Kopf, Paul 

Geburtsdatum/-ort: 01.06.1930;  Tiefenbach, Lkr. Biberach
Sterbedatum/-ort: 16.03.2007;  Ludwigsburg
Beruf/Funktion:
  • Geistlicher und Kirchenhistoriker
Kurzbiografie:

1937–1946 Grundschule Tiefenbach, Volks- und Oberschule Buchau

1946–1950 Bischöfliches Knabenkonvikt und Gymnasium Ehingen an der Donau bis Abitur

1950–1954 Studium der katholischen Theologie an der Universität Tübingen, Wilhelmsstift; SS 1953 an der Universität München

1954–1955 Priesterseminar Rottenburg am Neckar

1955 Priesterweihe durch Bischof Carl Joseph Leiprecht (1903-1981)

1955–1960 Vikar in Bühlertann und Ebingen

1960–1973 Pfarrer in Steinheim an der Murr

1973–1995 Pfarrer in Ludwigsburg-Neckarweihingen

1968–1993 Dekan des Dekanats Ludwigsburg, Kreisdekan für den Dekanatsverband Ludwigsburg-Vaihingen; auch Studentenpfarrer an der PH Ludwigsburg

1996–2004 Leiter des Katholischen Büros Stuttgart

Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Auszeichnungen: Ehrungen (Auswahl): Martinusmedaille (1978); Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland und Päpstlicher Ehrenkaplan, Monsignore (1985); Ehrenbürger der Gemeinde Tiefenbach (1995); Päpstlicher Ehrenprälat (1999); Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg (2005).
Verheiratet:

Unverheiratet


Eltern:

Vater: Lorenz (1896–1963), Landwirt

Mutter: Maria, geb. Metzler (1906–1995)


Geschwister:

6; 3 Brüder, 3 Schwestern


Kinder:

keine

GND-ID: GND/120314991

Biografie: Oliver Göbel (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 305-309

Für die geistliche Laufbahn hatte sich Kopf bereits früh entschieden. Wie viele andere junge Männer gerade aus dem ländlich-bäuerlichen, von Volksfrömmigkeit geprägten streng katholischen Milieu Oberschwabens trat er in das bischöfliche Knabenkonvikt in Ehingen an der Donau ein und wollte Priester werden. 1950 bestand er dort das Abitur und noch im gleichen Jahr beschritt er den typischen Weg eines katholischen Theologen in Württemberg: Eintritt in das Theologenkonvikt Wilhelmsstift und Aufnahme des Theologiestudiums an der Universität Tübingen, dann Ausbildung im Priesterseminar in Rottenburg. 1955 wurde er geweiht.

Kopfs Interesse galt schon während des Studiums nicht nur der Theologie, sondern auch der Geschichte. Weit über das im Curriculum an fachfremden Studien vorgesehene Maß hinaus besuchte er Veranstaltungen am Historischen Seminar, besonders landeskundliche. Begeistert von der Arbeit mit geschichtlichen Quellen, verzeichnete er nach einer Schulung im HStA Stuttgart Pfarrarchive und zentrale Bestände im Diözesanarchiv Rottenburg. In Max Miller (1901-1937), Direktor der Landesarchivverwaltung und Diözesanpriester, fand Kopf dabei nicht nur einen Lehrer und Förderer in Wissenschaft und Forschung, sondern auch einen geistlichen Begleiter, väterlichen Freund und Vertrauten.

Nach dem Studium begann Kopfs Priesterlaufbahn. Er wurde Vikar und leitete ab 1960 mit den Pfarreien Steinheim an der Murr und 1973 bis 1995 Ludwigsburg-Neckarweihingen zwei ehemals reine Diaspora-Pfarreien. Kopf wurde 1968 zum Dekan des Dekanats Ludwigsburg gewählt und Kreisdekan für den Dekanatsverband Ludwigsburg-Vaihingen. Fast zwangsläufig musste die Integration der katholischen Heimatvertriebenen und später der Gastarbeiterfamilien sowie der Auf- und Ausbau der kirchlichen Infrastruktur zu seinem pastoralen Hauptanliegen werden. Sei es die Aufnahme schlesischen, böhmischen oder sudetendeutschen Liedguts und regionaler liturgischer Bräuche in den Gottesdienst, seien es die Gründung neuer Pfarreien, der Bau neuer Kirchen und Gemeindehäuser – Kopf widmete sich engagiert diesen Aufgaben. Mit Nachdruck kämpfte er um Fördermittel bei Staat, Land und Kommunen oder machte Eingaben an das Bischöfliche Ordinariat, in denen er um materielle und personelle Unterstützung für die Ludwigsburger Diaspora warb. Allein in den Jahren 1968 bis 1985 wurden in Kopfs Zuständigkeitsbereich als Dekan bzw. Kreisdekan mehr als 10 Pfarreien, ohne unselbständige Seelsorgestellen, neu errichtet und über 25 Kirchen eingeweiht. Hinzu kamen Gemeindezentren, Jugendhäuser und Kindergärten sowie 1976 das Bischof-Sproll-Haus als Dekanatszentrum in Ludwigsburg.

