Hegelmaier, Leopold Karl 

Geburtsdatum/-ort: 24.05.1866;  Tübingen
Sterbedatum/-ort: 24.09.1937;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Staatsrat
Kurzbiografie: 1883 Matura Obergymnasium Tübingen
1883–1884 Akademie Lausanne
1884–1889 Studium an den Univ. Tübingen und Leipzig
1889 I. jurist. Staatsprüfung
1889 Referendar in Wangen im Allgäu
1891 Promotion zum Dr. jur. der Univ. Tübingen
1892 II. jurist. Staatsprüfung
1893 stellv. Amtsrichter Tübingen
1894 stellv. Amtsrichter Biberach
1896 Amtsrichter in Stuttgart
1900 Justitiar Domänendirektion des Finanzministeriums
1901 Ernennung zum Finanzrat
1903 Obersteuerrat im Steuerkollegium
1907 Ernennung zum Ministerialrat
1914 Direktor der Württ. Bankanstalt
1914–1916 Major der Landwehrregimenter 119 und 125, Einsatz im Elsass
1916–1918 Abteilungsführer im Stellv. Generalkommando Stuttgart
1919–1933 Staatsrat im Staatsministerium
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Auszeichnungen: Ritterkreuz I. Kl. des Friedrichsordens (1907); Ritterkreuz des Kronordens (1911); Roter-Adlerorden 3. Kl. (durch den Kaiser und König von Preußen) (1913); Friedrichsorden I. Kl. mit Schwertern (1915); EK I (1916); Württ. Militär-Verdienstorden 3. Kl. (1916); Türkischer Eiserner Halbmond (1917); Österreichisches Militärverdienstkreuz 3 mit Kriegsdekoration (1918); Württ. Kreuz mit Schwertern (1918)
Mitgliedschaften: Mitgliedschaften: Zweiter Vorsitzender des Württ. Kriegerbundes (1918–1937); Erster Vorsitzender des Landesvereins des DRK (1922–1937); Vorsitzender der Kommission zur Aufstellung einer Landesordnung des Allgemeinen öffentlichen Rechts (1925–1930); Vorsitzender Richter des Württ. Kompetenzgerichtshofes (1931-1933); Erster Vorsteher der Württ. Landessparkasse (am 6.4.1933 gewählt, aber im August abgelöst) (1933)
Verheiratet: 1903 Margarete, geb. Redwitz (1877–1923)
Eltern: Vater: Dr. med. Christof Friedrich Hegelmaier (1833–1906), Regimentsarzt in Ulm und Prof. der Botanik Univ. Tübingen
Mutter: Emilie, geb. Veiel (1838–1898), Tochter des Arztes Albert Friedrich von Veiel (1806–1874), Begründer der Flechtenheilanstalt in Bad Cannstatt
Geschwister: 2: Ernst (gestorben 1883), Anna (geboren 1870)
Kinder: 4:
Ruth (1904–1922);
Mechthild, verh. Schaudt (geboren 1906);
Isolde (geboren 1908);
Dr. Wolf-Dietrich (geboren 1911)
GND-ID: GND/116571179

Biografie: Michael Matthiesen (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 88-91

„Bene vixit, qui bene latuit“ lautete der Ovids „Tristia“ entnommene Wahlspruch am Eingang des Hauses seines Vaters in Tübingen – eine Maxime, die auch über dem Leben des Sohnes stehen könnte. Aber wenige Tage vor seinem Tod vollendete Hegelmaier dann doch eine Autobiographie, deren farbige Bilder den unspektakulären Weg des Angehörigen der schwäbischen „Ehrbarkeit“ aus der Idylle vor 1914 an den Rand der politischen Stürme des 20. Jahrhunderts schildern. Auf das humanistische Abitur folgt ein Jahr am Genfer See. In der Gazette de Lausanne erscheint als erste Publikation ein Artikel über die Schweizer Feuerwehr. Den Militärdienst verklärt der angehende Beamte als Schule der Entschlusskraft, ähnlich die Studentenverbindung Normannia als Hort der Freundschaft ohne Klassendünkel, das juristische Studium bewegt sich ganz im sicheren Rahmen des konservativen Kaiserreichs. Bei der