Hiller, Emilie 

Geburtsdatum/-ort: 27.12.1871;  Ludwigsburg
Sterbedatum/-ort: 14.04.1943;  Heilbronn
Beruf/Funktion:
  • sozialdemokratische Politikerin
Kurzbiografie: 1908 Gründungsmitglied der sozialdemokratischen Frauengruppe Heilbronn
1919 Mitglied in der Württ. Verfassunggebenden Landesversammlung, Mitglied im Geschäftsordnungsausschuss, im Finanzausschuss, im Sonderausschuss für den Entwurf eines Jugendfürsorgegesetzes
1919 Delegierte bei der Frauenkonferenz des SPD-Parteitags in Weimar
Seit 1920 Mitglied im Landesvorstand der SPD Württemberg-Hohenzollern
1920–1933 MdL Württemberg
1920–1924 Finanzausschuss
1920–1924 Fraktionsvorstand der SPD
1924–1928 keine Ausschusstätigkeit
1928–1933 Petitionsausschuss
1932/33 Rechtsausschuss
1933 Ende der politischen Tätigkeit aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev. (Austritt unbekannt - vor Erstem Weltkrieg)
Verheiratet: 1890 Heinrich Hiller (10.7.1864–7.11.1946)
Eltern: Vater: Gustav Kittler (1849–1929), Schreinermeister
Mutter: Caroline Stöckle (Daten unbekannt)
Geschwister: 12 Stiefgeschwister
Kinder: Totgeburt (1891); Marie Emilie Lina (1896–1976); Walter (geboren 1909, gestorben nach 3 Tagen)
GND-ID: GND/1012390837

Biografie: Gudrun Silberzahn-Jandt (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 94-95

