Laitenberger, Theophil Paul 

Geburtsdatum/-ort: 11.11.1903;  Tuningen
Sterbedatum/-ort: 13.03.1996;  Schorndorf
Beruf/Funktion:
  • Komponist, Kirchenmusiker und Musikpädagoge
Kurzbiografie:

1910–1917 Volksschule Großgartach und Mittelschule in Heilbronn

1917–1923 Lehrerseminar Esslingen, Abschluss mit I. Volksschuldienstprüfung

1925 Veröffentlichung von Hölderlin-Vertonungen; Besprechung durch Hans Joachim Moser (1889–1967)

1930–1934 Studium an der Hochschule für Musik Stuttgart; Organist und Chorleiter an der Stadtkirche Schorndorf

1933 Hochschulprüfungen in Schul- und Kirchenmusik, Hochschulaufführung einer Chorkantate von Laitenberger

1934–1937 Verwendungen als unständiger Lehrer, u. a. als Orgellehrer am Lehrerseminar Esslingen, ab 1935 unständiger Lehrer und Organist und Chorleiter in Reutlingen; ab 1937 Lehrer an der Oberschule Calw, zuletzt Studienrat; Kirchenmusiker an der Stadtkirche

1943–1945 Kriegsdienst als Sanitäter

1967 Verleihung der Zelter-Plakette an den von Laitenberger geleiteten Kirchenchor Calw

1968 Ruhestand und verstärkte Komponistentätigkeit

1972 Fertigstellung des Oratoriums „Zeit des Jeremia“, 1983 in Calw uraufgeführt

1981/82 Uraufführungen: „Psalm 104“ in Kirchheim/Teck; Choralsonate für Horn u. Orgel „Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich“ in Heilbronn und Calw; „Evangelienbericht: Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste“ in der Stuttgarter Stiftskirche

1990 CD-Veröffentlichung „Lieder für Bariton und Klavier / Klaviermusik“

1993 Uraufführung der „Kantate von der Nichtigkeit des Menschen und von Güte und Allmacht Gottes“ in Calw

2010 CD-Veröffentlichung „Organ Works“

Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet:

1935 (Esslingen) Hiltrud, geb. Schumann (1908–2002)


Eltern:

Vater: Johannes, Oberlehrer (1863–1929)

Mutter: Christine, geb. Kammerer (1868–1916)


Geschwister:

9; Frida Christine (1892–1909), Maria Emilie (1893–1911), Johannes Immanuel (1895–1979), Eugen (1896–1933), Ernst (1896–1917), Klara Sofie (1897–1898), Gotthold (6.1.–26.2.1899), Immanuel (1900–1908) und Traugott (1901–1973).


Kinder:

4; Georg Friedrich (1937–2008), Hans Ulrich (geb. 1939), Volkhard Christoph (geb. 1940) und Malve Diethild (geb. 1943)

GND-ID: GND/128773049

Biografie: Karl J. Mayer (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 324-327

Geboren als jüngstes Kind einer Lehrerfamilie erlernte Laitenberger autodidaktisch das Klavierspiel. Auf Wunsch des Vaters besuchte er das Lehrerseminar in Esslingen, wo der Unterricht bei dem dort zeitweise lehrenden Musikerzieher, Komponisten, Musiktheoretiker und Musikschriftsteller August Halm (1869–1929) für Laitenberger wegweisend war. Laitenberger vertiefte seine Fähigkeiten an der Orgel und versuchte sich an ersten eigenen Kompositionen. In den Jahren der Ausbildung am Lehrerseminar fand er vor allem Zugang zu den großen Musikmeistern des Barock und der Klassik.

Nach bestandener Volksschuldienstprüfung war ein Berufseinstieg für Laitenberger aufgrund des Einstellungsstopps für Lehrer in Württemberg nicht möglich. Er war auf Aushilfstätigkeiten angewiesen und studierte nebenbei intensiv Kontrapunkt bei dem späteren Direktor der Musikhochschule Stuttgart Hugo Holle (1890–1942). Laitenberger vertonte früh Gedichte Hermann Hesses (1877-1962) und errang besonders mit Vertonungen von Hölderlin-Gedichten Aufmerksamkeit. Er setzte sich auch mit der neuen, von Arnold Schönberg (1874–1951) ausgehenden, atonalen Harmonielehre auseinander und experimentierte in dieser Richtung, gab jedoch die grundsätzlich an der Tonalität festhaltende Orientierung nicht auf.

