilbronn) Luise Karoline, geb. Zapf (1878–1954)


Eltern:

Vater: Heinrich (1848–1929), Weingärtner

Mutter: Wilhelmine, geb. Haag (1850–1917)


Geschwister:

6; Wilhelm (geb. 1874), Pauline (1875–1900), Lisette (1876–1901), Marie (1882–1944), Karl (1884–1920) und Gustav (geb. 1889)


Kinder:

12; Pauline, Emma, Heinrich, Marie, Martl, Karl, Lisbeth, Berta, Hermann, Siegfried, Luise und Gustav

GND-ID: GND/1012579026

Biografie: Michael Kitzing (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 489-492

Heilbronn wurde über Jahrhunderte durch den Weingärtnerstand geprägt, darum wurde er als „der Stand“ in der Stadt bezeichnet und Schneider gehört zu den herausragenden Vertretern dieses Standes; denn er ist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch Erfolge bei der Auslese und Züchtung von Trollinger, Schwarzriesling, Clevner und als Entwickler des „Samtrot“ hervorgetreten. War die Heilbronner Weinproduktion im 19. Jahrhundert durch eine kaum mehr überschaubare Sortenvielfalt geprägt, so setzte Schneider erfolgreich auf Konzentration: wenige, qualitativ hochwertige und zugleich ertragreiche Sorten.

Für den Erhalt seines Standes und die Artikulation seiner Interessen hat er sich mannigfach eingesetzt, in der Politik und im Verbandswesen, und er hat besonders in den ersten Nachkriegsjahren Wesentliches auf kommunaler wie Landesebene geleistet.

Schneider besuchte die Volksschule in Heilbronn, dann die vom Weingärtnerverein geführte Winterabendschule. Sein Vater und sein älterer Bruder Wilhelm haben ihn dabei gelenkt.

Der Heilbronner Trollinger neigte dazu, im Laufe der Jahre wegen unkontrollierter vegetativer Vermehrung an Ertrag und Qualität einzubüßen. 1890 war Schneiders Bruder Wilhelm in der elterlichen Lage „Stahlbühl“ auf einen Trollingerstock aufmerksam geworden, der unabhängig von der Witterung jedes Jahr reichen und qualitativ vollen Behang aufwies. Wilhelm Schneider folgte nur der Regel, die der erste Leiter der Weinbauschule in Weinsberg, Christian Single (1816–1869), formuliert hatte: „Dass man die guten und fruchtbaren Stöcke auszeichnet und nur von diesen die Schnittlinge zur Nachzucht sammelt“ (zit. bei Otto Haag, 1984, S. 1). Mit dem im „Stahlbühl“ entdeckten Mutterstock züchtete er weiter. Diese Züchtungen wurden von Schneider aufgegriffen, der Beobachtungsgabe wie Beharrlichkeit bei der Zucht besaß. Bald jedoch stellte er fest, dass die Abkömmlinge dieses Mutterstocks trotz hoher Qualität auch einen Nachteil hatten: sie waren spätreifend, also in Jahren mit frühem Frost gefährdet. Darum verwarf er den Mutterstock vom „Stahlbühl“ und züchtete mit anderen Stöcken weiter, die sich auch durch hohen und qualitativ guten Ertrag auszeichneten, aber früher reiften. Schließlich legte Schneider „mit etwa 36 vorbeobachteten, dann ausgesuchten Trollingerstämmen […] eine Vergleichsanlage an, in der unter gleichen Bedingungen vom Jahrgang 1915 bis zum Jahrgang 1919 jeder einzelne Stock auf Gesundheit und Wuchskraft, auf Mengenertrag und außerdem noch auf die Leistung im Mostgewicht geprüft und bewertet wurde“ (ebd., 2 f.). In den folgenden Jahren vollzog Schneider einen zweiten Durchgang mit „etwa 16 von mehreren hundert Stöcken […] nochmals zur Prüfung“ (ebd.). Da seine eigenen Kapazitäten nicht mehr ausreichten, ließ er sich von benachbarten Winzern unterstützen und konnte nach mehreren Jahren mit diesem Selektionsverfahren die Trollingerklone 4/7 und 29/5 züchten, die heute die Grundlage für den Trollingeranbau in Württemberg bilden.