Darüber hinaus setzte sich Kopf für christlich-fürsorgliche, sozial-karitative Projekte ein. Wohnungslosenfürsorge und Betreuung von benachteiligten Familien lagen ihm am Herzen. 1985 war er Mitbegründer des Vereins für Gefährdeten-und Nichtseßhaftenhilfe; der Caritasverband Ludwigsburg, die Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche sowie für Ehe-, Familien- und Lebensfragen genauso wie die Ludwigsburger Psychosoziale Einrichtung für Drogenabhängige gehen maßgeblich auf Kopfs Initiative zurück. Für das Internationale Kindertagesheim Ludwigsburg übernahm Kopf nicht nur die pädagogische Verantwortung, sondern zeitweise sogar privat die finanzielle Haftung.

Vor allem als Dekan sammelte Kopf reichlich kommunal- und kirchenpolitische Erfahrung und konnte ein breites Netzwerk in Gesellschaft und Politik aufbauen. Seine Erfahrungen auf dem Feld der Politik waren ausschlaggebend, dass die Bischöfe von Freiburg und Rottenburg ihm 1996 die Leitung des Katholischen Büros in Stuttgart übertrugen, das gemeinsame Kommissariat der Bischöfe in Baden-Württemberg bei Landesregierung und Landtag. Als Kontakt- und Verbindungsstelle vertrat Kopf leidenschaftlich und nicht immer für jedermann bequem bis zu seiner Pensionierung 2004 die kirchlichen Positionen gegenüber Politik und Gesellschaft. Seine Aufgabe begriff er stets als Mittler zwischen Kirche und Gesellschaft, bei Asyl-, Ausländerrechts-, bildungs- und sozialpolitischen Fragen, bei der Konfliktberatung für Schwangere, am Ende seiner Tätigkeit 2004 auch im Zusammenhang mit dem Vertrag über eine Verfassung für Europa, VVE. Obwohl ein Kind seiner Zeit – das Studium der Theologie und die Priesterausbildung waren zu Beginn der 1950er Jahre noch stark kirchlich-autoritär, klerikal, dogmatisch und revisionistisch ausgerichtet gewesen – war Kopf sowohl als Seelsorger wie als Leiter des Katholischen Büros durchaus modern. Durchdrungen von tiefer Religiosität und Spiritualität und der Verbundenheit zur Amtskirche zeigte er sich als ein vom II. Vatikanischen Konzil beeinflusster, zukunftsorientierter, erneuerungswilliger Pragmatiker, der für Ökumene, Laientum und Dialog in einer pluralistischen Gesellschaft eintrat.

Gleichwohl verlor Kopf die Tradition nicht aus dem Blick. Getreu den Worten Max Millers, der als Primizprediger Kopf auftrug, in allem Tun auch „den Wurzeln der Geschichte nachzugehen“ (Nachlass Paul Kopf, DA Rottenburg), bedeuteten die seelsorglichen und kirchenamtlichen Aufgaben keine Abkehr von der Beschäftigung mit der Historie. Im Gegenteil, über die Grenzen Württembergs hinaus machte er sich als Erforscher der Landes- und der kirchlichen Zeitgeschichte einen Namen. Etwa 150 Veröffentlichungen, Vorträge, Rundfunkansprachen und Ausstellungen zeugen von einem beachtlichen nebenberuflichen Schaffenspensum.