1930 übernahm Laitenberger nebenamtlich die Stelle des Organisten und Chorleiters in Schorndorf und begann im selben Jahr ein Studium an der Musikhochschule Stuttgart mit dem Schwerpunkt Kirchen- und Schulmusik und Komposition. Besonders förderlich war dabei sein Lehrer in Komposition und Tonsatz Herman Roth (1882–1938). Durch den Lehrbeauftragten für Liturgik und Hymnologie Richard Gölz (1887–1975) und durch die von diesem ausgehende Erneuerung der kirchlichen Chormusik im Sinne der Liturgie- und Singbewegung wurde er in seiner Distanz zur Schönberg-Schule ebenso wie zu der von Laitenberger selbst noch in seinen frühen Liedern gepflegten Spätromantik bestärkt.

Laitenberger legte Prüfungen in Schul- und Kirchenmusik ab und stellte sich in der beachteten Hochschulaufführung einer eigenen Arbeit als Komponist vor, musste jedoch aus finanziellen und privaten Gründen auf die Weiterführung seines Studiums nach einem zusätzlichen Studienjahr verzichten. Er trat in den Schuldienst ein und wurde an häufig wechselnden Dienstorten eingesetzt. 1937 wurde er an die Oberschule für Jungen in Calw, das heutige Hermann-Hesse-Gymnasium, berufen. Zugleich übernahm er den Organisten- und Chorleiterdienst an der Stadtkirche St. Peter und Paul.

Die Kirchenmusik hatte in Calw eine lange Tradition, die Laitenberger nahtlos fortsetzte. Das Werk Johann Sebastian Bachs (1685–1750) stand dabei im Mittelpunkt, neben dem für Laitenberger besonders wichtigen Heinrich Schütz (1585–1672). Im April 1938 wurde unter Laitenbergers Leitung Bachs „Matthäuspassion“ aufgeführt. Sowohl als Organist als auch als Chorleiter fand er die Anerkennung des Calwer und des regionalen Publikums. Er setzte musikalisch auf die alten Meister, führte, zurückhaltend dosiert, jedoch auch Musik des 20. Jahrhunderts auf: neben eigenen Werken u. a. Johann Nepomuk David (1895–1977), Hugo Distler (1908–1942), Kurt Hessenberg (1908–1994), Rudolf Mauersberger (1889–1971), Ernst Pepping (1901–1981), Fritz Werner (1898–1977). Diese damals moderne, stilistisch an vorbarocke Polyphonie anknüpfende Musik, hatte es in Calw erwartungsgemäß weniger leicht.

Laitenberger wurde 1943 als Sanitäter zur Wehrmacht einberufen. 1945 kehrte er aus der Gefangenschaft nach Calw zurück. Da er kein NSDAP-Mitglied und 1938 aus der SA ausgetreten war – 1935 (!) war er ihr beigetreten –, konnte er sofort, nach einer nur geringfügigen Sühnemaßnahme im Rahmen der Entnazifizierung, seine Tätigkeit als Lehrer und Kantor in Calw wieder aufnehmen. Anlässlich einer Feier zum 70. Geburtstag Hermann Hesses im Sommer 1947 trug der Calwer Kirchenchor das von Laitenberger vertonte „Schwarzwald“-Gedicht Hesses vor; Hesse-Klavierlieder Laitenbergers, die ebenfalls zur Aufführung kamen, wurden dem Dichter als Calwer Geburtstags-Ehrengabe dediziert.

Die folgenden Jahre in Calw waren vor allem durch Laitenbergers Tätigkeit als Kantor geprägt. Als durchgehende kirchenmusikalische Linie ist die bemerkenswerte Heinrich-Schütz-Pflege – neben dem immer präsenten Bach – hervorzuheben. Regelmäßig wurden größere Werke aufgeführt, darunter Bachs „Johannes-“ und „Matthäuspassion“ und das „Weihnachtsoratorium“. Brahms‘ „Ein deutsches Requiem“ unter Mitwirkung der Stuttgarter Philharmoniker, Georg Friedrich Händels (1685–1759) „Messias“ und „Samson“, Felix Mendelssohn Bartholdys (1809–1847) „Elias“, Schütz‘ „Matthäuspassion“. Hochkarätige Gastorchester, Solisten und Instrumentalisten unterstrichen die Bedeutung Calws als Stadt der Kirchenmusik. Anlässlich seines 100–jährigen Bestehens wurde dem Kirchenchor Calw die von Bundespräsident Theodor Heuss 1956 gestiftete Zelterplakette zuerkannt, die Laitenberger im Juni 1967 entgegennahm.