Beerdigung Friedrichs III.1888 trägt Hegelmaier die Fahne seiner Burschenschaft. Nach dem Examen führt als Belohnung eine Reise nach Paris, dann folgt der erste Einsatz als Referendar in Wangen im Allgäu, wo er im Notariat anhand der Verträge und Testamente soziale Studien treibt, in den „Sauklobenklub“ des Assessors von Liebenstein eintritt und mit seinem Oheim, dem Reichsbeamten August von Hegelmaier, wandert. Gefördert durch einen Zuschuss des Justizministeriums folgt eine Studienreise nach Berlin, in die Hansestädte und nach Belgien. Er besucht den Reichstag und Gerichtsverhandlungen, hört Vorlesungen und geht ins Theater. In Hamburg erlebt Hegelmaier die abklingende Cholera-Epidemie, dem alten Bismarck wird im Park von Friedrichsruh das Kompliment entlockt, Württemberg sei „ein gut regiertes Land“. In Brüssel staunt Hegelmaier über die Zweisprachigkeit der Justiz und das luxuriöse Gefängniswesen (Einzelhaft und Arbeitslohn). Ein Ausflug zu Bauern in die Marsch an der Nordsee gibt Anlass zu Reflektionen über die „Volksgemeinschaft“ der Gegenwart, ein Bemühen um Aktualität, das sich auch in einer kirchen- und theologiekritischen Broschüre zeigt, vor allem aber in den regelmäßig in die Erinnerungen eingestreuten Bemerkungen über Juden, denen Hegelmaier begegnet ist. Der nichtchristliche Kultminister Heymann (1918/19) ist ihm unerträglich, aber schon früher wurde notiert, als Hegelmaier statt nach England überzusetzen eine Passage auf einem Auswandererschiff in die USA buchte: „Die Juden, heißt es in meinem Tagebuch, machten sich an die Mädchen. Es fuhren nämlich in der Zweiten Kajüte 4 Kölner Juden mit.“ Er entdeckt New York, Chicago und St. Louis, wo er erstmals Farbige beobachtet und die Grenze seiner Welt erreicht haben will: auf der Brücke über den Mississippi sei Hugin „verschollen“, jener mythische Rabe, den Hegelmaier zum Pseudonym seiner Gedichte wählen wird. Auf dem Rückweg sieht er noch Washington D. C. mit einer Delegation von Indianern im Capitol und das berühmte Gefängnis Sing-Sing, das ihm „wie eine große Fabrik“ erscheint.
Der erste Dienstposten als Amtsrichter in Biberach gibt dann wieder Anlass zu humoristischen Betrachtungen, das Städtchen sei bis zu den Hebammen hinab streng paritätisch organisiert. Hegelmaier beobachtet die Folgen der großzügigen staatlichen Feuerversicherung, und dort, wo schon Wieland zu leben verstand, hätte auch er im Nachhinein drei Romane schreiben können. Nach Stuttgart versetzt, wechselt er in die Staatsverwaltung, zunächst zur Domänendirektion im Finanzministerium. Ironische Betrachtungen über das Kollegialprinzip – der überstimmte Präsident gab dem Minister einfach sein Sondervotum – und die Freude an der Gestaltung des Kurorts Wildbad nach ausgiebiger Erkundung böhmischer Vorbilder oder die Inspektionen der staatlichen Salinen und Bergwerke bieten ein buntes Bild des wohlgeordneten Königreichs zur Jahrhundertwende. In der Steuerverwaltung ist die neue Einkommenssteuer einzurichten, was Hegelmaier weniger Vergnügen bereitet. Abwechslung bringen dann der Neubau des Hoftheaters in Stuttgart, die Kommissionen zur Staatslotterie und zur Ablösung des evangelischen Kirchenguts. Anfang 1914 folgt eine kuriose Episode als Direktor der „Württembergischen Bankanstalt“, die der Beamte kurz nach Beginn des Weltkriegs abbricht.
