Kemper, Friedhelm Traugott Georg 

Geburtsdatum/-ort: 24.11.1906; Pyritz/Pommern
Sterbedatum/-ort: 02.04.1990;  Mosbach
Beruf/Funktion:
  • Führer der Hitler-Jugend in Baden, MdL- und MdR-NSDAP
Kurzbiografie: 1913–1921 Volksschule Mühlheim/Ruhr-Speldorf, Mittelschule Halle/Saale
1921–1924 Kaufmännische Lehre bei d. „Saale-Zeitung“ in Halle/Saale, Besuch d. kaufmänn. Berufsschule
1923–1945 Mitglied d. NSDAP, 1926 Neueintritt (Mtgl.-Nr. 41017); ab 1928 NSDAP-Gau-, später zeitweise auch Reichsredner
1924 Angestellter bei d. „Saale-Zeitung“
1924–1927 Angestellter beim „Weinheimer Anzeiger“, Weinheim/Bergstraße
1925–1926 Mitglied d. Jugendgruppe des Schlageterbundes, damals Tarnorganisation d. verbotenen SA
1927–1928 Angestellter bei den „Hallischen Nachrichten“ in Halle/Saale; NSDAP-Ortsgruppenleiter in Halle
1928–1930 zuständig für den Vertrieb d. Zeitung „Der Führer“ im Kreis Mannheim; Bezirks- u. Ortsgruppenleiter d. NSDAP in Mannheim
1930–1933 Vertriebsleiter d. Zeitung „Der Führer“ in Karlsruhe
1930–1931 Mitglied d. SA-Reserve
1932–1945 Führer d. bad. Hitler-Jugend, ab 1933 hauptamtl. Gebietsführer, 1937 Obergebietsführer, 1933 Sonderkommissar für Jugendpflege u. Jugendbewegung in Baden; mit Erweiterung des HJ-Gebietes Baden um das Elsass 1940 auch dort zuständig
1939–1942 Ausbildungslehrgänge u. Kriegseinsatz bei d. Wehrmacht, 1942 UK-Stellung
1945–1948 Internierungshaft in Kornwestheim u. Ludwigsburg
1948 Spruchkammerverfahren: drei Jahre Haft, durch die Internierung verbüßt; Entlassung; zunächst landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter, dann Handelsvertreter
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev., nach 1933 bis 1945 „gottgläubig“
Verheiratet: 1930 (Wertheim) Mina Olga Maria, geb. Götz (1906–1987)
Eltern: Vater: Friedrich Wilhelm Georg (geboren 1877), Redakteur u. Schriftleiter
Mutter: Eugenie Emilie, geb. Hoppe (1883–1955)
Geschwister: 5, alle jünger
Kinder: 4
GND-ID: GND/116127007

Biografie: Tobias Wöhrle (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 217-219

Als Kemper geboren wurde arbeitete sein Vater als Schriftleiter einer Zeitung im pommerschen Pyritz. Seine Eltern stammten aus dem Rheinland und zogen bald nach Mühlheim an der Ruhr, wo Kemper im Stadtteil Speldorf aufwuchs, bis die Familie nach dem I. Weltkrieg nach Halle an der Saale umsiedelte. Dort absolvierte Kemper seine Ausbildung zum Verlagskaufmann.
Kemper war Mitglied der Wandervogelbewegung und später im „Bund der Adler und Falken“. Er kam früh mit Nationalsozialisten in Kontakt und hat, nach eigenen Angaben, 1922 erstmals eine Rede Adolf Hitlers gehört. 1923 wurde er Mitglied der NSDAP, die jedoch bald darauf verboten wurde. Wenige Monate nach Beendigung seiner Ausbildung verließ Kemper sein Elternhaus und nahm eine Tätigkeit beim „Weinheimer Anzeiger“ auf. Dort schloss er sich NS-Kreisen an und wurde 1925 Mitglied der Jugendgruppe des nach Leo Schlageter genannten „Schlageterbundes“, hinter dem sich die damals verbotene SA verbarg, und damit einer Vorläuferorganisation der Hitler-Jugend. Im gleichen Jahr wurde in Baden die NSDAP wieder gegründet. 1926 trat Kemper der Weinheimer Ortsgruppe der NSDAP bei, einer Gründung des späteren badischen Ministerpräsidenten Walter Köhler, die damals zu den mitgliederstärksten der Partei in Baden gehörte. Kemper trat damals auch schon als politischer Redner im Raum Weinheim und im südlichen Odenwald auf. Im Sommer 1927 kehrte Kemper nach Halle/Saale zurück. In Weinheim war er wohl wegen seines politischen Engagements, vor allem wegen seiner antisemitischen Haltung entlassen worden. Viele Anzeigenkunden des „Weinheimer Anzeigers“ waren jüdische Geschäftsleute. Kemper nahm eine Anstellung bei den „Hallischen Nachrichten“ an und wurde dort Leiter der NSDAP-Ortsgruppe. Bereits im Frühjahr 1928 wechselte er wieder nach Baden, nun zuständig für den Vertrieb der NSDAP-Gauzeitung „Der Führer“ im Kreis Mannheim, wo er bald darauf NSDAP-Bezirks- und Ortsgruppenleiter wurde und in den folgenden Monaten häufig als Redner bei NS-Veranstaltungen im Land auftrat. 1929/1930 gehörte er bereits zu einer kleinen Gruppe von Personen, für deren Tätigkeit die Gauleitung ein festes Gehalt bezahlte.
