Fürstpropstei St. Vitus Ellwangen 

Ortsbezüge:
Baujahr/Gründung: 764 [764]
Zerstörung/Aufhebung: 1802 [1802]
Beschreibung: Das Benediktinerkloster Ellwangen wurde nach späterer Überlieferung 764 von dem Adeligen Hariolf, zugleich erster Abt, und seinem Bruder Erlolf (Bischof von Langres) als adeliges Eigenkloster gegründet. Die Klostergründer entstammten einer alamannisch-bayerischen Adelssippe, die frankophil eingestellt war. Hariolf wurde als Nachfolger seines Bruders Erlolf zum Bischof von Langres berufen. Der durch Kauf, Schenkungen und Stiftungen bald vergrößerte Klosterbesitz (König Ludwig der Fromme überließ z. B. 823 das Kloster Gunzenhausen der Abtei) und die ungewöhnlich reiche Ausstattung des Klosters mit Reliquien aus Langres und Dijon lassen den Schluss zu, dass dem neu gegründeten Kloster (838 zählte der Konvent bereits 160 Mönche) kirchen- und reichspolitische Funktionen zugedacht waren. In den Auseinandersetzungen zwischen Herzog Tassilo von Bayern und König Pippin nach 763 war aus fränkischer Sicht ein zuverlässiges Kloster im Grenzgebiet zwischen Ostfranken und Bayern eine politische Notwendigkeit. Die Klostergründung im Virngrundwald hatte eine dreifache Funktion: Glaubensverkündigung, kolonisatorische Erschließung des Landes und politische Festigung der fränkischen Königsherrschaft. Hariolf tradierte vielleicht schon unter Pippin oder Karl d. Gr. das ursprüngliche Eigenkloster dem fränkischen Herrscherhaus; Ellwangen wurde dadurch zum Reichskloster. Ludwig der Fromme bestätigte 814 der Abtei die von seinem Vater gewährten Privilegien des besonderen Königsschutzes, der Immunität und der freien Abtswahl. In den Aachener Synodalbeschlüssen von 817 erscheint das Reichskloster Ellwangen in der zweiten Klasse der Reichsabteien und stand damit auf der gleichen Stufe wie die hochangesehenen Klöster Fulda und Hersfeld. Nach dem bekannten Heeresaufgebot Ottos II. von 981 musste die Abtei für den Italienzug des Kaisers ein Kontingent von 40 Panzerreitern stellen, eine relativ große Zahl im Verhältnis zu den größten weltlichen Kontingenten. Die Papstbulle Benedikts VII. (979) diente der Abtei später als Hauptbeweisstück für die Durchsetzung ihrer Exemtionsansprüche. Der Mönch und spätere Regensburger Bischof Ermenrich (um 850) ist als Verfasser zweier Viten (u. a. die für die Frühgeschichte des Konvents zentrale Vita Hariolfi) und einer theologischen Schrift bekannt. Die Frage, ob auf sein Betreiben der Slawenapostel Methodius nach seiner Verurteilung in Regensburg 870 in Ellwangen gefangen gehalten wurde, kann als wahrscheinlich beantwortet werden, ist aber nicht eindeutig geklärt. Nach dem Aussterben der Karolinger brach erst wieder mit Abt Kuno (1188-1221) eine neue Blütezeit des Klosters an. Seit 1215 führte er den Titel eines Reichsfürsten. Und tatsächlich spielte er in der damaligen Reichspolitik eine wichtige Rolle. Den Höhepunkt erreichte seine politisch-diplomatische Tätigkeit im Dienste des Stauferkönigs, als ihn Friedrich II. im Frühjahr 1220 an der Spitze einer Delegation mit dem Auftrag nach Rom schickte, mit dem Papst über die Kaiserkrönung zu verhandeln. 1218 wurde ihm zudem die Abtei Fulda übertragen. Große Aufgaben hatte Kuno zudem in Ellwangen zu erfüllen. Auf dem heutigen Schlossberg errichtete er eine erste Burg zum Schutz des Klosters und als Residenz des Abtes. Der Bau der zwischen 1182 und 1233 errichteten spätromanischen Klosterkirche geht maßgeblich auf ihn zurück. Die Kirche gilt als das hervorragendste Baudenkmal der schwäbischen Kaiserzeit im Stammlande und als eines der bedeutendsten, eindruckvollsten Zeugnisse der spätromanischen Architektur rechts des Rheins (B. Bushart). Nach der politischen und kulturellen Blüte des Klosters in der