von Beate Stegmann
Ehe und Familie erhielten durch die Reformation einen neuen Stellenwert. Nachkommenschaft und Familienleben sollten Kloster und Zölibat ersetzen und wurden zum wichtigen Merkmal der Abgrenzung gegen die altgläubige Ordnung. In den Pfarrhäusern, für alle sichtbar, setzten die nun verheirateten Geistlichen zusammen mit ihren Ehefrauen die neue Lebenshaltung vorbildlich in die Praxis um. Der Position des Vaters als Familienvorstand kam besonderes Gewicht zu, doch waren beide Ehegatten in der Pflicht, sich gegenseitig zu unterstützen, auch in der Funktion als Eltern. Über das reformatorische Netzwerk fanden die Gedanken rasch Verbreitung.
Wibrandis Rosenblatt
Den Idealtypus der sorgenden Hausfrau und vielfachen Mutter verkörperte Wibrandis Rosenblatt. Sie wurde 1504 in Säckingen geboren und ehelichte 1524 den gebildeten Basler Magister Ludwig Keller, der bereits 1526 starb. 1528 heiratete Wibrandis den 20 Jahre älteren Reformator Johannes Oekolampad und bekam drei Kinder. Wie schon die Verbindung von Luther mit Katharina von Bora oder andere Priesterehen, rief die Vermählung von Wibrandis mit Oekolampad heftige Reaktionen in der Öffentlichkeit hervor. Auch in Straßburg war es 1522/23 zu einer ganzen Reihe im Geist der Reformation geschlossener Ehen gekommen. Nach dem Tod Oekolampads 1531 heiratete Wibrandis zunächst Wolfgang Capito in Straßburg, nach dessen Tod Martin Bucer. Die Ehe mit Capito (1531-1541) brachte fünf, die mit Bucer (1542-1551) zwei Kinder hervor.
Nicht unbeachtet dürfen die Lebensverhältnisse des frühen 16. Jahrhunderts bleiben. Immer wieder flackerten Pestwellen auf. Einer davon war Agnes, die vormalige Ehefrau Capitos zum Opfer gefallen. Später starben auch Capito, drei der gemeinsamen Kinder mit Wibrandis und Elisabeth, die erste Frau Bucers. Nicht nur die Reformatoren selbst, die Familien insgesamt pflegten enge Beziehungen. Schon vor deren Tod hatte Wibrandis mit Agnes Capito und Elisabeth Bucer Briefe getauscht. Wegen der häufigen Abwesenheit der Ehemänner trugen die Frauen die wirtschaftliche und soziale Verantwortung für die großen Haushaltungen und Familien. Hier engagierte sich Wibrandis mit bewusster und aufopferungsvoller Fürsorge. Darüber hinaus zeichnete sie sich durch eine religiös motivierte Scheu aus, was bei Martin Bucer, der von seiner temperamentvolleren ersten Frau anderes gewohnt war, zu Irritationen führte.
Nach Jahren des Exils der Familie Bucer in Cambridge kehrte Wibrandis 1553 nach Basel zurück, wo sie 1564 ebenfalls an einer grassierenden Seuche starb.
Margarete Blarer
Ein ganz anderes Leben führte Margarete, die Schwester des Reformators Ambrosius Blarer, geboren 1494 in Konstanz. Margarete und ihre fünf Geschwister kamen in den Genuss einer humanistischen Bildung. Sie und ihre Brüder lernten Latein. Margarete las und kommentierte theologische Schriften, nahm zu reformatorischen Fragen Stellung und beteiligte sich aktiv an den Maßnahmen ihres Bruders und anderer Familienmitglieder. Von Martin Bucer wurde sie um Vermittlung im Abendmahlsstreit gebeten, lehnte jedoch aus taktischen Gründen – das altgläubige Meersburg war nahe – ab.
Nach dem Tod der Mutter 1530 führte Margarete Blarer die Handelsgeschäfte der Familie weiter und sicherte damit deren Lebensunterhalt. Sowohl Allgemeinbildung als auch Selbstständigkeit waren für Frauen aus wohlhabenden städtischen Kaufmannsfamilien zur damaligen Zeit nicht unüblich. Die mit der Reformation verbundenen gesellschaftlich-sittlichen Auflagen schränkten Freiheiten ein. Für ehrbare Frauen blieb nach Auflösung der Klöster und anderer religiöser Gemeinschaften meist nur die Ehe.
Für Margarete Blarer kam das nicht in Frage. Sie versuchte als diaconissa ecclesiae Constantiensis verantwortungsvolle Aufgaben für Frauen in der Gesellschaft zu finden und gründete einen Armenverein christlicher Frauen. Bedürftige und Kranke wurden versorgt, besonders kümmerte sie sich um die Bildung von Kindern. Nach der Pflege Pestkranker starb Margarete Blarer während der großen Epidemie 1541. Ihr Anliegen konnte sich zunächst nicht durchsetzen. Erst im 19. Jahrhundert wurden die ersten Diakonissenhäuser gegründet, die Frauen über den Dienst am Nächsten ein selbstständiges Leben ermöglichen sollten.
Olympia Fulvia Morata
Auch Olympia Fulvia Morata, 1526 in Ferrara geboren, hatte eine humanistische Ausbildung erhalten. Die Familie gehörte zum Kreis um die den reformatorischen Ideen aufgeschlossene Herzogin Renata, die aber jedes dahingehende Ansinnen auf Druck des Herzogs Ercole II. aufgeben musste. Trotz oder gerade deshalb beschäftige sich Olympia intensiv mit Schriften der deutschen Reformation. 1550 heiratete sie Andreas Grundler, einen aus Schweinfurt stammenden Mediziner und Humanisten, kehrte dem reformationsfeindlichen Italien den Rücken und folgte Andreas in seine Heimat. Mit nach Deutschland kam auch Olympias achtjähriger Bruder Emilio. 1554 wurde Schweinfurt im Zweiten Markgrafenkrieg belagert. Die Familie floh unter dramatischen Umständen und kam in Heidelberg unter.
Olympia Morata, kundig in alten Sprachen und Autorin zahlreicher Schriften, Gedichte und Übersetzungen, hatte als Gelehrte bei Humanisten in ganz Europa Anerkennung gefunden. Ihre bereits in Ferrara ausgeübte akademische Lehrtätigkeit konnte sie für kurze Zeit in Heidelberg fortsetzen. Von Malaria geschwächt starb sie dort 1555. Nur wenige Monate später starben Andreas und Emilio an der Pest.
Auf andere Weise als Margarete Blarer nutzte Olympia Morata die Chancen, die sich ihr durch Bildung ergeben hatten. Sie verfügte über ein selbst aufgebautes Netzwerk humanistisch orientierter Personen, verfolgte konsequent ihre Ziele und vertrat ihre religiöse Überzeugung öffentlich auch gegen Widerstände. Trotz Ehe entschied sie sich bewusst nicht für ein häusliches oder karitatives Dasein und wurde dabei von ihrem Mann unterstützt, der ihre Fähigkeiten anerkannte und schätzte. Beider Bekenntnis zur Reformation hatte ein unruhiges Leben zur Folge. Die Kinderlosigkeit ihrer Ehe, ob beabsichtigt oder nicht, scheint für Olympia nicht von Belang gewesen zu sein, da sie ihre Schriften als Nachkommenschaft sah. Ihr Tod verhinderte, dass sie eine der ersten Dozentinnen an einer deutschen Universität wurde.