Mußgay, Friedrich Paul 

Geburtsdatum/-ort: 03.01.1892;  Ludwigsburg
Sterbedatum/-ort: 03.09.1946;  Stuttgart
Beruf/Funktion:
  • Leiter der Staatspolizeileitstelle in Stuttgart
Kurzbiografie: Volksschule, Mittelschule (acht Klassen), Höhere Schule
1913-1917 fünf Jahre Vorbereitungsdienst für den gehobenen mittleren Verwaltungsdienst (Kommissarlaufbahn)
1914-1918 Kriegsteilnehmer, zuletzt im Range eines Oberleutnants der Reserve, Eisernes Kreuz I. und II. Klasse sowie diverse andere Auszeichnungen
seit 1917 1. Mai im Polizeidienst (Unterbrechungen durch den Kriegsdienst), Polizeidirektion Stuttgart
1920 26. Aug. Verwaltungssekretär (rückwirkend zum 1.4.1920)
1923 1. Jan. Kriminalinspektor im Polizeipräsidium Stuttgart, beschäftigt in der Abteilung Politische Polizei
1923 1. Okt. Kriminaloberinspektor
1932 23. Jun. Kriminalpolizeirat
1933 1. Apr. Eintritt in die SS (Nr. 69594), 1933 1. Mai Mitglied der NSDAP (Mitgliedsnr. 3.227.759)
1933 Mai Übernahme in das verselbständigte Württembergische Politische Landespolizeiamt
1935 Nov. Regierungs- und Kriminalrat
1936 SS-Hauptsturmführer
1940 2. Mai Vertreter des Leiters, seit Januar 1942 Leiter der Staatspolizeileitstelle Stuttgart
1943 9. Nov. Oberregierungs- und Kriminalrat, SS-Obersturmbannführer
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev., 22.8.1941 Kirchenaustritt
Verheiratet: 1918 Emma, geb. Schaubacher (1892-1950)
Eltern: Vater: Georg Friedrich Mußgay (1847-1919), Hausmeister
Mutter: Karoline, geb. Bay
Kinder: Fritz (geb. 1.11.1918)
Manfred (geb. 11.11.1927, gest. 6.7.1982)
GND-ID: GND/137925670

Biografie: Heinz-Ludger Borgert (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 1 (2006), 188-190

