Gumbel, Abraham 

Geburtsdatum/-ort: 21.10.1852;  Stein/Kocher
Sterbedatum/-ort: 25.12.1930;  Heilbronn
Beruf/Funktion:
  • Bankier, Gründer des Bankvereins Heilbronn (heute Volksbank Heilbronn)
Kurzbiografie: 1852–1861 Kindheit und Schule in Stein/Kocher
1862 Einbürgerung nach Heilbronn, Besuch des Karlsgymnasiums
1870 (?) Eintritt in die väterliche Bank Gebr. Gumbel
1878 Eintritt in die SAP (seit 1890 SPD); Wegzug nach Reutlingen, dort Eröffnung eines Wechselgeschäfts, ab 1879 Bankgeschäft mit Versicherungsagentur
1880 Auswandereragentur als weiterer Geschäftszweig
1881 Entzug der Konzession aufgrund angeblichen Verstoßes gegen das Sozialistengesetz, Auswanderung nach Frankreich
1887 Rückkehr in die väterliche Bank I. Gumbel am Markt
1889 Übernahme der Bank, Austritt aus der SAP
1907 Bank wird Filiale der Stahl&Federer AG Stuttgart, Abraham Gumbel ist Filialleiter
1909 Gründung des Bankvereins Heilbronn GmbH
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr.
Mitgliedschaften: Mitgliedschaft: SAP
Verheiratet: 1889 (Heilbronn) Elise, geb. Aron (geboren 26.12.1868, Freudental, gestorben 3/1938, Stuttgart)
Eltern: Vater: Isaak Gumbel, Bankier in Heilbronn (15.12.1823–15.1.1891)
Mutter: Güta, geb. Stern (15.1.1829–16.9.1897)
Geschwister: 8: 7 Brüder, 1 Schwester
Kinder: 3:
Anna (geboren 3.1.1890, Heilbronn,gestorben 1941, Riga);
Hans (geboren 26.5.1891 Heilbronn);
Max (geboren 2.7.1893 Heilbronn, gestorben 25.8.1914, Matton)
GND-ID: GND/1068229004

Biografie: Wilhelm G. Neusel (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 80-83

In Gumbels Biographie gibt es einige weiße Flecken, besonders die Jugendzeit und die 1880er Jahre betreffend. Die wegen der fast totalen Zerstörung Heilbronns im Zweiten Weltkrieg lückenhafte Aktenlage lässt unklar, ob Gumbel das Gymnasium nach dem Abitur oder vorzeitig verlassen hat, um eine Ausbildung bei Gebrüder Gumbel, der Bank des Vaters Isaak Gumbel und dessen Bruder Max, – seit 1860 in Heilbronn ansässig –, zu absolvieren. 1877 wird Abraham Gumbel im Heilbronner Adressbuch mit der Berufsangabe „Commis“ geführt, üblich für Handlungsreisende oder Vermittler, die im eigenen Namen für fremde Rechnung Waren oder Wertpapiere handelten. Damit hat Abraham Gumbel eine führende Position in der Bank inne, was seinen Onkel Max dazu bewogen haben mag, sich vom Bruder zu trennen und mit seiner Frau Lina, geb. Kiefe, 1877 das Bank- und Wechselgeschäft Gumbel-Kiefe zu gründen, ebenfalls in Heilbronn.
Abraham Gumbel war früh sozialdemokratisch geprägt und hatte sich in Heilbronn dem seit 1874 bestehenden Ortsverein der SAP angeschlossen, als dessen intellektueller Kopf er galt. Allerdings ist er – mit Rücksicht auf die väterliche Bank – persönlich in der politischen Agitation kaum in den Vordergrund getreten, sondern hat dem Sprecher der Heilbronner Sozialdemokraten, Gustav Kittler, zugearbeitet: Dessen Propagandaschriften tragen erkennbar Gumbels Handschrift. Der junge Bankier wirkte nach innen und erläuterte in wöchentlichen Mitgliederversammlungen den Genossen die theoretischen Grundlagen des Sozialismus, brachte ihnen die Werke der deutschen Klassiker näher und hatte damit eine Art Arbeiter-Bildungsverein eingerichtet.
