Bischoff-Luithlen, Angelika 

Geburtsdatum/-ort: 1911-08-29;  Ludwigsburg
Sterbedatum/-ort: 1981-10-17;  Blaubeuren (Krankenhaus)
Beruf/Funktion:
  • Volkskundlerin
Kurzbiografie: 1913-1923 Kinder- und Schulzeit in Tübingen
1923-1930 Schulzeit in Ravensburg
1930-1945 Hausfrau und Mutter in Ulm
1945 Umzug zunächst nach Wangen/Allgäu, dann nach Feldstetten/Schwäbische Alb, Beginn der publizistischen Tätigkeit
1948 Lyrikpreis der „Wochenpost“
1960-1968 Betreuung der Ortschronik von Feldstetten
1961-1969 Studium in Tübingen: Volkskunde, Landesgeschichte, Germanistik
1965 Laienspielpreis des Schwäbischen Albvereins
1973-1981 Archivarin im Dienst der Stadt Münsingen und des Kreises Reutlingen (Betreuung der Ortsarchive im ehemaligen Münsinger Teil des Landkreises Reutlingen)
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1930 Ravensburg, Eugen Bischoff (1902-1944), Kunsterzieher und Landschaftsmaler
Eltern: Vater: Fritz Luithlen (1881-1941), Arzt.
Mutter: Rose, geb. von Ostau (1879-1949)
Kinder: Arne (geb. 1931), Architekt
Bernhard (geb. 1932), Professor
Ursula (geb. 1935), Lehrerin
Ulrich (geb. 1938), Forstbeamter
Jörg (geb. 1942), Journalist
GND-ID: GND/1012375889

Biografie: Hans-Georg Wehling (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 1 (1994), 29-30