Aus einfachen Verhältnissen stammend, schlug Mußgay nach Beendigung seiner Schulzeit und Absolvierung seines Militärdienstes als Einjährig-Freiwilliger 1913 die Kommissarlaufbahn in Württemberg ein. Unterbrochen durch seine Teilnahme am Ersten Weltkrieg – zuletzt als Oberleutnant der Reserve und ausgezeichnet u. a. mit dem Eisernen Kreuz II. und I. Klasse – begann er seine Ausbildung für den gehobenen mittleren Verwaltungsdienst zunächst als Assistent bei den Oberämtern Mergentheim, Ellwangen und Eßlingen. Beim Besuch der Stuttgarter Verwaltungsfachschule lernte er auch Robert Scholl, den Vater der späteren Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl kennen.
Nach Beendigung der fünfjährigen Assistentenzeit wurde er noch während des Krieges 1917 in eine Stelle bei der Polizeidirektion Stuttgart eingewiesen. Als Weltkriegskämpfer durchlief er, 1920 sogar zweimal rückwirkend befördert, schnell die weiteren Stationen vom Verwaltungssekretär bis hin zum Kriminaloberinspektor im Herbst 1923. Am 23. Juni 1932 wurde er zum Kriminalpolizeirat ernannt.
Mit der teilweisen Übertragung landespolizeilicher Aufgaben an das Polizeipräsidium Stuttgart 1923 wurde dort auch eine politische Polizeiabteilung geschaffen. Praktisch von Anfang an war Mußgay dort beschäftigt. Sein Kampf gegen die Verfassungsfeinde von links trug ihm dabei den Spitznamen „Kommunistenjäger“ ein. Mit dieser Aufgabenstellung wurde er 1933 nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten auch in die als Landespolizeiamt neu formierte „Württembergische Politische Polizei“ übernommen. Sein paralleler Eintritt in die SS und die NSDAP dürften schwerlich hinderlich gewesen sein.
Im Zuge der weiteren „Verreichlichung“ der Polizei und ihrer Verschmelzung mit der SS wurden das württembergische Landespolizeiamt in „Staatspolizeileitstelle“ umbenannt und die Bediensteten, soweit sie der Sicherheitspolizei angehörten, in die SS übernommen und dem SD zugewiesen. Entsprechend weist die SS-Rangliste für 1938 Mußgay als SS-Hauptsturmführer beim SD-Hauptamt aus.
Zu der Zeit nahm Mußgay offenbar auch an der Besetzung des Sudetenlandes teil und baute im folgenden nach der Zerschlagung des tschechoslowakischen Staates sowie der Annektierung Böhmen und Mährens – möglicherweise im Rahmen der Tätigkeit bei einem Einsatzkommando – die Gestapo in Brünn (Brno) mit auf. Ausgerechnet für diesen Ort ließ bereits im April 1945 die United Nations War Crimes Commission (UNWCC) einen SS-Sturmbannführer „Muskay“, in anderer Schreibweise auch „Muszkay“, suchen, der von der Tschechoslowakei beschuldigt wurde, dort seit 1939 für die Misshandlung von Zivilisten und andere Verbrechen verantwortlich gewesen zu sein.
Der Zweite Weltkrieg förderte die Karriere Mußgays weiter. Zunächst mit der Vertretung des zum Wehrdienst einberufenen Leiters der Stapoleitstelle Stuttgart beauftragt, wurde er im Januar 1942 auch definitiv dazu ernannt und blieb es bis Kriegsende. Der Aufbau der Dienststelle entsprach im Prinzip derjenigen des Reichssicherheitshauptamtes.
Die Tätigkeit der Gestapo richtete sich im Krieg auch gegen die ins Reich verbrachten Fremdarbeiter, die durch das Reichssicherheitshauptamt z. B. mit den „Polenerlassen“ unter Sonderrecht außerhalb des bestehenden Polizei- und Strafrechts gestellt worden waren. Nach den für sie geltenden Lebensführungsvorschriften war ihnen beispielsweise geschlechtlicher Umgang mit Deutschen verboten. Bei Zuwiderhandlung drohte die Todesstrafe, als Sonderbehandlung kaschiert und häufig zur Abschreckung vor anderen Fremdarbeitern durch Erhängen vollzogen. Die Anzeigen basierten nicht selten auf anonymen Vorwürfen. Selbst als Dienststellenleiter nahm Mußgay noch an einer solchen Hinrichtung persönlich teil.
Zum Aufgabengebiet des Leiters der Stapoleitstelle Stuttgart gehörte ferner die Vorbereitung und Durchführung der mit dem 1. Dezember 1941 von Stuttgart aus einsetzenden „Judendeportationen“. Mit seinem Erlass vom 18.11.1941 an die Landratsämter hatte Mußgay den Eindruck zu erwecken gesucht, als handele es sich bei den bevorstehenden Deportationen nach dem Osten lediglich um Umsiedlungen, für die man unter anderem Arbeitsgeräte mitbringen müsse, „weil in dem Siedlungsgebiet zur Errichtung eines Ghettos nicht das geringste Material sowohl zum Aufbau als zur Lebenshaltung selbst vorhanden ist“. Tatsächlich ging der erste Transport mit ca. 1000 Personen nach Riga, wo ein Großteil von ihnen im nachfolgenden Frühjahr umgebracht wurde. Der letzte Transport erfolgte noch im Februar 1945 nach Theresienstadt. Von den insgesamt 2423 verschleppten Personen sind die meisten ermordet worden. Nur wenige kehrten nach dem Krieg lebend zurück.
Mit der Zerschlagung der kommunistischen Widerstandsgruppe „Schlotterbeck“ in Stuttgart 1944 schloss sich für Mußgay gleichsam der Kreis seiner beruflichen Tätigkeit. Neun von ihnen wurden am 30.11.1944 im KZ Dachau „wegen Vorbereitung zum Hochverrat“ hingerichtet, darunter Frau E. Seitz, die bereits 1933 im Widerstand tätig gewesen und verhaftet worden war. H. Schlotterbeck, inhaftiert in Welzheim, wurde kurz vor Kriegsende nach Räumung des Lagers auf dem Evakuierungsmarsch bei Riedlingen an der Donau von SS-Leuten erschossen.
Mußgay wurde von den Alliierten verhaftet und in das amerikanische Militärgefängnis in Stuttgart eingesperrt. Dort entzog er sich am 3. September 1946 den irdischen Richtern.
Jürgen Schuhladen-Krämer hat Mußgay in seinem biographischen Beitrag zusammenfassend als „Bürokrat im Bewährungsaufstieg“ tituliert. Gleichzeitig schildert er ihn einerseits als einen Vorgesetzten, der sich, wo immer er konnte, gegebenenfalls auch schützend vor seine Mitarbeiter stellte. Ferner soll ihm die Auseinandersetzung mit kirchlichen Kreisen teilweise spürbar unangenehm gewesen sein. Andererseits soll er sich auch nicht auf die Arbeit am Schreibtisch beschränkt, vielmehr sich zuweilen bei Vernehmungen von Gefangenen als ein nur 1,66 Meter großer Mann vom Charaktertyp eines verhörenden Gestapobeamten her so aufgeführt haben, „wie er in Trivialliteratur und -filmen späterer Tage häufig gezeigt wurde: als kreischend Schäumenden, der die Opfer durch wüste Drohungen gefügig zu machen versuchte“. War er also nicht nur der aus der politischen Polizei Württembergs hervorgegangene Beamte? Verstand er sich vielleicht auch als ein aus dem Unteroffiziersstand aufgestiegener, fronterfahrener „Volksoffizier“ des Ersten Weltkrieges, der nunmehr beim Einsatz an der „Heimatfront“ gegen vermeintliche Feinde des Deutschen Reiches ein Stück seines kleinbürgerlichen Sozialprestiges mitverteidigen zu müssen glaubte? Immerhin hatte es Mußgay nach 1936 nicht unterlassen, durch Wehrübungen noch den Rang eines Hauptmannes der Reserve zu erwerben.
Quellen: Splitter-PA Mußgay im BA, Abt. Reich (ehemaliges BDC), Berlin. Zu den Tatvorwürfen gegen Mußgay vgl. BA-Ludwigsburg: B 162 AR 6502530 und 6502550. Unterlagen zur Deportation im StAL, EL 317 III.

Literatur: Jürgen Schuhladen-Krämer, Die Exekutoren des Terrors: Hermann Mattheiß, Walter Stahlecker, F. Mußgay Leiter der Geheimen Staatspolizeileitstelle Stuttgart, in: Michael Kißener/Joachim Scholtyseck (Hg.), Die Führer der Provinz. NS-Biographien aus Baden und Württemberg (Karlsruher Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 2), 1997, 405-443, hier 406 und 432-443.
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