Ähnlich hat sich Schneider um den Erhalt der Nobelsorte Clevner verdient gemacht, indem er die überaus leistungsfähigen Klone 47/1 und 49/8 heranzog. Im Bereich des Schwarzrieslings entwickelte er den Klon C 26/8. Diese Sorte wurde 1924 als erste, bis 1934 einzige Sorte aus Württemberg in das Hochzuchtregister der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft aufgenommen und als „Schwarzriesling-Schneider“ bekannt.

Regelmäßig pflegte Schneider die Entwicklung der Weinberge anderer Winzer, die mit seinem Schnittgut bestückt wurden, zu prüfen, wobei er 1928 im Weinberg von Wilhelm Albrecht, der mit dem von ihm gezogenen Klon C 26/8 bestockt war, eine überaus interessante Mutation entdeckte. Diese Mutation war, wie der Neffe Schneiders, Otto Haag, feststellte, „samtiger, weicher, wärmer als der Schwarzriesling“ und wies ein „eigenes, besonders feines Bouquet“ (ebd. S. 8) auf. Damit war 1928 der „Samtrot“ entdeckt. Er wurde danach gezielt weitergezüchtet.

In den 1920er Jahren trat Schneider als Vorkämpfer für den heimischen Edelweinbau auf, also gegen die Pflanzung von Hybridwein. Hybridwein entstand aus der Kreuzung amerikanischer und europäischer Reben, die dem Anspruch nach besondere Widerstandskraft gegen die Reblaus und Peronospora besitzen sollten. Er wurde besonders von Nebenberufs-Winzern in Württemberg, auch in der Pfalz und in Baden angebaut und hat nach Schneiders Überzeugung dem Weinbau geschadet. Er wollte die weitere Verbreitung der Hybridreben wegen ihrer schlechteren Qualität unterbinden. Außerdem waren nach Schneiders Überzeugung die Hybridreben entgegen anderslautender Behauptung anfällig gegen die Kräuselkrankheit, die Schild- und Reblaus, die die Hybrid-Reben wie die heimischen Reben an der Wurzel und an den Blättern befiel. Diese Überzeugung Schneiders hat sich durchgesetzt, der Anbau von Hybriden wurde mit knappster Mehrheit vom württembergischen Landtag untersagt.

Seit Beginn der 1930er Jahren war der erfolgreiche Züchter Schneider auch im Verbandswesen tätig. Er war 1929 Ausschussmitglied des württembergischen Weinbauernvereins geworden und 1930 bis 1934 Vorstand der „Weingärtnergesellschaft 1888 Heilbronn“. Von 1933 bis 1935 gehörte der dem Heilbronner Stadtrat an und gab erste Impulse für eine Rebflurbereinigung, bevor ihn die Nationalsozialisten dort hinausdrängten.

Die Jahre des „Dritten Reiches“, besonders der II. Weltkrieg, waren durch den Verlust je zweier Söhne und Schwiegersöhne geprägt. Während der Bombardierung Heilbronns am 4. Dezember 1944 wurde Schneiders Anwesen in der Heilbronner Lix-Straße zerstört, die Schwiegertochter mit drei Enkelinnen kam ums Leben. Schneider selbst verbrachte die Bombennacht zusammen mit 16 Enkeln in einem Weinbauhäuschen. In dieser Nacht soll er den Entschluss gefasst haben, sich nach dem Krieg wieder in der Kommunalpolitik zu engagieren.