In Pforzheim ist Hegelmaier als Vertreter des württembergischen Kriegervereins zu Besuch bei den badischen Kameraden, als der Großherzog ihnen im Zelt das Telegramm aus Sarajewo verliest. Die folgenden Berichte des Stellungskriegs im südlichen Elsass, so koloriert auch hier noch vieles wirkt, zeigen immer deutlicher den Ernst der Kämpfe, die Verstümmelungen und tragischen Schicksale der Opfer. Hegelmaier hat sich nach dem Krieg genauso intensiv wie den Kriegervereinen auch der ehrenamtlichen Arbeit im Roten Kreuz gewidmet. Eine Fußverletzung wird erst beim Röntgen in der Heimat richtig erkannt und behandelt, was zu einem ausdrücklichen Dank an den Erfinder führt, dem er einst in Pontresina im Urlaub begegnet war. Kritisch sieht Hegelmaier die distanzierte Haltung evangelischer Feldgeistlicher im Unterschied zum leutseligen Auftreten der katholischen Pfarrer. Die Versetzung ins Generalkommando führt dann zum Staatsdienst im Frieden zurück. Verärgerte und spöttische Beobachtungen zur Stuttgarter Revolution 1918 münden in die Gründung des Württembergischen Offiziersbundes am Ende des Jahres, später zu Kommentaren für die zeitgeschichtliche Aufarbeitung aus der Sicht des überrumpelten, königstreuen Offizierkorps. Aus der politischen Verunsicherung wird Hegelmaier befreit durch die Berufung zum Staatsrat im Staatsministerium, wo er nun, zunächst im Palais der Franziska von Hohenheim (heute Mittnachtbau), dann ab 1925 in der Villa Reitzenstein, für die wechselnde politische Führung Verfassungsfragen und Gesetzestexte bearbeitete, oder aber eine ganze Reihe von Kommissionen leitete, von der Abwicklung des Krongutes über die Verwaltungsvereinfachung zu den obligaten, ständig erneuerten Wünschen nach Einsparungen im Etat. Das bekannteste und verdienstvollste dieser Ämter war die 1925 eingerichtete Kommission zur Ausarbeitung einer Verwaltungsrechtsordnung, mit der Württemberg versuchte, nach dem preußischen Vorbild von Bill Drews einen einheitlichen Rahmen des öffentlichen Rechts zu formulieren, anstatt die Auslegung der Staatshaftung für Entscheidungen der Behörden den Verwaltungsgerichten zu überlassen. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass der schärfste Kritiker jeglicher Einflussnahme von privater, politischer oder justizieller Seite auf die Verwaltung, Ministerialrat Hofacker im Innenministerium, von der Arbeit der Kommission ausgeschlossen wurde. Auch an Hegelmaiers Porträts der vier Staatspräsidenten aller Parteien, denen er diente – von Blos (SPD) über Hieber (Liberale) und Bazille (Deutschnational) bis Bolz (Zentrum) – fällt nicht nur auf, dass ihm keiner sonderlich sympathisch gewesen zu sein scheint, sondern eben auch, dass er den fünften, parteilosen ganz übergeht: Edmund Rau, einen anderen Staatsrat, mehrfachen Minister und Staatspräsidenten 1924, der zuletzt den Verwaltungsgerichtshof leitete. Andererseits hat sich Hegelmaier selbst während der Arbeit seiner Kommission durchaus politisch geäußert. In einer Broschüre von 1927 finden sich wohl die modernsten Positionen seiner Feder. Er beschreibt und verwirft unter Verwendung aktueller Literatur von James Bryce, Hans Kelsen, Carl Schmitt, Mussolini und anderen, zunächst die kommunistische und die soziale Republik, die absolute Monarchie, die Diktatur (sowohl die „völkische“ als auch die „souveräne“ des Reichspräsidenten nach Art. 48 WRV), die Aristokratie, die konstitutionelle und die parlamentarische Monarchie, bevor dann das Bekenntnis folgt, „die Demokratie ist die eines freien, höher gebildeten Volkes würdigste Staatsform“. Diese wird dann aber auch mit einer kritischen Liste von Gefahren konfrontiert, die ihren Bestand bedrohten. Sie sind meist moralisierender Natur und problematisieren vor allem die Abhängigkeit der Politik vom öffentlichen Raum, die nicht nur den Parteien, sondern eben auch dem Beamtentum kaum noch Spielräume zu kontinuierlicher Wirksamkeit lasse. Hegelmaiers Vorschläge am Ende zu einer Revision der Weimarer Verfassung waren dann deutlich am Vorbild der USA ausgerichtet.
Mit der „Machtergreifung“ 1933 war das Reformwerk seiner Kommission obsolet, obwohl Kommentare und sogar Dissertationen darüber verfasst worden sind, unter anderem von einem Sohn des Finanzministers Dehlinger, und später noch ein Ergänzungsband erschien mit einer zeittypischen Einführung durch den NS-Juristen Hans Gerber, die das Werk dem neuen Staat als Vorlage zu offerieren versuchte. Hegelmaier selbst ist immerhin kurz vor Dienstende ein Coup gelungen: auf Anfrage des traditionsbewussten Bundes für Heimatschutz erreichte er im August 1933 die Aufnahme der auf die Verfassungskämpfe 1817/19 zurückgehenden, königlichen Devise „furchtlos und trew“ per Staatsgesetz in das Landeswappen, wo sie dann bis zur Gründung Baden-Württembergs 1953 verblieben ist. Damit war die Kooperation mit den Nationalsozialisten aber beendet – in den gleichen Wochen wurde der Pensionär aus allen Nebenämtern entfernt, in die er gerade noch gewählt worden war. Hegelmaiers Distanzierung von seinen früheren Thesen zur Demokratie in den Memoiren, die Zustimmung zum neuen Einheitsstaat und dessen Führer mochten darauf hindeuten, dass er manche Konzession an die Republik nun bereute. Gleichwohl signalisierten das demonstrative Engagement im Roten Kreuz und die Warnung vor dem Krieg der Zukunft nach den Bildern aus Abessinien auch, dass er sich keinen Illusionen hingab. Und so schließen die Erinnerungen – mit dem Wahlspruch seines Vaters: „Bene vixit, qui bene latuit“.
