Diemer, Bruno 

Geburtsdatum/-ort: 24.07.1924;  Brackenheim
Sterbedatum/-ort: 15.02.1962; Blamont bei Lunéville, bestattet in Bönnigheim
Beruf/Funktion:
  • Maler
Kurzbiografie: 1927 nach dem Tod des Vaters Übersiedlung von Lauffen am Neckar nach Bönnigheim (ins Elternhaus der Mutter)
1942 Kriegsabitur in Urach; Einberufung zur Luftwaffe, Ausbildung zum Kampfbeobachter in Greifswald, Senftenberg und Thorn
1944 Einsatz als Fallschirmjäger bei Montecassino, Italien
1945 Heimkehr nach Bönnigheim; an einer Sepsis und einer Geschlechtskrankheit schwer erkrankt
1946 Staatliche Hochschule der Bildenden Künste, Stuttgart, bei Hermann Sohn, Willi Baumeister
1950 Aufenthalt in Vallauris (bei Nizza) und Paris
seit 1952 vorwiegend in Paris lebend, unterbrochen von Aufenthalten in Bönnigheim; Freundschaft mit dem in Paris lebenden Schriftsteller Georg K. Glaser (1910-1995), Ausstellungsbeteiligungen in Paris
1953 Portraitaufträge
1954 Ausbau des Ateliers in Paris
1959 Einzelausstellung in der Galerie Sandner, Hamburg
1960 Einzelausstellung in der Galerie Lutz&Meyer, Stuttgart, und im Schloß Ringenberg/Rheinland
1961 Trennung von seiner Frau; Autounfall; längerer Aufenthalt in Bönnigheim und Plan eines Atelierbaues in der Umgebung von Stuttgart
1962 tödlicher Autounfall auf der Fahrt von Paris nach München
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1958 Osternohe (über Lauf an der Pegnitz), Martina, geb. Kaessler (geb. 1931), spätere Diemer-Itzkovitch, Tänzerin (Tochter des evangelischen Dorfpfarrers von Osternohe)
Eltern: Erwin (1889-1927), Architekt in Lauffen am Neckar
Emma, geb. Schäffenacker (1895-1974), Hausfrau
Geschwister: Karl (geb. 1926), Journalist (1973-1991 Feuilleton-Redakteur der „Stuttgarter Nachrichten“)
Kinder: keine
GND-ID: GND/119355434

Biografie: Clemens Ottnad (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 26-28

Bereits während seiner Jugend beschäftigt sich Diemer mit der Bildenden Kunst, ein frühes Selbstbildnis (Öl auf Pappe) ist bereits 1940 nachweisbar. Nach dem in Urach 1942 abgelegten Abitur meldet er sich zur Ausbildung zum Piloten in einer Kampfbeobachtungsschule. 1944 ist Diemer einer Fallschirmjäger-Einheit zugeteilt, die im italienischen Kriegsgebiet um Montecassino eingesetzt wird. 1945 kehrt er über München nach Bönnigheim zurück, wo er Anfang Mai von französisch-algerischen Besatzungstruppen zur Bergung der in den dortigen Kämpfen Umgekommenen herangezogen wird. In der Folge dieses Einsatzes erkrankt er an einer Sepsis lebensbedrohend. Nach komplikativer Genesung wendet sich Diemer wieder der Malerei zu, Idealportraits Dantes, Hannibals oder aus dem „Faust“ sowie Bildnisse realer Personen aus seiner Lebensumgebung entstehen in dieser Zeit.
1946 nimmt Diemer an der Hochschule der Bildenden Künste in Stuttgart bei Hermann Sohn und Willi Baumeister das Studium der Malerei auf. Sohns am französischen Konstruktivismus und an den Fauves orientierte Figurenbilder, die häufig dem Artisten- und Ballettmilieu entnommen sind, weisen auf von Diemer später bevorzugte Sujets voraus. Die stereometrischen Figurinendarstellungen, Bühnen- und Ballettkonzeptionen Oskar Schlemmers (1880-1943), die für eine große Anzahl von Künstlern im Umkreis der Stuttgarter Kunstakademie bedeutungsvoll sind, wirken in der Bildwelt Diemers nach. Die Begeisterung für die französische Avantgarde teilt Diemer mit dem 1903 geborenen Maler und Graphiker Walter Wörn, mit dem er seit 1946 befreundet ist. Die Beschäftigung mit der menschlichen Figur steht im Mittelpunkt der bildnerischen Arbeit beider Künstler, die sie in Bewegungsstudien und „Sportbildern“ unter dem Einfluß von Leger und Matisse variieren.