1968 trat Laitenberger als Musikpädagoge in den Ruhestand. Zwar hatte er sich auch mit dem Calwer Schulchor und -orchester profilieren können, doch war der Schuldienst für ihn über dreißig Jahre hinweg oft eher Last als Freude gewesen. Er brachte in die musikpädagogische Arbeit immer wieder seine Kompetenz als Komponist ein. Die Schuloper „Jungfrau Maleen“ (1955), die in enger Zusammenarbeit mit dem Kunsterzieher der Schule 1956 sehr erfolgreich uraufgeführt wurde, legt davon beispielhaft Zeugnis ab.

Mit dem Eintritt in den Ruhestand begann für Laitenberger eine lang anhaltende Phase musikalisch-schöpferischer Tätigkeit. Aufgrund der jahrzehntelangen Doppelbelastung als Lehrer und Kirchenmusiker war ihm zu wenig Zeit zum Komponieren geblieben. Dies holte er nun nach. Es entstanden Kompositionen für sämtliche Musikgattungen. Insgesamt umfasst sein Werk weit über 100 Stücke, die meisten davon im Ruhestand komponiert. Bereits 1972 war sein Hauptwerk, das Oratorium „Zeit des Jeremia“, fertiggestellt. Auch der Schwerpunkt seiner Kompositionsarbeit lag im Bereich der Kirchenmusik.

Ausgangspunkt allen geordneten Wohlklangs war für Laitenberger die menschliche Stimme, der Naturton, der Gesang, nicht das jeweilige Instrument oder beliebig künstlich erzeugte Töne. Nur wenige Abweichungen von der Tonalität, etwa durch Schlaginstrumente oder andere Formen der „Geräuschmusik“, ließ er zu. Sein Verständnis von Musik blieb durch die neoklassizistischen 1920er Jahre seiner Ausbildungszeit geprägt. Bestätigt fand er sich durch die Publikation „Die Grundlagen der Musik im menschlichen Bewusstsein“ (1961, dt. 1963) des Schweizer Dirigenten und Pioniers der Musik Strawinskys Ernest Ansermet (1883–1969). Laitenberger selbst veröffentlichte in „Württembergische Blätter für Kirchenmusik“ 1972, angeregt durch Ansermets Werk, einen Aufsatz unter dem Titel „Zu den Grundlagen der Musik – Fakten und Folgerungen“.

Der zeitgenössischen Musik, soweit sie sich von Schönberg herleitete, konnte Laitenberger nur wenig abgewinnen. Dem Stuttgarter Hochschullehrer Martin Gümbel (1923–1986) gegenüber charakterisierte er 1971 Karlheinz Stockhausens (1928–2007) Musik als „Neandertal auf modern!“; die mit Schönberg einsetzenden neuen Grundlegungen von Musik bezeichnete er als „antiorganisch“, manche modernen Komponisten als „diabolisch“. Das brachte ihm den Vorwurf ein, die Tatsache der Weiterentwicklung musikalischer Ausdrucksformen zu negieren und die tonale Musik als absolut und gottgegeben zu sehen. Selbst der konservative Tübinger Kirchenmusiker Walter Kiefner (1900–1982) trat dem entgegen, indem er Laitenberger auf die Veränderlichkeit von Ordnungen im Laufe der Geschichte hinwies, was auch für die Grundlagen der Musik gelte; dennoch setzte sich Kiefner für Laitenbergers Musik ein und führte auch selbst Laitenberger-Motetten auf.

Laitenbergers Wirken stieß in den 1970er Jahren noch kaum auf Widerhall. Sein Oratorium „Zeit des Jeremia“ wurde erst 1983, anlässlich seines 80. Geburtstages, in Calw uraufgeführt. Solist war der in Calw aufgewachsene Opernsänger Klaus Hirte (1937–2002), den Laitenberger als jungen Sänger an die Klassik herangeführt hatte. Vor 1980 waren kleinere Werke verschiedentlich aufgeführt und teilweise auch im Rundfunk gesendet worden. Aber noch 1978 teilte ihm der junge Orgel-Virtuose und Kirchenmusiker Christoph Bossert (geb. 1957) in aller Schärfe mit, man könne „heute nicht mehr so komponieren“ (StadtA Calw Nachlass Laitenberger, Nr. 48).