Bischoff-Luithlen hat zunächst das ganz normale Leben einer Durchschnittsfrau ihrer Generation geführt. Erst als die Kinder groß waren, konnte sie ihre Lebensleistung als Volkskundlerin erbringen, die es verdient, über ihren Tod hinaus festgehalten zu werden.
Das Kind eines Arztes aus Hohenlohe und einer adeligen Rittergutsbesitzerstochter ostpreußischer Abstammung heiratete 1930 – „viel zu früh“, wie sie später selbstkritisch anmerkte – ihren Lehrer. Mit ihm bekam sie 5 Kinder, ein Jahr nach der Geburt des letzten wurde ihr Mann eingezogen und fiel 1944 im Krieg. So allein gelassen mit den Kindern im zerbombten Ulm, zog sie Anfang 1945 zunächst nach Wangen im Allgäu, dann – vermittelt durch die Laichinger Verwandtschaft ihres Mannes – nach Feldstetten. Das Leben hier auf der Schwäbischen Alb, zu der sie mit ihrem Mann eine unbändige Liebe teilte, lernte sie nun mit ganz anderen Augen sehen: die Härte des Alltags und den ganz und gar nicht „romantischen“ Umgang der Menschen miteinander. Städtische Klischeevorstellungen von „Dorf“ und „Land“ zerbrachen. Um nicht in den Sorgen des Alltags aufzugehen, fing sie an zu schreiben: Gedichte (vor allem Gelegenheitsgedichte), Zeitungsartikel, Theaterstücke für die örtlichen Laienbühnen. Dabei versuchte sie, sich deutlich von ihrem Schwager abzusetzen, dem Heimatdichter Karl Bischoff (Dichtername Veit Bürkle), den die Nationalsozialisten gefeiert hatten.
Seit 1961 dann, als die Kinder alt genug waren, fuhr sie regelmäßig nach Tübingen – der Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln war umständlich und langwierig –, um als Gasthörerin an der Universität zu studieren, nicht zuletzt Volkskunde bei Helmut Dölker und Hermann Bausinger. Ihre eigene wissenschaftliche Karriere – die freilich keine Berufskarriere war – begann. Als Frucht örtlicher Quellenarbeit erschienen eine Fülle von Zeitungsartikeln, Buchbeiträgen und Rundfunksendungen, von denen die Kreissparkasse Münsingen 1971 einen Teil erstmals zusammengefaßt in hektographierter Form herausbrachte.
Im Zuge der Gebietsreform in Baden-Württemberg, die zum 1.1.1975 abgeschlossen worden ist, wurden namentlich in den kleinen Gemeinden viele Rathäuser aufgehoben. Vielfältige, ungeachtet ihres wissenschaftlichen Werts kaum benutzte Aktenbestände gerieten dadurch in Gefahr, als Geschichtsquelle für immer verloren zu gehen; in einem ungeordneten, oftmals katastrophalen Zustand waren sie eh, trotz jahrzehntelanger Bemühungen der staatlichen Archivpflege. Auf Betreiben des damaligen Münsinger Bürgermeisters H. Kälberer wurde Bischoff-Luithlen beauftragt, diese Bestände zu sichten und zu sichern. Um diese Dörfer alle erreichen zu können, machte sie mit 65 noch den Führerschein. Bei ihrer Arbeit halfen ihr Tübinger Studenten, die sie dabei in die Archivarbeit einweihte.
Auf dem Buchmarkt begann Bischoff-Luithlens Erfolg 1978 mit einer Alltagsgeschichte des Lebens auf der Schwäbischen Alb mit dem irreführenden Titel: „Der Schwabe und die Obrigkeit“. Ein Jahr später folgte ein „Lese- und Nachschlagewerk zum Dorfalltag im alten Württemberg und Baden“ unter dem Titel: „Von Amtsstuben, Backhäusern und Jahrmärkten“ (1979). Nach ihrem Tod erschien eine Geschichte der bäuerlichen Kleidung auf der Alb: „Der Schwabe und sein Häs“ (1982). Es ist mehr als eine Redensart, zu sagen, Bischoff-Luithlen ist zu früh verstorben. Mit ihrem wissenschaftlichen Lebenswerk hatte sie eigentlich erst begonnen, ihr Tod kam unerwartet, gerade erst hatte sie ein neues Haus „für mich und meine Bücher“ bezogen.
Der literarische Erfolg Bischoff-Luithlens lag zu einem Gutteil in dem neu erwachten Interesse des Publikums für Dorf, Alltagsgeschichte und Regional-Schwäbisches – sie selbst hat das mit durchaus gemischten Gefühlen gesehen. Die wissenschaftliche Bedeutung Bischoff-Luithlens besteht nicht zuletzt darin, daß sie von der Landesgeschichtsforschung längst gewürdigte Quellenarten für die Volkskunde erschlossen hat: Gemeinderechnungen, Tagbücher, Fronregister, Steuerbücher, Inventur- und Teilungsakten, Vormundschafts- und Lagerbücher und vieles andere mehr. Sie selbst beurteilt die Wirkung solcher Quellenarten so: „Wer sich da einmal durchgewühlt hat, dem schießt nichts mehr ins Kraut, der ist für alle Zeiten von falschen Vorstellungen geheilt.“ Ihr gelangen dabei interessante Entdeckungen: etwa daß das Gemeindebackhaus nicht, wie bislang angenommen, Ausfluß uralten dörflichen Gemeinschaftsgeistes sei, sondern auf einer feuerpolizeilichen Anordnung der Obrigkeit beruht. Überhaupt hat sie nachweisen können, wie obrigkeitliche Einflußnahmen äußere Realität und Mentalität prägten, z. B. daß die „Volkstrachten“ auf obrigkeitlichen Kleiderordnungen beruhen. Aufgedeckt hat sie auch die Praxis des „sauren Schoppens“ als Form postnataler Geburtenkontrolle auf dem Dorf (leicht angesäuerte Milch, was die meisten Kleinkinder nicht vertragen). Mit solchen Funden hat Bischoff-Luithlen unser Wissen von der Vergangenheit nicht nur vermehrt, sondern auch qualitativ erweitert und damit unser Bild vom Dorf entzaubert, realistischer werden lassen.
Werke: (Auswahl) Laienspiele (1955-1968); Von Land und Leuten der Schwäbischen Alb, Stuttgart 1958; Der Schwabe und die Obrigkeit, Stuttgart 1978, 260 S., 2. Aufl. 1979; Von Amtsstuben, Backhäusern und Jahrmärkten, Stuttgart 1979, 294 S.; Der Schwabe und sein Häs, Stuttgart 1982, 176 S. – Weitere Beiträge: BWG IX und X Nr. 1958, 3162, 3235, 3682, 4041, 4884, 5219, 8398, 11709, 11918; XI Nr. 1449, 1477, 1512, 1787, 2697, 3302; LbBW 1 Nr. 2160; 2 Nr. 2626; 3 Nr. 1345, 3087, 5261; 4 Nr. 3482, 3630 f., 6606; 5 Nr. 2435, 3342, 3375, 7801, 7807, 10937; 7 Nr. 3623
Nachweis: Bildnachweise: Schutzumschlag von „Der Schwabe und die Obrigkeit“ (vgl. Werke)

Literatur: Hermann Bausinger, Das Archiv als Schatzgrube der Nüchternheit. „Abdankung“ zum Tod von Angelika Bischoff-Luithlen, in: Stuttgarter Zeitung vom 24.10.1981; Helmut Schönnamsgruber, Angelika Bischoff-Luithlen zum Gedenken, in: Blätter des Schwäbischen Albvereins 88, 1982, 179-180
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