Mit dem am 22. Oktober 1878 verkündeten „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ sahen sich Kittler und Gumbel der Verfolgung ausgesetzt. Jetzt waren „Vereine, welche durch sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung bezwecken, … zu verbieten“. Die erst vor kurzer Zeit mühsam erreichte Vereinsfreiheit wurde eingeschränkt. Bereits vor dem Gesetzesbeschluss waren die württembergischen Oberämter angewiesen worden, die Sozialdemokraten schärfstens zu beobachten. Das Sozialistengesetz wurde hier, wie W. Schmierer schreibt, „mit schwäbischer Gründlichkeit vollzogen“ und die Arbeiterbewegung in die Illegalität zurückgedrängt. Während Kittler in Heilbronn blieb, wechselte Gumbel nach Reutlingen, sicher nicht wegen der scharfen Sozialistenbeobachtung in Württemberg, wie hier und da vermutet wird: Reutlingen war ja wie Heilbronn württembergisch.
Die Entwicklung in Heilbronn mag aber den Weggang beschleunigt haben, sicher auch der Wunsch, anderswo berufliche Erfahrungen zu sammeln, um sich auf die Übernahme der väterlichen Bank vorzubereiten. In Reutlingen gründete Gumbel ein Wechsel- und Bankgeschäft, erweiterte es bald um eine Versicherungs- und später auch noch Auswandereragentur. Die Sozialistengesetze hatten einen Auswanderer-Boom entfacht: 1880 sind allein über Hamburg 68 887 Deutsche nach Übersee gegangen – gegenüber nur 24 864 im Jahr davor. Das Vermitteln von Schiffspassagen war ein einträgliches Geschäft. Gumbel, der in Reutlingen nach eigener Angabe nur an einer Versammlung der SAP teilgenommen hatte, wurde aufgrund der Aussage eines Polizeiwachtmeisters (Gumbel sei „ein rühriges Mitglied und Leiter der (sozialist.) Partei“) die Konzession für das Auswanderungsbüro entzogen, ausdrücklich mit der Begründung, er sei Sozialdemokrat. Die Beschwerde an das „Hohe Ministerium“ darüber („Mit der Concession hat man mir mein Brod entzogen!“) blieb erfolglos. Gumbel wanderte nach Paris aus.
Er mischte sich aber weiter in die politische Diskussion ein mit Leserbeiträgen in der Zeitschrift „Der Sozialdemokrat“, die wegen des Sozialistengesetzes nicht in Deutschland, sondern in Zürich erschien und im Deutschen Reich nur unter der Hand verbreitet werden konnte. Man diskutierte heftig die Börsensteuer, die Bismarck einführen wollte, von der SAP aber abgelehnt wurde. Gumbel dagegen hielt diese Steuer für gut und vertraute auf Bismarcks Zusage, dann indirekte Abgaben, die vor allem Ärmere überproportional belasteten, abzubauen. Gerade das zog die Parteispitze in Zweifel und hielt dieses Bismarcksche Angebot für einen Bauerntrick, auf den er, Gumbel, der doch „behauptet, ein Sachverständiger zu sein“, hereinfalle: „Anstatt zu untersuchen, was die geplante Börsensteuer wirklich soll, nimmt er unbedenklich ihren angeblichen Zweck als gegeben an, d. h. plumpst er ohne Weiteres in die von den Antisemiten gestellte Falle. Wir hätten ihm als Juden – er verzeihe uns die Indiskretion! – mehr Witz zugetraut.“ Und nach einem weiteren Beitrag Gumbels, der unter dem Pseudonym „Isaacsohn“ (Isaaks Sohn) schrieb, kanzelte ihn die Schriftleitung des „Sozialdemokrat“ ab: „Wenn unser Freund ,Isaacsohn‘, der ja ,vom Handwerk‘ ist, als Geschäftsmann in gleicher Weise spekuliert wie hier als Politikus, so könnten wir ihm nach berühmten Muster nur den wohlgemeinten Rath geben: Gehe hin und laß Dich taufen!“
Über Gumbels Pariser Zeit ist wenig bekannt, doch scheint sie für seine spätere politische Vita prägend gewesen zu sein. Der Streit mit der Partei, die ihn zum Schluss auch noch verunglimpfte, hat Spuren hinterlassen. Dass die eigenen Genossen sich in den Sog des wieder aufkeimenden Antisemitismus haben ziehen lassen, muss ihn schwer getroffen haben. Gumbel ist aus der SAP ausgetreten – eher aus parteipolitischen Gründen als seiner Hochzeit wegen, wie verschiedentlich vermutet wird. Abraham Gumbel ist seinen sozialistischen Überzeugungen dennoch treu geblieben. Er war auch ein überzeugter Deutscher – ein Patriot, jedoch kein Nationalist. Zurück in Heilbronn, übernahm er 1889 die Geschäftsführung von I. Gumbel am Markt und heiratete Elise Aron, die ihm nahezu 20 Jahre als Prokuristin zur Seite stand – eine sehr erstaunliche Karriere für die damalige Zeit.