Es zeugt von Laitenbergers fester Überzeugung von der Richtigkeit seines traditionellen, universal gültigen Verständnisses von musikalischer Gestaltung, dass er weiterhin beharrlich und trotz des wiederholten Vorwurfs der Intoleranz gegenüber anderen Musikformen daran arbeitete, seine Kompositionen einem breiteren Publikum vorzustellen. Erfolge blieben nicht aus. 1982 wurden in Kirchheim/Teck „Psalm 104“ und in der Stuttgarter Stiftskirche der oratorienartige „Evangelienbericht: Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste“ uraufgeführt, ebenfalls 1982 die Choralsonate für Horn und Orgel „Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich“ in Heilbronn und Calw mit dem Hornvirtuosen Michael Höltzel (1936–2017), 1983, wie erwähnt, das Oratorium „Zeit des Jeremia“ und 1984 das „Konzert Es-Dur für Orgel und Streichorchester“ in Balingen. Der Organist und Hochschullehrer Johannes Geffert (geb. 1951) führte 1987 mit Christoph Aißlinger (Bratsche) die „Variationen über ein Thema nach G. Frescobaldi für Bratsche und Orgel“ in der Bonner Kreuzkirche auf. Die drei Orgelsonaten wurden 1986 bzw. 1988 in der Heilbronner Kilianskirche bzw. im Ulmer Münster erstmals gespielt. Lieder und Klaviermusik wurden 1990 auf Tonträger veröffentlicht mit Stuttgarter und Trossinger Hochschullehrern als Solisten.

Begünstigt wurde die zunehmende Beachtung von Laitenbergers Werk durch eine vorübergehend spürbare Tendenz in der ernsten Musik, wieder zu traditionellen Stilformen in der Komposition zurückzukehren. Es mehrten sich Rufe nach einer auch dem Laien verständlichen Musiksprache. Um vor diesem Hintergrund die Aktualität seines Werkes zu unterstreichen, wählte Laitenberger dessen Charakterisierung als „neue Einfachheit“. Zu Beginn der 1990er Jahre, um die Zeit seines 90. Geburtstages, war er einer der meistaufgeführten zeitgenössischen Komponisten kirchlicher Musik in Württemberg.

Eine nachhaltige, weitgreifende Rückbesinnung auf traditionelle Formen in der Musik blieb jedoch aus, trotz inzwischen durchaus größerer Unbefangenheit gegenüber der Einbeziehung tonaler Elemente in manche zeitgenössische Komposition. Aber Laitenbergers Werk – in meist, so Laitenberger selbst, „einer subtilen kontrapunktischen Ausformung verpflichteten Schreibweise“ – wurde nach seinem Tod in Fachkreisen zunehmend wahrgenommen und anerkannt. Calw widmete Laitenberger zum 100. Geburtstag 2003 ein Konzertwochenende und eine Festschrift. Eine 2010 veröffentlichte, von Andreas Sieling (Orgel), Wolfgang Talirz (Viola) und Luca Mariani (Oboe) eingespielte CD vor allem mit Orgelwerken fand national und international positiven Widerhall.

2015 übergab der Sohn Volkhard der Stadt Calw den persönlichen und musikalischen Nachlass seines Vaters. Die Jörg und Inge Seybold-Stiftung in Göppingen nahm dies zum Anlass, den Kirchenmusikdirektor Erhard Frieß (geb. 1936) zu beauftragen, ein ausführliches Werkverzeichnis anzufertigen, das 2016 erschien.

Quellen:

StadtA Calw Nachlass Theophil Laitenberger, einschließlich der Kompositionen als Noten-Manuskripte.

Werke: E. Frieß, Theophil Laitenberger. Thematisch-systematisches Verzeichnis der Werke, 2016. – Veröffentlichungen von Theophil Laitenberger: Zu den Grundlagen der Musik – Fakten und Folgerungen, in: WBlK 3, 1972, 59–66; Hymnen als Staatssymbole und „politische“ Musik, in: S. Eisel, Politik und Musik, 1990, 159–172; Ein Kirchenmusiker im Wandel des Jahrhunderts, in: WBlK 6, 1993, 212–216; Wozu neue Kantaten? Erwägungen eines Kirchenmusikers im Hinblick auf kompositorischen Einsatz, ebd. 2, 1995, 49–51.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (um 1980) S. 319; Nachlass Laitenberger, StadtA Calw Nr. 1, 2, 75

Literatur:

V. und G. Laitenberger, Und nicht in Klagen enden … Der Calwer Komponist Theophil Laitenberger (1903–1996). Leben und Werk in Selbstzeugnissen, 2003; Hermann Wulzinger, Kirchenmusik in Calw von 1866 bis 1967, in: Calw – Geschichte einer Stadt, Bd. 21 (Kirchenmusik), 2009, 57–169.

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