Bazille, Wilhelm Friedrich 

Geburtsdatum/-ort: 1874-02-25;  Esslingen
Sterbedatum/-ort: 1934-02-01;  Stuttgart (durch Freitod)
Beruf/Funktion:
  • deutschnationaler Politiker, württ. Staatspräsident
Kurzbiografie: 1880–1892 Schulbesuch: Volks- und Lateinschule Geislingen, Abitur Realgymnasium Ulm
1892–1896 Studium Rechts- und Staatswiss. in Tübingen und München
1897–1898 1. und 2. Staatsprüfung
1897–1900 Referendar bzw. Volontär in Geislingen, Ulm und Mergentheim
1900–1910 (stellv.) Amtmann bei der Stadtdirektion Stuttgart
(1903) Studienurlaub in Grenoble (Mathematik und Medizin)
1910–1914 Zentralstelle für Gewerbe und Handel, Stuttgart (1913 Titel: Oberamtmann)
1914–1918 Präsident der deutschen Zivilverwaltung der belgischen Provinz Limburg in Hasselt
1919–1924 Landesgewerbeamt Stuttgart (Reg. Rat auf geh. Stellung)
1919–1932 MdL (bis 1930 für die Bürgerpartei/DNVP)
1920–1930 MdR
1924–1928 Württ. Staatspräsident, zugleich Kult- und Wirtschaftsminister
1928–1933 Kultminister
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Auszeichnungen: Auszeichnungen: EK 2. Kl. (1916); Dr. med. h.c. Univ. Tübingen (1927); Ehrenbürger TH Stuttgart (1929)
Verheiratet: 1912 Lina (Lilly) Anna Julia, geb. Ensinger (1884–1976)
Eltern: Vater: Peter Franz Bazille (1839–1917), Werkmeister in Geislingen
Mutter: Anna Amalia, geb. Rieb (1843–1921).
Geschwister: 1
Kinder: 3, darunter Helmut (1920–1970), SPD–MdB 1949–1969
GND-ID: GND/116097647

Biografie: Hans Peter Müller (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 2 (2011), 10-12

Der Sohn eines aus Savoyen eingewanderten Vaters war schon in jungen Jahren eigenwillig und unangepasst. So klagte er als Student über das verrottete Unterrichtsangebot; 1910 kritisierte er den Stuttgarter Oberbürgermeister Gauss öffentlich scharf, was ihm nur eine Versetzung eintrug. Seit 1902 profilierte er sich durch eine Fülle staats- und verwaltungsrechtlicher Veröffentlichungen. Gleichzeitig erstrebte er, bei den nationalliberalen Jungliberalen aktiv, frühzeitig ein politisches Mandat. So kandidierte er 1906 als einziger Jungliberaler Württembergs für einen Landtagssitz (OA Waiblingen), allerdings erfolglos. Nach dem Rücktritt des Stuttgarter Oberbürgermeisters 1911 präsentierte er sich als von der Presse positiv beurteilter Kandidat. Seine imagefördernde Bewerbung zog er jedoch mit sozusagen staatsmännischer Geste wieder zurück – tatsächlich war Bazille für eine gegen den SPD-Bewerber formierte bürgerliche Allianz nicht akzeptabel.
1912 machte er sogar zwei Versuche, ein Landtagsmandat zu erringen. Er scheiterte zwar; beim zweiten Anlauf, den sog. Proporzwahlen im Dezember, jedoch nur knapp. Seine Wahl zum Vorsitzenden des Ortsausschusses Groß-Stuttgart der Deutschen Partei 1913, dem wichtigsten Lokalgremium der württembergischen Nationalliberalen, honorierte seinen politischen Einsatz und verlieh dem Ambitionierten endgültig Statur auf Landesebene. Weitere politische Pläne mussten dann kriegsbedingt zurückgestellt werden. Während des gesamten Kriegsverlaufs amtierte der aus gesundheitlichen Gründen vom Militärdienst Befreite als Chef der deutschen Zivilverwaltung der belgischen Provinz Limburg in Hasselt. Dort sympathisierte er mit flämischen Abspaltungstendenzen und förderte ein Separatistenblatt. Während ihn ein niederländischer Journalist 1915 als Tipptop-Gentleman gelobt hatte, zieh ihn sein sozialdemokratischer Landtagskollege Wilhelm Keil später der Bestechung und Korruption und eben der Förderung separatistischer Tendenzen.
