Georges Cuviers Wanderung über die Schwäbische Alb – Tag 2

Besteigung der Teck

von Eva Rincke

Zum Abschluss seiner Schulzeit auf der Hohen Carlsschule wanderte Georges Cuvier, der später in Paris Karriere als Naturforscher machte, mit zwei Mitschülern eine Woche lang über die Schwäbische Alb. Lesen Sie hier wie es ihnen ergangen ist.

Besteigung der Teck, Zeichnung von Georges Cuvier
Besteigung der Teck, Zeichnung von Georges Cuvier [Quelle: Bibliothèque de l’Institut de France, Ms 3312: Papiers et correspondance du baron Georges Cuvier. Planches relatives à un voyage à pied fait dans les Alpes würtembergeoises du 20 au 28 avril 1788 par Cuvier, Copyright: ©Bibliothèque de l’Institut de France]

Am zweiten Tag der Wanderung war eine Besteigung der Teck geplant und die Wandergruppe wuchs stark an: Die Ehefrau des Oberamtmanns von Nürtingen, ein Fräulein von Bernardin, die beiden Töchter des Amtmanns zu Dettingen, weitere Honoratioren aus der Gegend und verschiedene Mitschüler von der Hohen Carlsschule schlossen sich den Wandersleuten an. Carl Friedrich Duttenhofer, ein Neffe des Amtmanns von Dettingen, der an der Hohen Carlsschule Mathematik und Artillerie unterrichtete, war ebenfalls mit von der Partie.

Bevor sich die Gruppe auf den Weg machte, besichtigten die Carlsschüler das Nürtinger Spital. Cuvier war irritiert darüber, dass es vor allem administrativen Zwecken und nicht zur Beherbergung der Armen diente, zeigte sich aber beeindruckt von riesigen Fässern im Keller, die „recht guten Wein“ enthielten, der ihnen vom stolzen Nürtinger Oberamtmann kredenzt wurde.

Nach einem Vormittagsimbiss brachen die jungen Männer nach Dettingen auf, wo sich die Gruppe treffen wollte. Da Carl Wilhelm, der ältere von Marschall-Bruder, mit den Damen gewettet hatte, dass sie zu Fuß schneller wären als die Gesellschaft mit der Kutsche, packte sie der Ehrgeiz:

„Wie 4 Teufel sprangen wir ueber Berg und Thal, Wiese und Wald von einem Nürtinger Bauern geführt. Der Leser ueberhebe mich der Mühe, unsern Weg zu beschreiben. Ich sahe nichts, fühlte nichts, kaum noch meine Füße; aber das weiß ich, daß wir in dem Amtshause des Dorfs Dettingen Schloßberg 8 Minuten bälder waren, als die Kutsche“.[1]

Die große Gesellschaft begann nun mit der Besteigung der Teck: „Wir kletterten hinauf wie wir konnten und hier muß ich öffentlich und vor der ganzen Welt der ehrenhaftesten und frischesten aller Jungfern, Jungfer Louise Glettin, Thochter des H. Amtmanns zu Dettingen, das ihr gebührende Lob zuertheilen. Französische Politesse hatte mich bewogen ihr meinen Arm zu offriren und ich schmeichelte mich ein so artiges Mädchen auf den Teckberg zu führen. Schwacher Jüngling! Sie führte mich hinauf. In der That es würde vielleicht kein Mann mit größerer Leichtigkeit und Stärke alle möglichen Geschäfte versehn, als dies Frauenzimmer und ihre Schwestern, ohne das es auf ihre Züge und Bildung im mindesten einen nachtheiligen Einfluß hätte.“[2]

Die jungen Leute wanderten auf einem kleinen Fußweg durch dichtes Gesträuch hinauf zum kahlen Gipfel „nicht ohne von den Aesten öfters beohrfeigt zu werden“. [3] Erneut zeigte sich Cuvier begeistert von der Aussicht: „Auf der Spitze des Bergs, wo noch einige Ueberbleibsel der alten Mauern des Schloßes sind, genießt man die aller weiteste Aussicht […] Das war wohl der bequemste Ort von der ganzen Gegend zur Ausrichtung eines Räubernest, denn die Herzoge von Teck unerachtet ihres schönen Titels waren nicht viel besser als gemeine Edelleute.“[4]

