Memminger, Gustav Christian 

Geburtsdatum/-ort: 01.05.1913;  Freudenstadt
Sterbedatum/-ort: 26.08.1991;  Freudenstadt
Beruf/Funktion:
  • Leiter des Presse- und Propagandaamtes der Reichsjugendführung, Unternehmer
Kurzbiografie:

1920–1934 Volksschule, dann Oberrealschule Freudenstadt bis Abitur 1932, anschließend Hilfsgärtner im Erholungsheim Salem, Hilfsarbeiter in der Baufirma Bruder, Haug und Zieger, Hilfsinstallateur in der Spedition Wilhelm Baum, Textilpraktikant in der Tuchfabrik Christophstal

1931 III 18 Mitbegründer der NS-Schülerbunds Freudenstadt

1933 V 1 Mitglied der NSDAP, Mitglied Nr. 1 719 510, Gefolgschaftsführer der HJ Freudenstadt, Pressewart im HJ-Unterbann Schwarzwald

1934–1935 Schriftleiter in Ausbildung bei der „Schwarzwald-Zeitung“ Freudenstadt, ab Juni 1934 Unterbannführer der HJ-Unterbanns IV/126

1935–1939 Schriftleiter, dann Hauptschriftleiter der HJ-Zeitschrift „Reichssturmfahne“, Stuttgart; 1937 HJ-Bannführer und Leiter der Abteilung Presse und Propaganda im HJ-Gebiet 20, Württemberg

1937 Wehrdienst beim Infanterie-Ersatz-Bataillon 13 in Ludwigsburg

1939–1940 Stellvertretender Leiter des Presse- und Propagandaamtes der Reichsjugendführung in Berlin, Hauptschriftleiter im Deutschen Verlag in Berlin; ab Nov. 1939 HJ-Oberbannführer

1939 XI–1940 Wehrmacht, Infanterie-Regiment 161; März 1940 Gefreiter

1940–1944 Leiter der Presse- und Propagandaamtes der Reichsjugendführung in Berlin, ab 1942 HJ-Hauptbannführer

1941 Wehrmacht, Infanterie-Regiment 68, Feldwebel

1944–1945 Inspekteur West der Hitlerjugend, in der Wehrmacht Leutnant der Reserve

1945 XII 15–1948 Verhaftung durch der US-Militärgeheimdienst, Internierung in Camp King, Oberursel, im Civil Internment Camp Staumühle, im Internierungslager Ludwigsburg und im Internierungslager Bisingen

1948–1950 Kreisuntersuchungsausschuss Freudenstadt: „Mitläufer“, November 1948 Spruchkammer Tübingen: „Minderbelasteter“, August 1950 Nachverfahren Spruchkammer Tübingen: „Mitläufer“

1950–1967 Handelsvertreter in Freudenstadt

1967–1988 Gustav Memminger Verfahrenstechnik für der Maschenindustrie in Freudenstadt, Generalvertretung der IRO-Bandfournisseure, Entwicklung der Memminger-Positiv-Fournisseurs MPF-A, 1977 M. GmbH, Geschäftsführer bis 1985, Gesellschafter bis 1988

Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch, nach 1933 bis 1945 „gottgläubig"
Auszeichnungen: Ehrungen: HJ-Ehrenzeichen in Gold (1938); Infanterie-Sturmabzeichen in Silber (1940); Eisernes Kreuz II. und I. (1944); Kriegsverdienstkreuz II. und I. Klasse mit Schwertern (1942 und 1945)
Verheiratet:

1938 (Freudenstadt) Margarete Elisabethe, geb. Hepting (1913–2005)


Eltern:

Vater: Gustav Gottlieb (1887– 1958), Lokomotivführer

Mutter: Johanna Christiane, geb. Vogel (geb. 1886)


Geschwister:

5, alle jünger


Kinder:

2

GND-ID: GND/1171154399

Biografie: Rolf Vogt (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 393-395

Der in Freudenstadt geborene Memminger war dort schon 1931 Mitbegründer des NS-Schülerbunds und erlebte nach der NS-„Machtergreifung“ einen raschen Aufstieg in höchste Stellen der Propagandaorganisation der Hitlerjugend.