Seine große Zeit als Politiker begann mit der Rückkehr nach Stuttgart Ende 1918. Er war Mitbegründer und dann der eigentliche Führer der neugegründeten Württembergischen Bürgerpartei, in der sich Konservative, ehemalige Vaterlandsparteiler und vor allem rechte Nationalliberale – die Gegner des neuen demokratischen Staatswesens –, zusammengeschlossen hatten. Ganz folgerichtig wurde die neue Rechtspartei 1920 Landesverband der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Als Chef der gemeinsamen Fraktion von Bürgerpartei und dem ideologisch verwandten Bauernbund (Württembergischer Bauern- und Weingärtnerbund) fungierte Bazille seit 1919 in der Landesversammlung bzw. im Landtag als Oppositionsführer. Mit kompromissloser Demagogie bekämpfte er hier und anderswo die neue Ordnung und die sie tragenden Kräfte, also vor allem die SPD und die linksliberale DDP. Wie seine Parteifreunde im Reich vertrat er etwa die infame „Dolchstoßlegende“, nach der die Linke für die deutsche Niederlage, das gegenwärtige Elend oder etwa den Versailler Frieden verantwortlich sei. Bei seinen Auftritten kam es mitunter zu Tumulten, während er als glänzender Redner den Eindruck zu vermitteln suchte, „dass da ein hoch überlegener Geist“ agiere (Leopold Hegelmaier). Vielfach traktierte er seine Zuhörer mit historischen Rückblicken; Bismarck war für ihn der Inbegriff des begnadeten Staatsmannes.
Bezeichnend für ihn und seine Partei waren von der SPD immer wieder gebrandmarkte Kontakte zu rechtsextremen Gruppen einschließlich der Hitlerbewegung; Bazille stand zudem in Verbindung zu Ludendorff. 1923, im Kontext des Münchener Hitlerputsches, kursierte eine Liste, nach der er als Chef eines württembergischen Revolutionskabinetts fungieren sollte. Die Verbindungen zur äußersten Rechten wurden anlässlich der Reichstagswahlen vom Mai 1924 durch ein Bündnis der DNVP mit den Vereinigten Vaterländischen Verbänden Württembergs dokumentiert, an deren Spitze der „Berufsantisemit“ Alfred Roth stand. Diesem hatte Bazille zugesichert: „Kollege Roth, wir machen miteinander aus Württemberg den ,Rocher de bronze‘ der völkischen Bewegung.“
Hatte Bazille 1922 im Reichstag in einer von Tumulten begleiteten provozierenden Rede von der „sogenannten Deutschen Republik“ gesprochen und einen jüdischen Abgeordneten als „Freund aus dem Alten Testament“ tituliert, so gerierte er sich dort im Sommer 1924 geradezu staatsmännisch: anlässlich der Abstimmung über die die Reparationen regelnden Dawes-Gesetze stimmte er mit einem Teil seiner Fraktionskollegen im Sinne der Reichsregierung und damit gegen die Fundamental-Opposition seiner Parteiführung. Dieser Haltung rühmte er sich immer wieder; sie zeigt das Janusgesicht des Politikers Bazille, wie es seit 1924 sichtbar wurde.
1924 sollte den Höhepunkt seines politischen Lebens darstellen. Es gelang ihm, nach einem demagogischen Wahlkampf, in dem seine Partei vor allem die von der Regierung Hieber geplante Auflösung kleinerer Oberämter instrumentalisierte, das höchste Staatsamt Württembergs zu erringen. Mit den Stimmen des Zentrums, das sich nach rechts umorientiert hatte, wurde der bisherige Oppositionsführer zum Staatspräsidenten gewählt – ein Novum für die Deutschnationalen im Reich. Zugleich amtierte er als Kult- und Wirtschaftsminister. In diesem Amt erstaunte er Freund und Feind. Er gab sich staatsmännisch, bekannte sich zu Staat und Verfassung; seine Haltung bei der Dawes-Abstimmung schien eine Wandlung zu dokumentieren, die jedoch wesentlich auf den Druck seines Koalitionspartners Bolz zurückzuführen ist. Wie sehr diese Haltung von Taktik bestimmt war, belegt seine zitierte Äußerung gegenüber Roth. 1928 sah die sozialdemokratische Tawacht in ihm den „Protektor der Putschverbände“. Die Bilanz seiner Amtszeit stieß – nach hohen Erwartungen – auch in seiner Partei auf Kritik. Ehrgeizige Projekte wie etwa die Durchforstung überholter Gesetze oder die Schaffung eines Stuttgarter Regierungsviertels kamen nicht voran, in außenpolitischen Fragen wie etwa zum Locarnopakt oder zum Völkerbundsbeitritt lavierte die Regierung. Schließlich äußerte Bazille immer häufiger überaus pessimistische Zukunftsvisionen, die natürlich seinen Parteifreunden missfielen.