Diemer gehört auch zu den Künstlern, die der Unternehmer Gotthold Alber (Frittlingen, bei Rottweil) anfangs der 1950er Jahre finanziell unterstützt. Alber ist der Schwager Otto Conzelmanns, des Biographen Otto Dix’, den Diemer mehrfach selber trifft. Das Stipendium ermöglicht ihm und dem Stuttgarter Maler Otto Schauer (geb. 1923) die Reise nach Frankreich, wo Diemer zunächst in Picassos unmittelbarer Nähe in Vallauris lebt. Mit Gelegenheitsarbeiten, als Fremdenführer in Paris oder als Begleiter von Pilgerzügen nach Lourdes, verdient er seinen Lebensunterhalt. Picassos Einfluß schlägt sich in den starkfarbigen, neo-expressionistischen Figurenkompositionen Diemers, Mädchen und Tänzerinnen, nieder. Die ab 1952 geschaffenen Stilleben und die in der Flächigkeit der Darstellung zurückgenommenen Architekturausschnitte und Portraits stehen jedoch im Zusammenhang mit stilistischen Tendenzen des Neorealismus und der Pittura Metafisica. Aus schwarzen Augenhöhlen blickend sind die Portraitierten vor einem monochromen Grund dargestellt, der keinen Aufschluß über ihre Lebenssphäre zuläßt. Seit dieser Zeit bis zu seinem Tod arbeitet Diemer vorwiegend in seinem Pariser Atelier, kürzere Aufenthalte führen ihn jedoch immer wieder nach Bönnigheim zurück.
Ab 1955 bilden die „Aktkompositionen“ und „Tanzgruppen“ die für Diemers Kunst spezifischste Werkgruppe. Das Gemälde „Akte auf Bäumen“ (1955), auch „Frauenbaum“ genannt, kann als Schlüsselbild dieser Reihe angesehen werden. Von der in Formverzerrungen fragmentierten Einzelfigur vom Anfang der 1950er Jahre gelangt Diemer zu in Erdtönen gehaltenen, typisierten Gruppenfiguren. Dabei sind die weiblichen Akte in Frontalansicht, mit einer Fußboden und Wand trennenden Horizontalen, oder in einer Körpervolumen und Bildfläche verschmelzenden Aufsicht gezeigt. Den Ursprung dieser Perspektive, das Schweben im (Bild-)Raum, sieht die Literatur in den Flugerlebnissen Diemers während des Krieges. Die Aktfiguren werden in von tänzerischer Ekstatik bis hin zu akrobatischen Positionen reichenden Motiven zueinander in Beziehung gesetzt. Nur in den sujetverwandten Darstellungen der Reihe „Child’s Play“ (1956/58) taucht eine männliche Figur unter den weiblichen Aktfiguren, ein nacktes Kind, auf. Diese Werkgruppe wird häufig in Verbindung mit dem frühen Tod von Diemers Vater und der daraus resultierenden Bedeutung der Mutter für den Künstler gebracht. Die Individualität der Einzelfigur verschwindet in diesen Bildern hinter der Gruppe, die Dargestellten scheinen als Darstellende auf einer Bühne, der Bildfläche, Archetypen stellvertretend zu agieren. Die Zweidimensionalität des eigentlichen Bildträgers wird im aus der Aufsichtsperspektive gesehenen Bildraum noch hervorgehoben, indem die Figuren in die (Ober-)Fläche einer Bettdecke oder eines anderen rechteckigen Binnenfeldes choreographiert sind. Die grotesk wirkende Gestik und Konstellationen der Figuren finden in der 1959/60 entstandenen Lithographie „Aktkomposition“ ein Extrem; jeweils zwei weibliche Ober- und Unterkörper mutieren untereinander zu zwei neuen menschlichen Körperwesen.