Gumbels Patriotismus wandelte sich in Pazifismus, lange bevor das Kaiserreich mitschuldig am Flächenbrand des Ersten Weltkriegs wurde, zur Leidenschaft entwickelt nach dem frühen Tod des Sohnes Max, der am 24. August 1914 in Matton tödlich verwundet wurde. Gumbel beschäftigte sich intensiv mit dem Krieg und entwickelte sich zu einem Experten in der Kriegsschuldfrage. Für ihn war klar, dass das Reich nicht in den Krieg „hineingeschlittert“ sei, sondern sich „der liebe Junge“, wie er Wilhelm II. spöttisch nannte, sehr aktiv an den Vorbereitungen beteiligt habe. Nach dem Krieg publizierte Gumbel unter einem weiteren Pseudonym, „emel“, dem hebräischen Wort für „gelungene Mühe“, auch „vergebliche Mühe“, „Mühsal“ und „Elend“ – je nach Kontext. Bevorzugtes Medium war die „Süddeutsche Sonntags-Zeitung“ seines Freundes Dr. Erich Schairer. Hier fand Gumbel das Forum, auf dem er sich analytisch scharf, kritisch und bisweilen an der Grenze zur Verbalinjurie mit der Kriegsschuld und der kaiserlichen Regierung auseinandersetzte. Das deutsche Volk, so Gumbel, sei „von jeder Schuld freizusprechen, die alleinige Schuld aber der deutschen Regierung zuzuweisen.“ Bei den bürgerlichen Vertretern der in ihrem Stolz verletzten Nation, die gerne die „Dolchstoßlegende“ nährten, brachte ihm das keine Freunde ein, auch seine Absage an jeglichen Nationalismus nicht: In seinem Geschäftsbericht 1924 schreibt Gumbel: „Durch den Krieg und die Inflation hat Deutschland seinen Kredit im Ausland verloren. Nun aber steht der Frieden bevor … Deutschland hat daher jetzt gute Aussicht, wieder in die Gesellschaft der Nationen aufgenommen zu werden … Dieser Aussicht droht nur eine Gefahr von deutscher Seite selbst: nationalistische Dummheit.”
So konsequent wie in seinen politischen Anschauungen war Abraham Gumbel auch bei der Verfolgung seiner wirtschaftlichen Ziele. Knapp 20 Jahre nach der Übernahme der väterlichen Bank ist diese 1907 als Filiale in der Stuttgarter Stahl&Federle AG aufgegangen, von Abraham Gumbel geführt. Der hat damals offenbar schon ein anderes Geschäftsmodell im Sinn gehabt. Er verließ Stahl&Federle und gründete 1909 mit dem Heilbronner Bankverein ein neues Institut, das seinen Geschäftsbetrieb im April 1910 aufnahm. Von der Genossenschaftsidee des Hermann Schulze-Delitzsch, der Solidargemeinschaft, war Gumbel sehr überzeugt gewesen, allerdings gründete er sein Bankhaus nicht als Genossenschaft, sondern als GmbH. Der Grund liegt darin, dass nach dem seinerzeitigen Genossenschaftsgesetz noch jeder einzelne Genosse gegenüber Dritten uneingeschränkt haftete, während nach dem GmbH-Gesetz von 1898 die Gesellschafter nur in der Höhe ihrer Einlagen in Haftung genommen werden konnten. Auch Kleinanlegern wurde es so möglich, Gesellschafter der Bank werden, ohne im Haftungsfalle den persönlichen Ruin befürchten zu müssen. Einen ganz wesentlichen Aspekt verantwortlichen Bankwirtschaftens legte Gumbel gleich in den Statuten zur Gründung des Instituts fest: ein absolutes Spekulationsverbot mit Wertpapieren, sei es auf eigene oder auf fremde Rechnung. Gumbel fühlte sich seinen Anlegern verpflichtet und wusste: Spekulationsgeschäfte können sehr profitabel sein, aber ebenso in einem Desaster enden. Letzteres Schicksal hatte wenige Jahre zuvor die Gewerbebank AG ereilt, die durch spekulative Geschäfte ihren Zusammenbruch herbeigeführt hatte. Die vorsichtige Geschäftspolitik Gumbels war