Besteigung der Teck, Aquarelle von Georges Cuvier vom 16. Mai 1788
Besteigung der Teck, Aquarelle von Georges Cuvier vom 16. Mai 1788 [Quelle: Bibliothèque de l’Institut de France, Ms 3312: Papiers et correspondance du baron Georges Cuvier. Planches relatives à un voyage à pied fait dans les Alpes würtembergeoises du 20 au 28 avril 1788 par Cuvier, Copyright: ©Bibliothèque de l’Institut de France]

Zum ersten Mal begegnete Cuvier hier dem rauen Wind der Schwäbischen Alb: „es herrscht da oben ein Wind, der freylich einigen, die bald erzählt werden sollen, nicht gleichte, aber doch denen die so eben vom Neckerthal herauf kamen, sehr ungewohnt vorkam“[5]

Nachdem sie den Eingang des Sibyllenlochs in Augenschein genommen hatten, kehrten sie nach Dettingen zurück, wo die Frau des Amtmanns einen Imbiss servierte. Danach wurde getanzt, was den jungen Männern sehr zusagte. Ein Mitglied der Gesellschaft, Christian Ludwig Glöckler, der die Torfgrube bei Schopfloch betrieb, meldete sich jedoch leise aber bestimmt bei Georges Cuvier und gab ihm zu verstehen, dass er die Gäste aus Stuttgart zu seiner Torfgrube führen werde und jetzt aufbrechen wolle. Cuviers Einwände, dass sie müde seien und es auch den jungen Damen gegenüber unhöflich wäre, einfach zu gehen, interessierten ihn nicht:

„Er ist ein aechter ehrlicher Schwabe von dem alten Schrot und Korn, und weiß so wenig von Müdigkeit als von Politesse, doch sagte er mit dem biedersten Ton, es sey wie sie wöllet, wie sie möget, und das war auch in der Folge seine Antwort auf alle unsere Fragen.“[6]

Ohne Cuvier die Möglichkeit zu geben, noch ein paar Tänze mit den famosen Dettingerinnen aufs Parkett zu legen, zerrte Glöckler ihn in den Garten, wo er ihm eine besondere Art des Bienenstocks zeigte. Wenig später gelang es dem beharrlichen Herrn, die ganze Gruppe von der Tanzvergnügung loszueisen und sie machten sich auf den Weg nach Kirchheim, wo sie nach Einbruch der Dunkelheit eintrafen.

Dort brachte Glöckler sie zu seinem Schwager, dem Mediziner Friedrich Benjamin Osiander, um dessen Naturalienkabinett zu besichtigen. Sowohl die Versteinerungen als auch die menschlichen Embryonen, die Osiander selbst in Gläsern konserviert hatte, beeindruckten Cuvier. Ohne Widerspruch zu dulden quartierte Glöckler die jungen Männer schließlich bei sich zu Hause ein, wo er sie „mit einem guten Nachtessen und durch gute Betten unsere Kräfte erneuern“[7] ließ.

So viel zum zweiten Tag der Reise. Wie es weiterging, erzählen wir im nächsten Beitrag Georges Cuviers Wanderung über die Schwäbische Alb – Tag 3.

Wer sich auch mal wieder an einem Aufstieg versuchen will, findet hier weitere Informationen:

Anmerkungen

[1] Reise, S.316. Alle Zitate wurden ohne redaktionelle Eingriffe aus der Transkription von Cuviers Reisebericht im Artikel Georges Cuviers „Reise auf die Württembergische Alb“ – ein zeit- und wissenschaftsgeschichtliches Dokument übernommen.

[2] Reise, S. 316f; Hinweis: Das Wort „artig“ wurde damals auch mit der Bedeutung „geschickt, hübsch, elegant“ verwendet. Vgl. dazu den Eintrag ARTIG in: Das deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm.

[3] Reise, S. 318

[4] Reise, S. 318

[5] Reise, S. 318

[6] Reise, S. 318

[7] Reise, S. 319

Hinweis zum lateinischen Zitat auf der Zeichnung: Es handelt sich um ein Zitat aus Vergils Aeneis, Buch IV, Vers 151: „[postquam] altos ventum in montis atque invia lustra“. Auf Deutsch klingt das in der Übersetzung nach W.Hertzberg bearbeitet von E.Gottwein folgendermaßen: „Als man im hohen Gebirg bei den unwegsamen Geklüften/Anlangt“.

Literatur

 

Zitierhinweis: Eva Rincke, Georges Cuviers Wanderung über die Schwäbische Alb – Tag 2, in: Reisebeschreibungen, URL: […], Stand: 24.04.2024