1934 war Memminger Unterbannführer in Freudenstadt, 1935 Redakteur der „Reichssturmfahne“, des „Kampfblatts“ der schwäbischen Hitlerjugend, in Stuttgart, 1937 als Bannführer auch noch Leiter der Presseabteilung der HJ-Gebietsführung. Im Sommer 1939 gelang ihm der Sprung nach Berlin. Reichsjugendführer Baldur von Schirach ernannte ihn zum stellvertretenden Chef seines Presse- und Propagandaamtes und dessen Nachfolger Artur Axmann machte Memminger im Oktober 1940 zum alleinverantwortlichen Chef dieses Amts, ab 1942 im Rang eines Hauptbannführers.

Memminger wurde der „Joseph Goebbels der Hitlerjugend“, wie ihn der amerikanische Historiker Selby salopp genannt hat. In seinen Zuständigkeitsbereich fielen die Zentralschriftleitung sämtlicher Jugendzeitschriften, das Presseamt, das Reichsfilmamt und die Rundfunkarbeit der Hitlerjugend. Seine Aufgabe war es, mit Zeitungen und Zeitschriften, Filmen und Rundfunkbeiträgen die Kriegsbegeisterung der Jugend zu fördern und wach zu halten.

Nachdem sich die militärische Situation wegen der Landung der Alliierten in der Normandie seit Juni 1944 dramatisch verschlechtert hatte, wurde die Hitlerjugend ab September 1944 zum Bau von Stellungen, Panzersperren und Schützengräben für die Wehrmacht herangezogen. Memminger war als Inspekteur-West für den Grenzeinsatz an der Westfront verantwortlich und erhielt dafür Adolf Hitlers höchste Kriegsauszeichnung für nicht an Kriegshandlungen beteiligte Zivilisten, das Kriegsverdienstkreuz I. Klasse mit Schwertern.

Im April 1945 war Memminger Flüchtling in Oberstaufen im Allgäu. Mit einer ganzen Reihe hochrangiger Jugendführer, die auch im besiegten Deutschland den Nationalsozialismus als politische Kraft erhalten wollten, hatte er sich ins bayerische Bergland geflüchtet. Memminger sollte die Sammlung der „Anständigen“, so sein Ausdruck, organisieren, wie das Counter Intelligence Corps, der amerikanische Militärgeheimdienst, ermittelte.

Von Lübeck kommend besuchte Artur Axmann Ende 1945 Memminger in Oberstaufen. Beide wollten zusammen nach Norddeutschland fahren, wurden aber am 15. Dezember 1945 in der Nähe von Immenstadt von einer US-Militärstreife ergriffen, weil einer aus ihrer Gruppe sie verraten hatte. Die Aktion unter dem Codenamen „Nursery“, Kindergarten, war der gegen die Axmann-Gruppe gerichtete Teil der Geheimdienstoperation. Die amerikanische und die britische Militärpolizei nahmen in diesen Wochen um 1000 abgetauchte Nationalsozialisten fest und zerschlugen die gefährlichste Umsturzbewegung in Deutschland, wie US-Brigadegeneral Edwin Luther Sibert auf einer Pressekonferenz am 31. März 1946 verkündete. Axmann und Memminger hätten an der Spitze der „Verschwörung“ gestanden. Den Anfangsverdacht, die Gruppe wolle Anschläge und Sabotageakte organisieren, ließ das CIC aber bald fallen.

Memminger saß erst zehn Monate in Camp King in Oberursel und wurde verhört, vielleicht auch misshandelt. Im Oktober 1946 übergaben ihn die Amerikaner den Briten; es folgte ein weiteres Jahr, jetzt im bedeutendsten britischen Internierungslager, dem Civil Internment Camp in Staumühle bei Paderborn. Danach wurde Memminger im französischen Internierungslager Bisingen inhaftiert, bis er 1948 erkrankte, entlassen wurde und heimkehren konnte.

Der Freudenstädter Kreisuntersuchungsausschuss für die politische Säuberung unter Vorsitz von SPD-Bürgermeister Friedrich Rothfuß behandelte seinen Fall am 22. Mai 1948. Er stufte Memminger als „Mitläufer ohne Maßnahmen“ ein, was er damit begründete, „dass er durch die Internierung und die Art der Behandlung schon hart gebüßt“ habe. Dieser Vorschlag erregte das Unbehagen der Spruchkammer des Staatskommissariats für die politische Säuberung. Es sei unzweifelhaft, dass Memminger die NS-Gewaltherrschaft wesentlich gefördert habe und als „Belasteter“ einzustufen sei, lautete die Begründung der Spruchkammer. Internierung und Krankheit mildernd berücksichtigend stufte sie Memminger am 9. November 1948 dennoch als „Minderbelasteten“ ein. Memminger strengte dagegen eine Nachuntersuchung an, als deren Ergebnis die Spruchkammer ihn am 24. August 1950 als „Mitläufer“ einstufte.

