Wahnsinnig

Von Peter Exner

 

J.

Pionier

 

 

„Er war dabei … erregt, redete viel, gestikulierte heftig, leistete Widerstand, äußerte verworrene Wahnideen, die sich auf den Krieg … bezogen, glaubte im Nahkampf zu sein und musste dauernd unter narkotischen Mitteln gehalten werden.“
(Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch, 13. Dezember 1932)

 

Der Krieg hat für ihn nie aufgehört: Wie der Name so ist auch das Bild des Patienten in dieser Ausstellung unkenntlich gemacht.(Quelle: Landesarchiv BW, GLA, Akte unterliegt Nutzungsbeschränkungen)
Der Krieg hat für ihn nie aufgehört: Wie der Name so ist auch das Bild des Patienten in dieser Ausstellung unkenntlich gemacht.(Quelle: Landesarchiv BW, GLAK, Akte unterliegt Nutzungsbeschränkungen)

Wer im Fronteinsatz unversehrt an Leib und Leben blieb, konnte an einer posttraumatischen Belastungsstörung erkranken. Wie J. durchlitt er dann immer wieder dieselben Schlachtenszenen. Der gelernte Schreiner diente seit 1915 in einem Pionier-Bataillon und erhielt 1917 das Eiserne Kreuz Zweiter Klasse. Als Pionier musste er Drahthindernisse mit Sprengladungen und Scheren öffnen sowie Schützen- und Festungsgräben sprengen. Während seines Heimaturlaubs 1917 wurde J. im Heidelberger Bahnhof von einem Offizier in Begleitung von zwei Damen gemaßregelt, den er nicht gegrüßt hatte. Als der Offizier ihn verhaften lassen wollte, verlor J. die Nerven. Er bedrohte den Offizier mit der Pistole und wurde ins Arresthaus und wegen starker Erregungszustände in die Nervenklinik Heidelberg verbracht. Am 13. Dezember 1917 diagnostizierte der Stabsarzt im Reservelazarett Illenau bei ihm eine „Geisteskrankheit“ mit fraglichen Aussichten auf Heilbarkeit. Ende 1917 wurde der „nicht verwundete“ J. in die Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch eingeliefert. Den Nationalsozialisten galt der Traumatisierte später als erbkrank, als „Volksschädling“, der seine „Lebensuntüchtigkeit in Verbindung mit parasitärem Eigennutz als Krankheit verkleidet.“ Kriegsneurosen passten nicht zu dem propagierten Frontkämpfermythos und stilisierten Schützengrabenerlebnis. Am 10. Oktober 1934 ordnete das Erbgesundheitsgericht die Unfruchtbarmachung an, die die Ehefrau in einem Schreiben an den Medizinalrat in Wiesloch zu verhindern suchte: „Da mein Mann ein braver und charaktervoller Mensch ist und schwer im Kriege hat durchkämpfen müssen, würde ihn diese Sache schwer kränken.“ Die Gattin erhielt die Antwort, „dass wir uns an die Gesetze halten müssen. Ihr Mann wird in keiner Weise irgendwelchen Nachteil erleiden.“ Der Arzt begründete den Eingriff mit der Furcht, dass „die Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden“ – die Kinder J.s aber waren alle gesund. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde J. weitere achtmal in das Psychiatrische Landeskrankenhaus eingeliefert, wo er auch mit den bereits in der Weimarer Zeit gefürchteten Elektroschocks behandelt wurde.

Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch (1906), Abteilung U 1– Haus für unruhige Männer: Hier wurde J. 1917 eingeliefert. (Quelle: Landesarchiv BW, GLA 69 Baden, Sammlung 1995 F l, Nr. 187, Foto 6 und 11 )

Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch (1906), Abteilung U 1– Haus für unruhige Männer: Hier wurde J. 1917 eingeliefert. (Quelle: Landesarchiv BW, GLAK 69 Baden, Sammlung 1995 F l, Nr. 187, Foto 6 und 11 )

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