Wiedergründung 1995

Ein Interview von Eva Rincke durchgeführt am 7. Dezember 2022 in Emmendingen

Sie haben ja schon erzählt, Frau Kobzarev, dass Sie seit dem zweiten Jahr nach der Wiedergründung der Gemeinde dabei sind. Die Jüdische Gemeinde in Emmendingen wurde ja am 12. Februar 1995 wiedergegründet. Können Sie uns mehr über die ersten Jahre erzählen – wie die Gemeindearbeit begonnen hat?

Maja Kobzarev: Man muss wissen, dass es vorher in unserer Gegend nur eine jüdische Gemeinde gab: die Jüdische Gemeinde Freiburg. Anfang der 90er-Jahre kamen viele jüdische Flüchtlinge aus der Sowjetunion. Das hatte mit Antisemitismus zu tun und mit vielen weiteren Gründen. Langsam wurde es für die jüdische Gemeinde Freiburg zu viel. Es kamen immer mehr Leute an und sie wurden im ganzen Gebiet bis nach Lörrach, Emmendingen und Offenburg verteilt. Es war sehr schwierig, sie zu betreuen. Dann wurde die Entscheidung getroffen, aus der jüdischen Gemeinde Freiburg drei Gemeinden zu machen: Lörrach, Emmendingen und Freiburg. 1995 wurde unsere Gemeinde wiedergegründet von Familie Klaus und Ute Teschemacher. Ich persönlich kam 1996 nach Emmendingen. Auch mit der Hilfe von Familie Teschemacher, die für uns eine Wohnung gefunden hat.

Bald wurde ich gefragt, ob ich in der Gemeinde helfen kann und ich habe „Ja“ gesagt. Die Gemeinde bestand damals aus ungefähr 80 Personen. Die Stadt hatte uns erlaubt, im Bürgersaal im Alten Rathaus unsere Schabbat-Gottesdienste abzuhalten, zunächst gab es nur freitags Gottesdienste. Sie wurden sehr gut besucht. Es waren hauptsächlich junge Familien hier. Wir waren fast alle Anfang 30, als wir nach Deutschland kamen und es war immer ein sehr großes Event, zum Gottesdienst zu gehen.

Später wurden wir größer, weil 1998 eine ganze Welle neuer Flüchtlinge aus der ehemaligen Sowjetunion kam. Die Gemeinde wuchs. Wir brauchten einen Raum für die Gemeinde. Unser erstes Büro befand sich hier am Schlossplatz im Lenzhäuschen. Das ist ein kleines Häuschen, quasi ein Zimmer – ohne Toilette, ohne Wasser. Das war natürlich unmöglich.

Gleichzeitig wurde die Mikwe (ein Haus mit einem jüdischen Ritualbad) renoviert. Viele unserer Gemeindemitglieder arbeiteten ehrenamtlich dabei mit. Ich persönlich habe den Boden geputzt, das weiß ich noch, da unten im Keller. Somit wurde der „Verein für jüdische Geschichte und Kultur Emmendingen“ gegründet, der bei uns „Jüdisches Museum“ genannt wird. Den Raum im „Jüdischen Museum“ oben unter dem Dach konnten wir als unser Büro nutzen. Das war unser zweites Büro. Aber auch dort war bald zu wenig Platz, weil dann so viele Leute auf einmal dazukamen: 100 oder mehr. Sie waren alle in verschiedenen Wohnheimen untergebracht. In Emmendingen, Offenburg, Achern und Appenweier – das waren vier oder fünf Wohnheime, die wir betreut haben. Das war viel sehr Flüchtlingsarbeit.

Dann suchte Familie Teschemacher einen Ort, wo wir weiter unsere Arbeit machen konnten. 1999 übergab uns die Stadt dann dieses Gebäude. Das war früher ein Mehrfamilienhaus gewesen. Als wir es übernahmen, wohnte hier nur noch eine Familie und das Haus war in einem richtig heruntergekommenen Zustand. Da machten wir – auch mithilfe unserer Gemeindemitglieder, die neu gekommen sind – hier die ganze Renovierung. Dafür schulten wir uns quasi selbst, sogar an der Fassade arbeiteten wir. Das war ein riesengroßes Projekt. Wir konnten es natürlich nur mit Hilfe unserer Gemeindemitglieder durchführen.

Es gab damals noch keine Zuschüsse vom Staat für die jüdischen Gemeinden. Wir finanzierten uns aus kleinen Mitgliedsbeiträgen und einem Zuschuss von der Stadt. Bis 2010, als der Staatsvertrag in Kraft trat.

Dieses Gebäude war die erste Synagoge in Emmendingen, Synagoge und Rabbinerhaus. 1727 kaufte es der jüdische Händler Moyses Gydeon und richtete hier einen Betsaal ein, 1763 wurde dieses Haus Synagoge. 1823 wurde ganz in der Nähe am Schlossplatz eine neue Synagoge gebaut, die am 10. November 1938 zerstört wurde. Außerdem gab es die Mikwe, die zwischen 1837 und 1843 entstanden ist, gleich hier gegenüber von der alten Synagoge.

Wir zogen also hier in dieses Gebäude der alten Synagoge. Die Gottesdienste fanden weiterhin im Alten Rathaus statt, da war es wieder sehr eng. Wir suchten weiter und mieteten schließlich ein paar Etagen in der Landvogtei 11, dem ehemaligen Gastroturm.

Zuerst hatten wir nur ganz oben die Synagoge. Dann mieteten wir noch zwei weitere Etagen an. Später kaufte der Oberrat [1] der Gebäude, weil es zum Verkauf stand. Vor sechs, sieben Jahren wurde es uns vom Oberrat komplett übergeben. Jetzt haben wir unsere Synagoge und wir haben hier in der alten Synagoge unser Büro. Außerdem haben wir vor fünf Jahren noch einen neuen Raum in der Lammstraße für unser Jugendzentrum gekauft. Inzwischen ist da ein Versammlungsraum entstanden, der für verschiedene Generationen und Veranstaltungen benutzt wird.

Olga Maryanovska: Unser großer Wunsch ist es, alles in einem Gebäude zu haben.

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Olga Maryanovska ist Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Emmendingen. Maja Kobzarev ist Sozialarbeiterin und Geschäftsführerin der Jüdischen Gemeinde Emmendingen.

Anmerkungen

[1] Der Oberrat ist das oberste Organ der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden (IRG Baden).

Zitierhinweis: Maja Kobzarev/Olga Maryanovska/Eva Rincke, Interview in der Jüdischen Gemeinde Emmendingen, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.05.2023.

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