Innerhalb der Mannheimer Ortsgruppe kam es immer wieder zu Unstimmigkeiten und Auseinandersetzungen, bis die Gauleitung eingriff und Kemper als Bezirks- und Ortsgruppenleiter durch den NSDAP-Landtagsabgeordneten Karl Lenz (1899–1944) ersetzte. Kemper wechselte nach Karlsruhe, übernahm Aufgaben in der Propagandaabteilung der Gauleitung und wurde Vertriebsleiter der Parteizeitung „Der Führer“. Einige Monate lang gehörte er der SA-Reserve in Karlsruhe an und tat sich bis 1933 als einer der Anführer bei Saalschlachten hervor; hin und wieder befehligte er SA-Schlägertrupps. Er hetzte gegen alle politisch Andersdenkenden, zumal Linke und Juden.
1932 wurde Kemper als Nachfolger von Felix Wankel Führer der badischen Hitler-Jugend, HJ. Wankel, der dem linken Flügel der NSDAP um Gregor Strasser nahestand, hatte kein gutes Verhältnis zu Gauleiter Wagner, Kemper hingegen gehörte stets zu dessen loyalen Gefolgsleuten. Bis dahin war die NS-Jugendbewegung in Baden eher schwach aufgestellt, vor allem da es den nicht wahlberechtigten Schülern durch die Schulbehörde verboten war, sich parteipolitisch zu betätigen. Außerdem war die HJ als Gliederung der SA zeitweise verboten. Sie wurde 1932 nach der Einsetzung von NS-Reichsjugendführer Baldur von Schirach (1907–1974) als eigenständige Organisation aus der SA herausgelöst. Kemper baute die NS-Jugendorganisation in Baden in den folgenden Monaten weiter aus. Die Zahl ihrer Mitglieder war von unter 500 Anfang 1930 auf etwa 5200 zu Beginn des Jahres 1933 gestiegen, Kemper aber hatte sich eine noch größere Mobilisierung im Sinne seiner Partei erhofft. 1930 hatte er eine der wenigen führenden Frauen in der badischen NS-Bewegung geheiratet, die schon seit 1928 in der Ortsgruppe Wertheim aktiv war. Beide hatten sich wohl über die Partei kennen gelernt.
Nach dem erzwungenen Rücktritt der badischen Landesregierung im Frühjahr 1933 begann der eigentliche Aufstieg Kempers. Der neue Reichskommissar für das Land Baden, Gauleiter Robert Wagner, ernannte ihn zum Sonderkommissar für Jugendpflege und Jugendbewegung und zum Jugendführer des Landes, der fortan nur noch dem Reichsjugendführer unterstellt war und ab Mai 1933 hauptamtlicher Gebietsführer der HJ Baden war. Daneben zeichnete er als Herausgeber der badischen NS-Jugendzeitung „Die Volksjugend“. Seit April 1933 war Kemper auch Mitglied des im Sinne der NSDAP nach dem badischen Reichstagswahlergebnis vom 3. März neu zusammengesetzten Badischen Landtags, bis er wenige Monate später aufgelöst wurde. Von November 1933 bis zum Kriegsende war Kemper Mitglied des Reichstags, dem freilich keine politische Funktion mehr zukam.
Seit der „Reichstagswahl“ vom 5. März 1933 waren alle Dämme gegen den Nationalsozialismus gebrochen. Mit den „märzgefallenen“ Erwachsenen traten Tausende junger Menschen der Partei und ihren alle Lebensbereiche umschließenden Organisationen bei. Anfang Mai zählte die HJ in Baden bereits um 18000 Mitglieder. Kemper, ihr Anführer, blieb in jeder Hinsicht linientreu, nicht allein in seiner Parteifunktion, auch religiös. Wie viele Nationalsozialisten trat er aus der evangelischen Kirche aus und wurde „gottgläubig“. Er war die treibende Kraft, als HJ und BdM, der Bund deutscher Mädel, in Baden gemeinsam Bücher missliebiger Schriftsteller sammelten und sie öffentlich verbrannten. Zwar hielt Kemper sich bis 1935 öffentlich an die Parteilinie, wenn er die Existenzberechtigung anderer, vor allem konfessioneller Bünde kaum in Frage stellte, intern aber unternahm er bereits zielstrebig Anstrengungen, die HJ zur alleinigen Staatsjugend zu machen, beispielsweise als er früh die Neugründung von nicht NS-orientierten Jugendgruppen für Baden verbot und schon im Sommer 1933 durch mehrere Erlasse das Betätigungsfeld und die Rechte der konfessionellen Jugendverbände einschränkte. In markigen Reden stellte er deren Mitglieder als Aufrührer und Provokateure dar und diffamierte sie als Gegner des Staates. Auch gegen Geistliche, die oft ihren Jugendgruppen vorstanden, richteten sich seine Angriffe. Wie schon vor der „Machtübernahme“ schreckte Kemper damals auch vor organisierten gewalttätigen HJ-Übergriffen auf andere Gruppen nicht zurück und ermunterte in der HJ organisierte Schüler, sich von regimekritischen Lehrern nichts gefallen zu lassen.