Stauferzeit begann seit Beginn des 14. Jh. eine lange Epoche des wirtschaftlichen Niedergangs und des sittlichen Zerfalls. Die von den württembergischen Grafen als Schirmherren des Klosters dem Abt und Konvent aufgedrängten strengen Sparmaßnahmen blieben ebenso ohne spürbaren Erfolg wie die Reformversuche des einzigen bürgerlichen Abtes Siegfried Gerlacher (1400-1427). Der große Brand des Jahres 1443, der das Kloster mit Kreuzgang zerstörte, hat den Rest klösterlicher Ordnung, den die Mönche bis dahin noch gewahrt hatten, vollends aufgelöst. Schließlich wandelte der Papst 1460 das Kloster auf eigenen Antrag in ein weltliches Chorherrenstift um. Die letzten Mönche waren nun die ersten Stiftsherren. An der Spitze des reichsunmittelbaren Chorherrenstifts stand der Fürstpropst. Das Stiftskapitel setzte sich zusammen aus zwölf Stiftsherren (darunter neun Adelige; drei Stiftsherren konnten den fehlenden Adelstitel durch das Doktorprädikat ersetzen). Dazu kamen zehn Chorvikare zur Besorgung des Gottesdienstes. Das Stift hatte sich wirtschaftlich schnell gefestigt. Eine bald einsetzende Bautätigkeit brachte eine Blütezeit gotischer Kunst (Kreuzgang, Liebfrauenkapelle, Wolfgangskirche). Die Versuche des Stadtpfarrers und des Stiftspredigers, in Ellwangen die Reformation einzuführen, scheiterten mit der Niederwerfung des Bauernaufstandes (1525). Die Fürstpropstei war in der Folgezeit jedoch nicht völlig frei von Protestanten. Die Hexenverfolgungen von 1588 und 1611-1618, die in Ellwangen nach Art und Zahl besonders erschreckende Ausmaße annahmen, brachten die Stadt damals in schlechten Ruf. Starke Belastungen brachte der 30-jährige Krieg über Stadt und Stift. Fürstpropst Johann Jakob Blarer von Wartensee (1621-1654) verließ 1631 mit seinen Stiftskapitularen und den meisten weltlichen Räten die Stadt und hielt sich in den folgenden Jahren in Bayern und Österreich auf. Erst 1634 war nach dem Ende der schwedischen Besatzung eine Rückkehr möglich. In der Zeit des Barock (1650-1750) erlebte die Kunst in der Stadt ihre reichste Blüte. In rastloser Folge entstand Bau um Bau: 1682-1695 Wallfahrtskirche Schönenberg; 1688 Palais Adelmann; 1699-1702 Spital; 1720-1729 Kirche und Gymnasium der Jesuiten; 1720 Kustorie; 1720-1727 Treppenhaus und Innenausstattung des Schlosses; 1729-1732 Kloster und Kirche der Kapuziner; 1737-1741 Barockisierung des Inneren der Stiftskirche; 1748-1750 Stiftsrathaus; 1749-1753 Umbau und Erweiterung des Spitals; 1749-1757 Priesterseminar auf dem Schönenberg. Die Fürstpropstei hatte im letzten Jahrhundert ihres Bestehens tatkräftige Herrscher, die dem Hochadel entstammten und hohe Ämter in Kirche und Reich innehatten; für sie war Ellwangen deshalb nur eine "Nebenpfründe". Franz Georg von Schönborn (1732-1756), zugleich Kurfürst von Trier und Bischof von Worms, ließ sich in seiner Regierungstätigkeit von den Grundsätzen des Absolutismus und Merkantilismus leiten. Ihm ist die grundlegende Organisation der Zentralbehörden des Ellwanger Fürstentums zu verdanken, die unter der Bezeichnung "Schönbornsches System" als Musterstück gepriesen und auch von anderen Fürstentümern übernommen wurde. Die Heranbildung pflichtbewusster und zuverlässiger Beamter, der energische Kampf gegen die Mitregierung des Stiftskapitels und der organisatorische Ausbau der Stiftsexemtion, der weitgehenden Unabhängigkeit vom Augsburger Diözesanbischof, haben die Macht des Fürsten spürbar gestärkt. Die Entwicklung wirtschaftlicher Kräfte und die reiche Bautätigkeit kennzeichneten den absolutistischen Herrscher ebenso wie das Bestreben, die Fäden der Regierung fest in der Hand zu halten - auch während der Abwesenheit von Ellwangen. Der letzte Fürstpropst Clemens Wenzeslaus von Sachsen (1787-1802) hielt sich nur