Die Konfigurationen von Objekten in Stilleben-Darstellungen bilden eine zweite entscheidende Werkgruppe in Diemers Schaffen. Galt sein Interesse in den früheren Stilleben noch dem einzelnen Gegenstand, dem Kochtopf auf einem Stuhl oder dem Faltenwurf einer Jacke (1953), wendet er sich ab 1957 Kompositionen von Gefäßgruppen zu. Es entsteht die Reihe der Oval-Stilleben, in denen Kompositionen von Gefäßen mit einer Tonpfeife, Musikinstrumenten oder Brotlaiben variiert werden. Den Figurenbildern vergleichbar schließen die erdfarbenen Krüge, Flaschen und Töpfe mit ihrer Oberkante an einer hoch am oberen Bildrand angelegten Horizontlinie oder unmittelbar an demselben bündig ab. Dabei schmelzen die Objekte in die Ober- und Wandflächen, auf oder vor denen sie zu stehen kämen, aperspektivisch ein, ohne Schatten zu werfen. Die Entwicklung von Diemers Stilleben ist neben den kubistischen Einflüssen unter der Wirkung der „Valori Plastici“ zu sehen. Diemers „Fischstilleben“ zitiert 1960 de Chiricos (1888-1978) „Die heiligen Fische“ aus dem Jahr 1919, Gliederungs- und Schichtungssysteme Giorgio Morandis (1890-1964) sind Diemer sicher geläufig. Sowohl in den Stilleben als auch in den Aktkompositionen ist die Auflösung der Einzelformen in die durch die Konturen derselben geometrisierte Bildfläche von entscheidender Bedeutung. Diemer weicht von den Vorbildern insoweit ab, als er eine schattenlose Doppelperspektive von gleichzeitiger Aufsicht und frontaler Ansicht wiedergibt und nicht auf die Nobilitierung von Alltagsgegenständen in einem malerischen Arrangement abhebt. Die Reihe der Drei-Töpfe-Stilleben (1960) veranschaulicht dieses in sich hermetisch verschlossene Bildsystem besonders deutlich.
Im Jahr 1961 hält sich Diemer noch einmal für einen längeren Zeitraum in Bönnigheim auf und plant die Errichtung eines Ateliers dort oder in der Umgebung Stuttgarts. Im folgenden Jahr verunglückt er bei einem Autounfall auf der Fahrt von Paris nach München tödlich, wo er seine aus Italien anreisende Frau zu treffen beabsichtigte, um die vereinbarte Scheidung der Ehe zu regeln.
Quellen: Archiv Karl Diemer (künstlerische Arbeiten Bruno Diemers, Briefe, Dokumente); Städtische Museen Heilbronn; Galerie Schlichtenmaier, Schloß Dätzingen, Grafenau; Privatbesitz
Werke: Verzeichnis der Lithographien in: Bruno Diemer. Gemälde und Lithographien, Ausstellungskatalog Württembergischer Kunstverein Stuttgart 1964, 35 f.; Werkverzeichnis der Gemälde in: Ausstellungskatalog Heilbronn/Albstadt 1998 (vgl. Literatur); Städtische Galerie Böblingen; Sammlung Rolf Deyhle, Stuttgart; Sammlung R. und E. Heffner; Galerie der Stadt Sindelfingen – Lütze-Museum; Galerie der Stadt Stuttgart; Staatsgalerie Stuttgart; Galerie Schlichtenmaier, Schloß Dätzingen, Grafenau; Galerie Valentien, Stuttgart; Privatbesitz
Nachweis: Bildnachweise: Ausstellungskatalog Heilbronn/Albstadt 1998 (vgl. Literatur, zahlreiche Photographien Diemer im Atelier und in Künstlerkreisen darstellend)

Literatur: Bruno Diemer (1924-1962). Maler in Paris. Kinderspiele, Tisch und Bett. Ausstellungskatalog Städtische Museen Heilbronn und Städtische Galerie Albstadt 1998, Heilbronn 1998 (mit dem Werkverzeichnis der Gemälde, ausführlichen bibliographischen Angaben und Auszügen, Verzeichnis der Einzelausstellungen und Beteiligungen); Mandira Diemer, Bruno Diemer – Painter apart – Peintre à part – Maler apart, 1990, Neuauflage Pune, Indien 2000
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