Kopfs thematischer Schwerpunkt wurde schon früh die Beschäftigung mit Bischof Joannes Baptista Sproll (1870–1949) und der Rottenburger Diözesangeschichte während des „Dritten Reichs“. Damit griff er in die während der 1960er Jahre aufgekommenen Debatten und Schuldzuweisungen ein, die Katholische Kirche habe den Nationalsozialismus unterstützt und angesichts des Holocaust geschwiegen, weswegen eine Mitbestimmung der Kirche in Staat und Gesellschaft oder die Anerkennung als moralisch ernstzunehmende Instanz mindestens kritisch gesehen werden müsse. Diesen Schuldzuweisungen stellte Kopf beispielhaft den Rottenburger Bischof Sproll entgegen, der sich dem Nationalsozialismus nicht gebeugt oder gar angeschlossen, sondern früh offen gegen das Regime gepredigt hatte. 1965 veröffentlichte Kopf erste Artikel über Sproll, 1971 erschien die gemeinsam mit Max Miller herausgegebene Quellenedition „Die Vertreibung von Bischof Joannes Baptista Sproll von Rottenburg 1938–1945. Dokumente zur Geschichte des kirchlichen Widerstands“, die bis heute als Standardwerk für die Forschung zu Bischof Sproll, zum Widerstand des deutschen Episkopats und für die Beschäftigung mit dem Kampf des Nationalsozialismus gegen die katholische Kirche in Deutschland gelten darf. Bis zu Kopfs Tod folgten immer wieder Arbeiten zu Bischof Sproll und zum kirchlichen Widerstand, darunter 1988 die Monografie, die von Kopf mitgeplante Wanderausstellung „Seid stark im Glauben. Kirche und Diözese im Nationalsozialismus“ 1988, die Biografie über den regimekritischen und wie Sproll aus der Diözese verbannten Ulmer Stadtpfarrer Franz Weiß, Mitbegründer der klerikalen Widerstandsbewegung „Acies Ordinata“ 1994, oder die von Kopf mitkonzipierte Dauerausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg zum Gedenken an Bischof Sproll und Eugen Bolz 2005.

Als Leiter des Katholischen Büros richtete Kopf sein publizistisches Augenmerk auf das Verhältnis von Kirche und Staat seit der Säkularisation, besonders auf das Nebeneinander von politischer Verantwortung und der Verantwortung aus dem Glauben heraus. Bedeutende Persönlichkeiten des politischen Katholizismus als Bekenner christlicher Werte in staatlichen Ämtern, etwa Karl Arnold (1901–1958), Gebhard Müller (1900-1990) und Kurt Georg Kiesinger (1904-1988), behandelte Kopf in seinen Beiträgen. Auch die persönliche Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft gehörte zu seinen Themen.

Ein weiterer thematischer Schwerpunkt Kopfs war die allgemeine Diözesangeschichte. In der von ihm mitverantworteten, 1978 eröffneten Ausstellung „150 Jahre Diözese Rottenburg-Stuttgart“ machte Kopf die Geschichte des Bistums einem breiten Publikum zugänglich. Außerdem veröffentlichte er zahlreiche biografische Abrisse zu Bischöfen und weiteren prägenden Persönlichkeiten der Diözese, etwa Urban von Ströbele (1781–1858). Für den 4. Band dieser Reihe verfasste er die Beiträge über Bischof Georg Moser und den Kirchenrechtler Generalvikar August Hagen. Schließlich widmete er sich Themen, die für ihn besondere persönliche Bedeutung hatten und mit denen er sozialisiert worden war: den Klöstern, Orden und Kongregationen in der Diözese, den Frömmigkeitsformen und der Marienverehrung. Als ausgewiesener Kenner steuerte Kopf mehrere Beiträge zum 2003 veröffentlichten Württembergischen Klosterbuch bei und erschloss die Geschichte der Jesuiten in Württemberg, die postum 2008 publiziert wurden. Als Regional- und Lokalhistoriker arbeitete Kopf schließlich, vor allem in seinen letzten Lebensjahren, zur Geschichte seiner eigentlichen Heimat Oberschwaben und der Federseeregion sowie zu seinem beruflichen Wirkungsfeld Ludwigsburg.

Kopfs Publikationen sind durchweg akribisch recherchierte Darstellungen, womit er vor allem zur Erkenntnis der Geschichte der Diözese Rottenburg im „Dritten Reich“ wahre Pionierarbeit leistete und dazu beitrug, Bischof Sproll ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und ihm wieder zur der Anerkennung zu verhelfen, die er bei einem Gutteil seiner Zeitgenossen innegehabt hatte. Mit Zeitungsartikeln, Auftritten in Rundfunksendungen, Vorträgen und Ausstellungen erreichte Kopf vor allem die interessierte Öffentlichkeit, ein breites Publikum also, das er für die Beschäftigung mit der Vergangenheit zu sensibilisieren und zu verantwortlichem Umgang mit dem historischen Erbe mahnen suchte. Dafür hatte sich Kopf, ganz seinem Charakter entsprechend, zielstrebig und hartnäckig auf die Suche nach neuen Quellen in deutschen und europäischen Archiven, nach Zeitzeugen und sonstigen Überlieferungsspuren gemacht, die Auskunft über Bischof Sproll, über die Zeit des „Dritten Reiches“ und viele weitere historische Themen geben können. Der von Kopf ermittelten und zusammengetragenen Dokumente, ihrer Aufbereitung und Auswertung, Kopfs Grundlagenarbeit also, bedient sich noch die jüngste Forschung, wie die Arbeit von Dominik Burkard über Joannes Baptista Sproll von 2013 erkennen lässt.