In Baden gehörten im Herbst 1935 schon über 80 Prozent der Jugendlichen der HJ an. 1936 wurde sie zur Staatsjugend erklärt, wodurch eigentlich alle Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren zur Mitgliedschaft verpflichtet waren. Nicht in die HJ überführte Jugendverbände wurden aufgelöst.
Ein weiterer wichtiger formaler Einschnitt vollzog sich 1940, als das Elsass dem Gau Baden angegliedert wurde und Gauleiter Wagner auch dort zum Chef der Zivilverwaltung avancierte. Mit den Spitzen der Gauleitung und der badischen Ministerien zog auch die HJ-Führung von Karlsruhe nach Straßburg um. Kemper war vom Sommer 1939 bis zum Sommer 1940 bei der Wehrmacht u.a. in militärischer Ausbildung und dann ab Juni 1941 im Kriegseinsatz. Zeitweise wurde er von Johannes Wilhelm Rodatz, dem Leiter des Deutschen Jugendherbergswerkes vertreten, ab 1941 bis zu seiner UK-Stellung im Februar 1942 wurden seine Aufgaben häufig vom HJ-Gebietsstabsleiter Ernst Baur wahrgenommen. Im Februar 1945 schließlich wurde Kemper „zur besonderen Verwendung“ gestellt. Er sollte neue Aufgaben übernehmen, wurde dann aber wieder in der Wehrmacht eingesetzt. Die letzten Monate vor Kriegsende verbrachte Kemper in der 19. Armee. Dann war er bis zur Entlassung aus dem Militärdienst in einem Lager in Tirol untergebracht. Entlassen begab sich Kemper gleich auf die Suche nach seiner Familie und fand sie im Raum Wertheim, der Heimat seiner Frau. Ende Juni 1945 stellte er sich dort der amerikanischen Militärbehörde und wurde im Internierungslager Kornwestheim inhaftiert. Später war er im Lager Ludwigsburg interniert, bis am 20. Juli 1948 sein Verfahren vor der Spruchkammer Karlsruhe II stattfand.
Seine Verteidigung zeigt wohlvertraute Strukturen. Auch Kemper gab sich als einer der von Hitler Getäuschten, der im Nationalsozialismus stets nur das Gute gesehen und nur das Beste für Volk und Vaterland gewollt habe. Seine Anwälte präsentierten eine Vielzahl von eidesstattlichen Erklärungen zu seinen Gunsten, „Persilscheine“. Ursprünglich als Hauptschuldiger angeklagt gruppierte ihn die Kammer als „Belasteten“ ein und verurteilte ihn zu drei Jahren Haft, die durch seine Internierungszeit bereits abgegolten waren. Außerdem sollten 20 Prozent seines Vermögens eingezogen werden, mindestens aber 200 DM.
Anfang August 1948 aus der Haft entlassen ging Kemper zu seiner Familie nach Wenkheim im Kreis Tauberbischofsheim. Für einige Monate war er als Landarbeiter tätig, danach als freiberuflicher Handelsvertreter, konnte aber auch nach mehreren Jahren die ihm auferlegte Geldstrafe nicht aufbringen. 1954 wurde das Eintreibungsverfahren wegen Aussichtslosigkeit eingestellt. Später wohnte das Ehepaar Kemper in Schefflenz.
Quellen: GLA Karlsruhe 231/10956 fol. 245, Bad. Landtag Personalbogen Abg. Kemper, 465d/51/68/655, Spruchkammerakte, 309/5987; StAF A 96/1 Nr. 1617, Berichte des Bad. Landespolizeiamtes über die NSDAP.
Werke: Im Marschtritt d. Zeit, 1941.
Nachweis: Bildnachweise: Reichstagshandbuch, IX. Wahlperiode 1933; 1934, 424.

Literatur: Degeners Wer ist’s, X. Ausgabe, 1935, 798; Erich Stockhorst, Fünftausend Köpfe. Wer war was im Dritten Reich, 1967, 229; Michael Buddrus, Totale Erziehung für den totalen Krieg. Hitlerjugend u. NS-Jugendpolitik, hgg. vom Institut für Zeitgeschichte, 2. Bd., 2003, 778, 1163, 1202; Statisten in Uniform. Die Mitglieder des Reichstags 1933–1945. Ein biogr. Handbuch, bearb. von Joachim Lilla u. a., 2004, 520; Julius H. Schoeps, Werner Treß (Hgg.), Orte d. Bücherverbrennungen in Deutschland 1933, 2008, 22f., 499ff., 524ff., 702ff., 706ff.; Tobias Wöhrle, Friedhelm Kemper, Hitlerjugendführer in Baden, in: ZGO 159, 2011, 555-587.
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