1945 gehörte Schneider bereits dem ersten, ernannten Gemeindebeirat Heilbronns an, von 1946 bis 1955 wurde er dann in den Stadtrat gewählt. Von 1946 bis 1952 gehörte er auch der Verfassunggebenden Landesversammlung, dann dem Landtag von Württemberg-Baden an. Vor allem aber ist Schneider als Gründungsvorsitzender des Weinbauernvereins Württemberg-Baden hervorgetreten. Seine Motivation für diese Gründung war, dass in den 1920er Jahren sämtliche Gesetze im Reichs- und Landtag, die den Weinbau betrafen, fachlich durch den württembergischen bzw. deutschen Weinbauverein begleitet wurden. Auch jetzt, in der Nachkriegszeit, könne man keine Gesetze machen, die ohne die Einbeziehung der Weingärtner zustande kämen. Der neue Verein gab die Zeitschrift „Rebe und Wein“ heraus, weil „Der Weinbau“ 1935 eingestellt worden war.

Im lokalen Rahmen hat Schneider wesentliche Impulse für die Rebflurbereinigung gegeben. Auf ihn geht die Anlage eines ganzen Wegenetzes in den Reben zurück, wobei Weinberghohlwege mit dem Trümmerschutt der Stadt aufgefüllt wurden. So wurde eine rationelle Bewirtschaftung der Weinberge ermöglicht. Nebenbei entstand eine reizvolle Umgebung für Spaziergänger. Schneider gründete auch eine neue, große Genossenschaftskellerei und sorgte dafür, dass die Mergelgruben am Fuße der Weinberge zu Wasserauffangbecken ausgebaut wurden.

Auf regionaler und Bundesebene sorgte Schneider dafür, dass Winzer zum Ausbildungsberuf wurde. Die Weinbaugehilfenprüfung geht auf seine Anregung zurück. Genauso verdankt die Vermarktung des Weines Schneider viel. Während seiner Präsidentschaft wurde 1950 erstmals eine württembergische Weinkönigin gewählt, die für den heimischen Rebensaft werben sollte. Im Vordergrund freilich standen damals finanzielle Sorgen der Winzer, besonders während der Währungsreform. 1948 war die Weinernte gut ausgefallen, so dass hohe Abgaben fällig wurden. Hier sorgte der Verbandspräsident für Stundungen und erreichte, dass die Abgaben auf mehrere Jahre verteilt wurden.

Neben der Verbandstätigkeit war Schneider vielen Organisationen vertreten: er war Mitglied des Weinbauausschusses des Bundeslandwirtschaftsministeriums, der Weinbauabteilung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft in Frankfurt und der Landeszentralgenossenschaft Württembergischer Weingärtnergenossenschaften, wo er, wie der Nachruf in „Rebe und Wein“ schreibt, für „Fragen der Handelsverträge, des Zollschutzes, Import- und steuerpolitischen Fragen“ zuständig war (Präsident Hermann Schneider gestorben, 1955, S. 50).

Zugleich interessierte sich Schneider für die Geschichte und Soziologie des Weinbaus seiner Heimatstadt und schrieb mehrere historische Abhandlungen, die in „Rebe und Wein“ und im Jahrbuch des Historischen Vereins Heilbronn veröffentlicht sind.

Noch auf einem ganz andreren Gebiet ist Schneider hervorgetreten. Da von 1906 bis 1916 Weinernten immer schlecht ausgefallen waren, war er zunächst nebenbei als Viehzüchter tätig, konzentrierte sich aber schließlich auf die Ziegenzucht. Nach dem Krieg wurde er auch Präsident des Ziegenzüchterverbandes Württemberg-Baden und konnte sogar ein Patent für eine Ziegen-Futterkrippe anmelden.

Bis in seine letzten Lebenstage blieb Schneider politisch interessiert. Er meldete sich in seinen letzten Lebensmonaten mindestens einmal wöchentlich bei Oberbürgermeister Paul Meyle und bezog zu Fragen des Weinbaus in Heilbronn, aber auch zu allgemein politischen Fragen in der Stadt Stellung. Ein letzter Höhepunkt in seinem Leben war im Spätsommer 1954 der deutsche Weinbaukongress in seiner Heimatstadt.