ursächlich dafür, dass der Bankverein auch in der schweren Zeit der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg nicht ins Straucheln geraten ist und immer liquide war. Kontinuierlich hat Gumbel die Bank zur weiteren Blüte geführt und am Bankenplatz Heilbronn fest verankert. Die Genossenschaftsidee hatte Abraham Gumbel dabei immer im Blick gehabt, wollte die Überführung seines Instituts in diesen Sektor allerdings nicht mehr selbst einleiten. Die Möglichkeit bot sich einige Jahre später, nachdem die Nazis das Genossenschaftsgesetz geändert und in den Haftungsfragen dem GmbH-Gesetz angeglichen hatten. Selbst die neuen Machthaber haben im Oktober 1933 durch das Heilbronner Tagblatt die „soliden Grundsätze“ dieses „bewährten Instituts“ gelobt – nachdem Gumbels Nachfolger und langjähriger Prokurist Otto Igersheimer, ebenfalls Jude, aus der Bank vertrieben worden und diese, wie es hieß, endlich „entjudisiert“ war. Das mit ansehen zu müssen und den Übergang in die nationalsozialistische Tyrannei zu erleben, ist dem aufrechten Demokraten Abraham Gumbel erspart geblieben.
Abraham Gumbel hat, wie es sein Neffe Emil Julius Gumbel in einem Nachruf zusammenfasste, „nach der Niederlage, die er immer hatte kommen sehen“, wie Eisner den Standpunkt vertreten, „dass nur ein neues Deutschland einen gerechten Frieden erringen könnte. Eine Bekämpfung des Versailler Vertrages war ihm nur auf dieser Grundlage möglich. … Schon früh erkannte er auch die Gefahren des Nationalsozialismus. Er blieb ein Prediger in der Wüste. … Er liebte die Wahrheit; er war aufrecht und frei.“
Quellen: Der Sozialdemokrat“, Zentral-Organ der deutschen Sozialdemokratie, Jahrgänge 1883 – 1886, Univ.bibl. Tübingen, 12 D 1 – 2; Bernhard Müller, Bankenplatz Heilbronn, Materialsammlung für den Unterricht; Helmut Riegraf, Abraham Gumbel – sein Leben und Wirken (Materialsammlung für eine Lebensbeschreibung), als Manuskript Heilbronn 1983; Bernd Serger/Karin-Anne Böttcher, Es gab Juden in Reutlingen. Materialien zum Buch, StadtA Reutlingen; Martin Uwe Schmidt, Materialien zur Familie Gumbel (Manuskript) Heilbronn 2007.
Werke: Wie stellen wir uns zur Börsensteuer, in: Der Sozialdemokrat 37 (1884), 11.9.1884; In Sachen der Börsensteuer (Isaacsohn), in: Der Sozialdemokrat 39 (1884), 25.9.1884; Falsche Spekulation (Zum Niedergang der Deutschen Mark), in: Sonntags-Zeitung 31.7.1921; Deutschland in Not! in: Sonntags-Zeitung 4.9.1921; Spatenstiche zum Weltkrieg (Emel), in: Sonntags-Zeitung 18.12.1921; Offener Brief an Herrn Studiendirektor Diez in Heilbronn (Emel), in: Sonntags-Zeitung 12.3.1922.

Literatur: Hans Franke, Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn, 1963; Wolfgang Schmierer, Von der Arbeiterbildung zur Arbeiterpolitik, 1970; Uwe Dietrich Adam, Die Hochschule im Dritten Reich, 1977; Norbert Jung, 75 Jahre Volksbank Heilbronn: Der Einstieg der Familie Gumbel aus Neuenstadt-Stein ins Heilbronner Bankwesen, in: Amtsblatt Neuenstadt 87 (1985);Wolfram Angerbauer/Hans Georg Frank, Jüdische Gemeinden in Stadt und Kreis Heilbronn, 1986; Karl Holl, Pazifismus in Deutschland, 1988; Martin Uwe Schmidt, Warum die Synagogen brannten …, 1993; Ralph Lange, Von der Affäre Gumbel zum Fall Willbrandt: Die Lustnauer Schlacht (Bausteine zur Tübinger Universitätsgeschichte 9), 1999; Bernd Serger/Karin-Anne Böttcher, Es gab Juden in Reutlingen, 2005.
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