Auch in Gremien und durch fachliche Beratung förderte Kopf die Erforschung der regionalen (Kirchen-) Geschichte: 1979 als Gründungsmitglied des Geschichtsvereins der Diözese Rottenburg-Stuttgart und bis 1990 als Mitglied seines Vorstands. Seit 1991 bis zu seinem Tod war er auch Korrespondierendes Mitglied der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg.

Der für sein kirchliches, historisch-politisches und sozial-karitatives Engagement mit zahlreichen Ehrungen Ausgezeichnete verstarb 2007 im Alter von 76 Jahren.

Quellen:

DA Rottenburg, Nachlass Paul Kopf; Zeitungsausschnittsammlung.

Werke: (Auswahl) Bischof Dr. Joannes Baptista Sproll, der Verbannte, in: Deutsches Volksblatt Nr. 133, 1965; (Hg., zus. mit Max Miller) Die Vertreibung von Bischof Joannes Baptista Sproll von Rottenburg 1938 –1945, 1971; Zum 200. Geburtstag von Bischof Joh. Bapt. Keller, in: Katholisches Sonntagsblatt 20/21, 1974; 150 Jahre Diözese Rottenburg, in: Katholisches Volks- und Hauskalender, 1978, 27–46; Auf Kollisionskurs mit dem Regime, in: RJKG 1, 1982, 11–19; Das Bischöfliche Ordinariat Rottenburg und der Nationalsozialismus, ebd. 2, 1983, 115–127; Die Entwicklung der Katholischen Kirche im Lkr. Ludwigsburg, 1986; Urban Ströbele, in: RJKG 6, 1987, 169–182; Bischof Joannes Baptista Sproll. Leben und Wirken, 1988; Die Bischofswahl 1949, in: RJKG 7, 1988, 175–190; (mit Wolfgang Urban) Zeit – Räume. Katholischer Kirchenbau und religiöse Kunst im Lkr. Ludwigsburg, 1990; Der Blutfreitag in Weingarten 1933–1949, 1990; Briefwechsel zwischen Joannes Baptista Sproll und Conrad Gröber (1941–1944), in: RJKG 11, 1992, 271–300; Die Neugründung des Klosters Weingarten und die Heilig-Blut-Verehrung, in: 900 Jahre Heilig- Blut-Verehrung in Weingarten, hgg. von Norbert Kruse und Hans Ulrich Rudolf, 1994, 163–184; Franz Weiß, 1994; Gebhard Müller, ein Politiker aus dem katholischen Milieu, in: Gebhard Müller, ein Leben für das Recht und die Politik, hgg. von Gerhard Taddey, 2000, 19–31; Kindheit und Jugend am Federsee, in: BC 1, 2001, 30–49; Klösterliches Leben in Baden-Württemberg, in: FDA 123, 2003, 25–44; Kongregation der Franziskanerinnen von Bonlanden, in: Württembergisches Klosterbuch, hgg. von Wolfgang Zimmermann und Nicole Priesching, 2003, 568–571; Kurt Georg Kiesinger, in: FDA 124, 2004, 139–156; (mit Dominik Burkard und Erwin Gatz) Bistum Rottenburg-Stuttgart, in: Erwin Gatz (Hg.), Die Bistümer der deutschsprachigen Länder, 2005, 616–637; Hagen, August und Moser, Georg, in: BWB IV, 2007, 119 und 229; Die Jesuiten in Württemberg 1920–2004, 2008 (postum).
Nachweis: Bildnachweise: Foto (2005), S. 306, DA Rottenburg, Nachlass Paul Kopf; Die Jesuiten in Württemberg, 2008, 6.

Literatur:

(Auswahl) Monsignore Paul Kopf feiert seinen 65. Geburtstag, in: Ludwigsburger Kreisztg. vom 1.6.1995; Paul Kopf an Schaltstelle von Kirche und Staat, ebd. vom 1.3.1996; Gemeinde feiert ihren Ehrenbürger mit großem Fest, in: Schwäbische Zeitung vom 23.7.2005.

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