Mit 76 Jahren starb Schneider durchaus überraschend bei einer Operation. An seinem Grab wurde er von Vertretern aller Parteien als überragende Winzerpersönlichkeit gewürdigt. Theodor Heuss, der durch seine Promotion zum Weinbau in Heilbronn mit Schneiders Vater persönlich enger bekannt geworden war, kondolierte in einem Telegramm und brachte seine Anerkennung zum Ausdruck.

Quellen:

HStA Stuttgart J 150/242 Nr. 34 b, Spar-Ziegenkrippe „Praktisch“ - Werbe- und Informationsmaterial dazu; StadtA Heilbronn D 125, Bestand Weingärtner Hermann Schneider 1879–1955; E 001–327, Notizen und Manuskript für eine Chronik der Heilbronner Weingärtner von Hermann Schneider, ZS – 1065, Weinbauverband Württemberg, ZS – 10366, Schneider, Hermann Martin; Verhandlungen der Verfassunggebenden Landesversammlung für Württemberg-Baden, 1946; Verhandlungen des I. Württemberg-Badischen Landtags 1946–1950; Verhandlungen des II. Württemberg-Badischen Landtags 1950–1952; Rebe und Wein. Mitteilungen des Weinbauverbandes Württemberg-Baden 1948–1955.

Werke: Zum Protest der pfälzischen Hybriden-Pflanzer, in: Neckar-Zeitung vom 17.5.1930; Der Heilbronner Weingärtner im Wandel der Zeiten, in: Historischer Verein Heilbronn, Jubiläumsschrift, 1951, 150–179. Manuskripte über Forschungen und Aufsätze, in: StadtA Heilbronn D 125–6.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (o. J.) S. 481, Fotosammlg. StadtA Heilbronn, Foto: Mangold.

Literatur:

Menge und Güte schließen einander nicht aus, in: Heilbronner Stimme vom 8.1.1953; Um die Ziegenzucht verdient gemacht, ebd. vom 25.4.1953; Chronik, in: Stuttgarter Nachrichten vom 21.8.1953; Bildnis eines Weingärtners, in: Heilbronner Stimme vom 15.4.1954; Frau Luise Schneider †, ebd. vom 17.4.1954; Weingärtner Hermann Schneider †, ebd. vom 20.5.1955; Nachruf des Oberbürgermeisters der Stadt Heilbronn anlässlich der Beisetzung von Stadtrat und Gemeinderat Hermann Schneider am 21.5.1955, ungedr. Manuskript, in: StadtA Heilbronn ZS–10366; Präsident Hermann Schneider †, in: Rebe und Wein Nr. 5 vom Mai 1955, 50 f.; Zeugnisse der Verehrung für Hermann Schneider, in: Heilbronner Stimme 23.5.1955; Eine Ehrung des ganzen Weingärtnerstandes, in: Amtsblatt der Stadt Heilbronn vom 7.11.1958; Otto Haag, Die Anfänge der Rebenselektion, ungedr. Manuskript 1984, in: StadtA Heilbronn ZS–10366; Als Hermann Schneider den Samtrot entdeckte, in: Heilbronner Stimme vom 23.10.1985; Hubert Weckbach, Clevner gegen Hybriden, in: Heilbronner Köpfe 1, 1998, 134–141; Ziehvater für Reben und Demokratie, in: Heilbronner Stimme vom 24.5.2000; Otto Linsenmaier, Vom Schwerarbeiter zum Unternehmer, 2000; 1825–2000. 175 Jahre Weinbauverband Württemberg e.V., 2000; Gedenken an Hermann Schneider, in: Heilbronner Stimme vom 12.5.2005; Mehr als Glücksfall für den Weinbau, ebd. vom 23.5.2005; Richard Hachenberger/Gerhard Götz/Bernd Hill, Hermann Martin Schneider Urgestein eines schwäbischen Wengerters, in: Persönlichkeiten des Weinbaus in Württemberg Bd. 2, 2005, 29–40; https://www.geschichte-des-weines.de/index.php?option=com_content&view=article&id=508:schneider-hermannmartin–1879–1955&catid=45:persoenlichkeiten-a-z&Itemid=83 (eingesehen am 5.6.2017).

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