Quellen: HStAS Personalakte: E 130 b Bü 43, J 150/196 Nr. 31 (Gedichte); M 430/3 Bü 4358, M 7432 Bü 209; Revolution 1918: M 660/226 Bü 5; Wappenfrage: E 130 b Bü 1, Q 1/2 Bü 79 und 271; Kommission für die Landesordnung (Verwaltungsrechtsordnung): E 130 b Bü 541 – 564; Reich und Länder: E 130 b Bü 2133; Sitzungsprotokolle des Staatsministeriums (1919 – 1933): E 130 b Bü 214 – 223; Stammbaum der Familie Hegelmaier von E. Gruner 1866 (Privatbesitz).
Werke: Grundeigentum im öffentlichen Recht. Eine Studie aus dem Beginne der römischen Kaiserzeit. (Jur.) Diss. Tübingen 1891; Die direkten Steuern in Württemberg. Einkommensteuer, Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer nebst Wanderergewerbesteuer und Kapitalsteuer mit Berücksichtigung der allgemeinen Lehren der Finanzwissenschaft und der Gemeindebesteuerung. Grundzüge für den Unterricht im staatlichen Unterrichtskurs für Finanzgehilfen und zur weiteren praktischen Einleitung, 1906; Der Jugendflug eines Verschollenen. Für Resttage des Lebens gesammelt von L. G. Hugin, 1909; Gedichte aus dem Tagebuch eines Landwehroffiziers, von L. G. Hugin, 1919; Die württembergische Staatsvereinfachung des Jahres 1924, in: Württ. Zeitschrift für Rechtspflege und Verwaltung 21 (1928), 33-38 und 65-74; Über die württembergische Verfassungsvorschrift „Das Staatsministerium bedarf des Vertrauens des Landtags“, in: Württ. Zeitschrift für Rechtspflege und Verwaltung 22 (1929), 65-68; Staatsformen. Kritische Betrachtungen der heutigen Möglichkeiten, 1927; Eine Hellasfahrt, (Sonderdruck), 1927; Reich und Länder, in: Württ. Zeitschrift für Rechtspflege und Verwaltung 23 (1930), 1-7; Gutachten zur Landesverwaltung Württemberg, in: Verhandlungen des Landtags, Beilage 303 vom 5. Februar 1931; Verwaltungsrechtsordnung für Württemberg. Entwurf eines Gesetzes mit Begründung, 1931; Ergänzungsband zur Verwaltungsrechtsordnung für Württemberg. Entwurf eines Gesetzes mit Begründung, 1936; Ringen um Wahrheit im evangelischen Bekenntnis. Ein Briefwechsel über die höchsten und letzten Dinge, 1936; Beamter und Soldat 1884 – 1936; Lebenserinnerungen von Dr. Leopold Hegelmaier. Wirklichem Staatsrat und Major der Landwehr a. D., 1937.
Nachweis: Bildnachweise: HStAS M 708 Nr. 1230; Stuttgarter Neues Tagblatt Morgenausgabe Nr. 449 vom 25.9.1937.

Literatur: Verwaltungsrechts-Ordnung für Württemberg. Entwurf eines Gesetzes mit Begründung. Besprochen von Dr. (Wilhelm) Hofacker, 1931; Jürgen Genuneit, „Der Kriegerbund marschiert mit“. Zur Rolle des Württembergischen Kriegerbundes und der Kriegervereine, in: Ausstellungsreihe Stuttgart im Dritten Reich. Die Machtergreifung. Von der republikanischen zur braunen Stadt. Redaktion Karlheinz Fuchs, 1983, 172-207; Siegfried Fachet, Verwaltungsgerichtshof, Kompetenzgerichtshof und Disziplinargerichte in Württemberg unter dem Nationalsozialismus (Reihe Rechtswissenschaft, 55), 1989; Roswitha Maas, Die Verwaltungsrechtsordnung für Württemberg. Ein Versuch der Emanzipation des öffentlichen Rechts vom Privatrecht (Reihe Rechtswissenschaft, 178), 1996; Susanne Miecke, Regelmäßigkeiten der Entstehung einer Kodifikation des Verwaltungsverfahrensrechts in Deutschland und Österreich mit einem Ausblick auf die Europäische Union (Europäische Hochschulschriften II, 4651), 2008.
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