Sein Neuanfang als Handelsvertreter fällt in die frühen 1950er Jahre. Als Memminger Isac Rosén aus Ulricehamn in Schweden kennenlernte, begann eine Erfolgsgeschichte. Rosén hatte ein neues Steuerungsgerät für die Fadenzuführung an Strickmaschinen erfunden. Memminger gründete 1967 als Einzelunternehmen die Firma „Gustav Memminger Verfahrenstechnik für die Maschenindustrie“ und sicherte sich die Generalvertretung für den Vertrieb der IRO-Bandfournisseure in der Bundesrepublik. Mit dem Erfinder Josef Fecker entwickelte Memminger eine eigene Maschine für die kontrollierte Fadenzuführung an Strickmaschinen, den Memminger-Positiv-Fournisseur MPF-A. Die Firma wuchs zu einem bedeutenden mittelständischen Unternehmen heran. 1977 wurde sie zur Memminger GmbH umgewandelt.

1985, mittlerweile 72 Jahre alt, gab Memminger die Geschäftsführung ab. Seine Gesellschaftsanteile hielt er bis 1988. Die Memminger GmbH holte ihren schwedischen Partner an Bord und wurde zur Memminger-IRO GmbH. Seit 1991 hat sie ihren Sitz in Dornstetten.

Memminger starb im Alter von 78 Jahren. Ein 1992 errichteter Brunnen auf dem Freudenstädter Marktplatz, seine Stiftung, erinnert bis heute an ihn. Der Entwurf für das Ensemble stammt von seinem Freund Hanns Lohrer (1912–1995), einem renommierten Grafikdesigner aus Stuttgart. Auch die Freundschaft mit Artur Axmann hielt lebenslang.

Quellen:

BA Berlin R 55/23670 Bl. 78–86, Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda: Gustav Memminger, Bestand BDC, R 9361–V/28599, Gustav Memminger, Bestand BDC, R 9361–IX Kartei / 28251321, Führerkartei L 115/36; MilitärA Freiburg RW 59/2077, Beförderungen der Kriegsreserveoffiziere: Gustav Memminger; StA Sigmaringen Wü 13 T 2 Nr. 1250/013, Entnazifizierungsunterlagen Gustav Memminger; StadtA Freudenstadt Geburtsanzeige, 1913, Heiratsurkunde, 1938, Sterbeurkunde, 1991.

Werke: (als Hg.) Reinhold Sautter, Hitlerjugend. Das Erlebnis einer großen Kameradschaft, 1. Aufl. 1941, 2. Aufl. 1942; Peter Pamminger, Ägyptische Kleinkunst aus der Sammlung Gustav Memminger, 1990.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (1946) S. 383, Memminger als Internierter, StA Sigmaringen Wü 13 T 2 Nr. 1250/013. – Schwarzwald-Zeitung vom 5.10.1940, Schwarzw. Bote, Ausgabe F 1, vom 31.8.1991.

Literatur:

Kinderhort, in: Der Spiegel Nr. 14 vom 2.4.1949; Herbert Reinecker, Ein Zeitbericht. Unter Zuhilfenahme des eigenen Lebenslaufs, 1990; Artur Axmann, „Das kann doch nicht das Ende sein“. Hitlers letzter Reichsjugendführer erinnert sich, 1995; Perry Biddiscombe, Werwolf! The History of the National Socialist Guerrilla Movement 1944 – 1946, 1998; Klaus der Heckmanns, Freudenstadt im Dritten Reich, in: Planstadt – Kurstadt – Freudenstadt: Chronik einer Tourismusstadt, hgg. vom StadtA Freudenstadt, 1999, 307–357, bes. 320 f.; Michael Buddrus, Totale Erziehung für den totalen Krieg. Hitlerjugend und NS-Jugendpolitik, 2 Bde., 2003; Volker Koop, Himmlers letztes Aufgebot. Die NS-Organisation „Werwolf“, 2008, bes. 252–254; Scott Andrew Selby, The Axmann Conspiracy: A Nazi Plan for a Fourth Reich and How the U.S. Army Defeated It, 2012.

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