Als uneheliches Kind aus einer Beziehung mit der jungen Caroline Stöckle geboren, wuchs Emilie bei ihrem Vater, dem Schreinermeister Gustav Kittler und seiner Frau Marie Josephine Rühle auf, die er zwei Jahre nach ihrer Geburt geehelicht hatte. Nach der Geburt des ersten Kindes im Jahr 1874 zog die Familie von Ludwigsburg nach Heilbronn um. Emilie war als Älteste verantwortlich für die auf zwölf anwachsende Zahl ihrer Stiefgeschwister. Sie besuchte die Volksschule in Heilbronn, eine Ausbildung schloss sich nicht daran an. Ihre Kindheit war geprägt von Kargheit und Arbeit, aber auch dem frühen Kontakt mit der Sozialdemokratie durch ihren Vater, den Gründer der Sozialistischen Arbeiterpartei in Heilbronn, dem ersten SPD-Gemeinderatsmitglied Württembergs und unermüdlichen Agitator für die Idee der Arbeiterbewegung. Wiederholt saß Gustav Kittler in Heilbronn oder in Weinsberg wegen Verstoßes gegen die Versammlungsverbote und der Restriktionen der Bismarckschen „Sozialistengesetze“ in Haft. Emilie lernte die politische Arbeit von Grund auf. Bereits als Jugendliche nahm sie an Versammlungen teil, verteilte Flugschriften und wurde so in das sozialistische Milieu eingeführt. Da sie mit 19 Jahren noch als minderjährig galt, musste ihr Vater der Ehe mit dem Tapezier Heinrich Hiller zustimmen. Nur für kurze Zeit arbeitete er als Tapezierer, führte dann gemeinsam mit seiner Frau zunächst die Gaststätte „Zum Ritter“ nahe dem Hauptbahnhof in der Frankfurter Straße 9 und später das „Kaffee und Restaurant Viktoria“ in der Wilhelmstraße 58, die sich beide zu Treffpunkten der sozialdemokratisch gesinnten Arbeiterschaft entwickelten. Emilie Hiller setzte sich in der Arbeiterbewegung insbesondere für die Belange der Frauen ein, war Mitgründerin der SPD-Frauengruppe 1908 und über Jahre hinweg deren Vorsitzende. Zudem organisierte sie einen Frauenchor mit „sozialistischer Tendenz“ und baute die Arbeiterwohlfahrt aus, indem sie mit den Genossinnen, insbesondere Paula Ehmann, Rosa Heinzmann, Johanna Theiß, Berta Ulrich und später auch Käthe Kaden eine Nähstube mit Kinderbetreuung initiierte und betrieb, die Waisen- und Wöchnerinnenfürsorge aufbaute und im Waldheim eine Kindererholung für bis zu 100 Kinder organisierte. Unter Emilie Hillers Ägide entwickelte sich die Frauengruppe der SPD, wie die Publizistin und SPD-Reichstagsabgeordnete Anna Blos feststellte, „zur stärksten Württembergs“. Der Organisationsgrad der Frauen in der SPD in Heilbronn erreichte dank Emilie Hillers Einsatz im Jahr 1928 41,2 Prozent.
Als erstmals Frauen das aktive und passive Wahlrecht erhielten, kandidierte Emilie Hiller für die Verfassunggebende Landesversammlung auf der Liste der SPD und errang 1919 das Mandat. Sie wurde Mitglied im Geschäftsordnungsausschuss, im Finanzausschuss und aufgrund ihres umfänglichen Wissens um die Missstände in sozialen Bereichen auch im Sonderausschuss für den Entwurf eines Jugendfürsorgegesetzes. Ihr gesamtes Engagement richtete sie darauf aus, durch ihre parlamentarische Tätigkeit die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Bedingungen der unteren Bevölkerungsgruppen zu verbessern. Innerhalb der Partei gelang es ihr, für die nächsten Wahlen einen der vorderen Listenplätze zu erhalten, so dass sie kontinuierlich bis 1933 über die Landesliste in das Parlament gewählt wurde. Wiederholt prangerte sie die doppelte Benachteiligung von Frauen der Arbeiterschaft an, und scheute sich dabei nicht, Themen, wie sexuellen Missbrauch von Dienstmädchen durch ihre bürgerlichen Dienstherren anzuprangern. Sie setzte sich für die Abschaffung des § 218 ein, der Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellte, und forderte gleichzeitig eine deutlich bessere Finanzierung der Schwangeren- und Wöchnerinnenfürsorge, sowie der Bemühungen um eine Sexualaufklärung. Im Landtag trat sie wiederholt mit ihren solide recherchierten Beiträgen und der hohen Sachkenntnis in Erscheinung, wodurch es ihr wiederholt gelang, die politischen Gegner entweder bloß zu stellen oder zu überzeugen. Sie hatte aber nie die Funktion einer Ausschussvorsitzenden oder einer Fraktionsvorsitzenden inne. Von 1924 bis 1928 war sie gar Landtagsmitglied ohne in irgendwelchen Ausschüssen tätig zu sein. Von 1928 bis 1933 arbeitete sie im Petitionsausschuss und 1932/33 im Rechtsausschuss. Als Landtagsabgeordnete war ihr Restaurant quasi das Wahlkreisbüro, ihre Reisen über den Wahlkreis hinaus führten sie regelmäßig zu Wohlfahrtseinrichtungen, wie Waisenhäuser oder Heime für „gefallene Mädchen“ oder in Gefängnisse, wo sie wieder die besondere Lage der Frauen interessierte. Neben dem Einsatz in der Frauengruppe der SPD in Heilbronn war sie 1919 als Delegierte der SPD Württemberg bei der Frauenkonferenz des Parteitags in Weimar und meldete sich zu Wort, 1922 war sie zudem beim Parteitag in Augsburg, jedoch nun ohne eigenen Redebeitrag. Seit 1920 war sie im Landesvorstand der SPD Württembergs aktiv.
Emilie Hillers letzte Sitzung als Landtagsabgeordnete war die am 8. Juni 1933, bei der ohne die Stimmen der SPD das von den Nationalsozialisten eingebrachte „Ermächtigungsgesetz“ verabschiedet wurde. Schließlich wurden am 22. Juni alle sozialdemokratischen Volksvertreter ihrer Ämter enthoben.
Das Gebäude, in dem sich das Kaffee-Restaurant Viktoria befand gehörte der Vereinsdruckerei, die die sozialdemokratische Zeitung Neckar-Echo herausgab und 1933 von den Nationalsozialisten enteignet wurde. Dem Ehepaar Hiller wurde der Pachtvertrag gekündigt, damit war es seiner Verdienstmöglichkeiten beraubt. Heinrich Hiller erhielt geringe Einkünfte durch eine Tätigkeit als Botengänger für das Stadttheater ab 1934. Über die nächsten zehn Jahre bis zu ihrem Tod am 14. April 1943 ist über Emilie Hiller nichts überliefert. Es wird berichtet, dass sie mit ihrem Mann zurückgezogen lebte.
Quellen: Artikel aus Neckar-Echo, WLB: Landtagsprotokolle digital – Württemberg, Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern, Baden-Württemberg http://library.fes.de/parteitage/pdf/pt-jahr/pt-1919.pdf, http://library.fes.de/parteitage/pdf/pt-jahr/pt-1922.pdf (Zugriff am 5. 1. 2016) StA Heilbronn: E002 – 299; E002 – 1344 ZS–10177. StAL: EL 350 I Bü 8528, EL 350 I Bü 8530.

Literatur: Albert Großhans, 100 Jahre SPD Heilbronn 1874 – 1974. Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Ortsverein Heilbronn, 1974, 140; Ina Hochreuther, Frauen im Parlament. Südwestdeutsche Abgeordnete seit 1919, 1992, 78-79; Gudrun Silberzahn-Jandt, Aus der Gaststube in den Landtag Emilie Hiller (1871 – 1943), in: Christhard Schrenk, Heilbronner Köpfe II, 1999, 37-48; Raberg, Biogr. Handbuch, 360; Frank Raberg, Emilie Hiller. Sozialdemokratische Politikerin 1971 – 1943, in: Gerhard Taddey, Lebensbilder aus Baden-Württemberg XXI, 2005, 436-456.
Suche
Durchschnitt (0 Stimmen)