Nach herben Verlusten bei den Landtagswahlen 1928 verlor Bazille sein Amt. Die Koalition mit dem Zentrum wurde – zunächst als Minderheitsregierung – zwar fortgesetzt, ihm blieb jedoch nur das eher ungeliebte Kultressort. Mit Hugenbergs „Machtübernahme“ in der Reichs-DNVP Ende 1928 begann der Prozess seiner Isolierung in der Bürgerpartei. Dessen Kurs einer rigorosen Bekämpfung des Weimarer „Systems“, 1929 mit dem demagogischen Volksbegehren gegen den Youngplan in Allianz mit der NSDAP eingeleitet, fand die vorbehaltlose Unterstützung der württembergischen Deutschnationalen, während Bazille der entscheidenden Reichstagssitzung fernblieb. Im Sommer 1930 stimmte er schließlich mit der gemäßigten „Gruppe Westarp“ im Reichstag für die Regierung Brüning, nachdem er zuvor vergeblich versucht hatte, Hugenberg zum Einlenken zu bewegen. Die zwangsläufige Trennung von seiner Partei wurde von z. T. rüden Attacken begleitet. Während sein Gegenspieler Wider bei den anschließenden Reichstagswahlen das bisherige Mandat von Bazille errang, blieb die Klage der Partei auf Aberkennung seines Landtagssitzes ohne Erfolg.
Diesen Ereignissen folgte ein letztes Kapitel seiner politischen Laufbahn. Trotz einer fortschreitenden Erkrankung, die sich in starken Depressionen und sogar Verfolgungswahn äußerte und ihn mitunter daran hinderte, seinen Dienstaufgaben nachzukommen, suchte er mit Unterstützung verbliebener Anhänger die Rückkehr in den Reichstag. Nachdem der Versuch gescheitert war, einen aussichtsreichen Listenplatz bei den DNVP-Sezessionisten zu erhalten, trat er im August 1930 mit der Neugründung Nationale Volksgemeinschaft vor die Wähler. Bazille bestritt seinen Wahlkampf vornehmlich durch eine scharfe Auseinandersetzung mit Hugenberg („Die Tragödie der DNVP“) sowie der Unterstützung der Politik Kanzler Brünings. Trotz einer Allianz mit dem Bauernbund, der weiterhin zu ihm stand, verpasste er jedoch das angestrebte Mandat.
Seither war er in der Öffentlichkeit nur noch selten präsent, obwohl er sein Ministeramt bis zur NS-„Machtübernahme“ behielt. Seine Gesinnungsfreunde, inzwischen als Volkskonservative firmierend, beriefen sich weiterhin auf ihren „Staatsmann“. Der halbherzige Einsatz des Politzirkels als staatstragende Konservative mündete jedoch 1932 in eine Wahlempfehlung für die NSDAP. Inwieweit dieser moralische Bankrott von Bazille mitgetragen wurde, muss offen bleiben.
Sein Wirken war zwiespältig. Von einem enormen Geltungsdrang getrieben und ungewöhnlichen Projekten zuneigend – hier ragte er über das Mittelmaß seiner Ministerkollegen hinaus –, war der als illiberaler Nationalliberaler Gestartete Provokateur und Demagoge, Bismarckverehrer und Monarchist, Protektor rechter Staatsfeinde und kompromissloser Gegner jedweder Linkstendenzen. Seine Haltung als Staatspräsident schien eine Läuterung zu signalisieren, sein zweifellos verdienstvoller Kampf gegen den Hitler-Steigbügelhalter Hugenberg war jedoch überschattet von einem mindestens ambivalenten Verhältnis zum Nationalsozialismus vor 1933. Der einst von der Rechten Umjubelte und von der Linken kompromisslos Bekämpfte scheiterte letztlich an den eigenen Widersprüchen; sein Freitod 1934 war Beweis dafür.

Literatur: Alfred Roth, Auf gerader Linie. Ein Rückblick auf 45 Jahre im Kampf ums Deutschtum, 1944; Reinhold Weber, Bürgerpartei und Bauernbund in Württemberg, 2004; Hans Peter Müller, Wilhelm Bazille, Deutschnationaler Politiker, württ. Staatspräsident, in: Lebensbilder aus Baden-Württemberg, Bd. 21, 2005, 480–517 (mit Bild, Verz. der Quellen, den Veröff. von Bazille und der einschlägigen Literatur); ders., Sammlungsversuche charaktervoller Konservativer. Die Volkskonservativen in Württemberg 1930–1932, in: ZWLG 64, 2005, 339–354.
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