selten in Ellwangen auf. In seiner Regierungstätigkeit ließ er sich von den Grundsätzen der Aufklärung leiten. Auf wirtschaftlichem Gebiet kümmerte er sich mehr als Franz Georg um die Landwirtschaft. Beeinflusst von den pädagogischen Tendenzen seiner fortschrittsgläubigen Zeit war er bestrebt, durch neue Schulordnungen und Bereitstellung finanzieller Mittel das höhere Schulwesen und die Volksschule den Erfordernissen der Zeit anzupassen. Der 1797 zum Hof-, Stadt- und Landschaftsphysikus berufene Joseph Alois Frölich hat nicht nur das Gesundheitswesen vorbildlich organisiert, sondern ist auch durch seine naturwissenschaftlichen, vor allem botanischen Forschungen in der Gelehrtenwelt berühmt geworden. Nach der Säkularisation wurde er in württembergische Dienste übernommen. Auch auf kirchlichem Gebiet hat der Aufklärer Clemens Wenzeslaus reformierend gewirkt. Der Kampf gegen den Aberglauben, das Verbot der Karfreitagsprozessionen mit ihren symbolischen Passionsdarstellungen und die Reduzierung der Feiertage von 38 auf 19 fanden bei den Untertanen nicht immer eine positive Resonanz. Durch den Reichsdeputationshauptschluss wurde die Fürstpropstei Ellwangen als größtes und wichtigstes Territorium (ca. 9 Quadratmeilen, 23.000 Einwohner) dem Herzogtum Württemberg zugewiesen. Bereits am 10. September 1802 hatten württembergische Truppen Stadt und Fürstpropstei Ellwangen besetzt; die Zivilbesitznahme erfolgte am 23. November 1802. Für die Stadt Ellwangen bedeutete die Säkularisation nicht nur einen Herrscherwechsel. Fürstpropst und Stiftskapitel, die in Jahrhunderten das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben bestimmt haben, fielen damit weg. Die Stadt, die jahrhundertelang Regierungszentrum und kirchlicher und kultureller Mittelpunkt war, ging einer ungewissen Zukunft entgegen. Aus der romanischen Stiftskirche wurde die katholische Stadtpfarrkirche, die 1964 zur Basilika erhoben wurde.
Autor: HANS PFEIFER
Objekttyp: Kloster
Ordensregel:
  • Benediktiner 764-1460
  • Chorherren, weltliche 1460-1802
Sonstiges: Bistum: Augsburg, ab 1821 Rottenburg-Stuttgart,
fiel an: Württemberg (1802)
Weiter im Partnersystem: http://www.kloester-bw.de/?nr=226

Adresse Ellwangen a. d. Jagst

Literatur:
  • M. Erzberger: Die Säkularisation in Württemberg von 1802 bis 1810. Ihr Verlauf und ihre Nachwirkungen. Stuttgart 1902, ND Aalen 1974. 193ff.W. Zimmermann / N. Priesching (Hg.): Württembergisches Klosterbuch. Klöster, Stifte und Ordensgemeinschaften von den Anfängen bis in die Gegenwart. Stuttgart 2003. 224-227 (H. PFEIFFER).Germania Benedictina, Bd. V: Die Benediktinerklöster in Baden-Württemberg. Bearb. v. F. Quarthal. Augsburg 1975. V, 189-211 (H. PFEIFER).Die Kunst- und Altertumsdenkmale im Königreich Württemberg. Inventar Jagstkreis. Bearb. v. E. Gradmann. Hg. v. E. von Paulus u. E. Gradmann. Esslingen a. N. 1907. OA Ellwangen, 99-128, 706f.Ellwanger Jahrbuch (EJ) 1910ff.V. BURR (Hg.): Ellwangen 764-1964. 2 Bde. Ellwangen 1964.H. PFEIFER: Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Fürstpropstei Ellwangen (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen. Stuttgart 1 (1958) ff. 7). Stuttgart 1959.K. FIK / H. HÄFELE: Kloster Ellwangen in der frühen Stauferzeit. In: EJ 25 (1973/1974) 140-166.I. EBERL: Kloster Ellwangen im Umkreis seiner Gründer. In: W. SCHMIERER (Hg.): Aus südwestdeutscher Geschichte. Festschrift für Hans-Martin Maurer. Stuttgart 1994, 73-80.H. PFEIFER: Das Chorherrnstift in seinen Anfangsjahren. In: Ebd., 207-218.H. PFEIFER (Hg.): St. Vitus Ellwangen 1233-1983. Ellwangen 1983.DERS. (Hg.): Wallfahrt Schönenberg 1638-1988. Ellwangen 1988.DERS.: Ellwangen. Kunst und Geschichte aus 1250 Jahren. Ulm 2000.
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