Ritueller Gewürzturm

von Sabine Kößling

Ein jüdischer Kunde gab diesen Gewürzturm bei einem christlichen Silberschmied in Auftrag, was beweist, dass der starke Einfluss von Mode und Geschmack konfessionelle Grenzen überschritt - selbst bei Sakralgegenständen. Hergestellt zwischen ca. 1700 und1750 [Quelle: Shared History Project des Leo Baeck Instituts]
Ein jüdischer Kunde gab diesen Gewürzturm bei einem christlichen Silberschmied in Auftrag, was beweist, dass der starke Einfluss von Mode und Geschmack konfessionelle Grenzen überschritt - selbst bei Sakralgegenständen. Gewürzturm, hergestellt zwischen ca. 1700 und 1750 [Quelle: Shared History Project des Leo Baeck Instituts]

Das Verhältnis von Juden und Christen war komplex und vielfältig. In der älteren Geschichtsschreibung wurde es oft auf Konfliktsituationen reduziert, wie es sich aus der Auswertung der archivalischen Überlieferung von gerichtlichen Streitfällen und obrigkeitlichen Verordnungen ergab. Die Lebenswelt war aber vielfältiger. Es gab zahlreiche Verbindungen und Gemeinsamkeiten zwischen den gesellschaftlichen Gruppen. Man traf sich im Schauspiel oder zum Kartenspiel im Wirtshaus. Immer wieder waren Christen zu jüdischen Feierlichkeiten eingeladen. Insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiet kam es zu Berührungen: Juden beauftragten christliche Handwerker mit der Herstellung von Zeremonialobjekten. Christliche Hebraisten lernten bei jüdischen Lehrern. Christliche Buchdrucker beschäftigten jüdische Korrektoren und Setzer für ihre Ausgaben hebräischer und jiddischer Drucke. Jüdische Haushalte brauchten christliches Personal, um das Arbeitsverbot am Schabbat einhalten zu können. Aus all diesen loseren oder engeren Verbindungen kam es auf etlichen Gebieten zu einem Kulturtransfer zwischen der christlichen und der jüdischen Gesellschaft.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Besamim-Turm aus Schwäbisch-Gmünd. Gefäße für die Gewürze der Hawdala-Zeremonie gibt es in allen erdenklichen Formen. Oft werden Alltagsgefäße wie zum Beispiel Gewürzdosen für den rituellen Zweck umgewidmet. Prinzipiell kann jedes Objekt für den jüdischen Ritus verwendet werden. Er darf nur später nicht wieder zu einem Alltagsobjekt herabgestuft werden. Aber auch eigens angefertigte Objekte erfreuten sich großer Beliebtheit. Im aschkenasischen Raum hat das Besamim-Gefäß als Turm eine lange Tradition. Ungewöhnlich ist die Technik: Die Kombination aus Silberfiligran und Emaille wurde sonst für christliche Ritualobjekte wie Kruzifixe benutzt. Offensichtlich kannte der jüdische Auftraggeber dieses Turms solche Werke und hat nach ihrem Beispiel arbeiten lassen. Die Türme wurden im 18. Jahrhundert in Schwäbisch-Gmünd hergestellt, in dem es damals keine jüdische Gemeinde gab. Der oder die Auftraggeber solcher Türme wandten sich also von außerhalb an die Produzenten, um Aussehen und Form der Türme zu bestellen. Sie unternahmen zeitraubende organisatorische und auch finanzielle Anstrengungen, um möglichst schöne und wertvolle Ritualgegenstände zu besitzen. 

Weltweit sind nur acht Exemplare dieses Typs von Besamim-Türmen bekannt. Die anderen Gewürztürme befinden sich in Würzburg, Jerusalem, New York, London, Kopenhagen, Paris, und Tel Aviv. Der Frankfurter Turm ist am besten erhalten. Er gehört seit 1897 dem Historisches Museum Frankfurt, gekauft durch die städtische Kommission für Kunst- und Altertumsgegenstände von den Frankfurter Kunsthändlern „J. & S. Goldschmidt, Antiquitäten und Juwelen“ in der Kaiserstraße 15. Die bedeutenden Kunsthändler mit Filialen in Berlin, Paris und New York verkauften dem Historischen Museum mehrfach Judaica. Mit der Gründung des Jüdischen Museums durch die Stadt Frankfurt gingen die Judaica Bestände des Historischen Museums 1987 in den Besitz des Jüdischen Museums über. Hergestellt zwischen ca. 1700 und1750 [Quelle: Shared History Project des Leo Baeck Instituts]
Weltweit sind nur acht Exemplare dieses Typs von Besamim-Türmen bekannt. Die anderen Gewürztürme befinden sich in Würzburg, Jerusalem, New York, London, Kopenhagen, Paris, und Tel Aviv. Der Frankfurter Turm ist am besten erhalten. Er gehört seit 1897 dem Historisches Museum Frankfurt, gekauft durch die städtische Kommission für Kunst- und Altertumsgegenstände von den Frankfurter Kunsthändlern „J. & S. Goldschmidt, Antiquitäten und Juwelen“ in der Kaiserstraße 15. Die bedeutenden Kunsthändler mit Filialen in Berlin, Paris und New York verkauften dem Historischen Museum mehrfach Judaica. Mit der Gründung des Jüdischen Museums durch die Stadt Frankfurt gingen die Judaica Bestände des Historischen Museums 1987 in den Besitz des Jüdischen Museums über.
Gewürzturm, hergestellt zwischen ca. 1700 und 1750 [Quelle: Shared History Project des Leo Baeck Instituts]

Der Turm hat über einem Fuß zwei Würfel; der untere ist das Behältnis für die Gewürze. Die Tür und die Seitenteile sind mit bemalten Emaillen geschmückt. Sie zeigen Szenen aus der Bibel: Elieser am Brunnen mit Rebekka, Isaak segnet seinen Sohn Jakob, Jakobs Traum von der Himmelsleiter, Jakob ringt mit dem Engel und erhält den Namen Israel. Auf dem oberen Teil sieht man die verstoßene Hagar und ihren Sohn Ismael in der Wüste, Moses vor dem brennenden Dornbusch, Samson trägt die Tore von Gaza sowie Samson und Dalila.

Diese bildlichen Darstellungen sind nach christlichen Vorbildern gemalt. Vorlage waren die Illustrationen der „Icones Biblicae“ von Matthäus Merian, einem christlichen Künstler. Sie wurden 1625–27 in Frankfurt am Main veröffentlicht und waren unter Juden wie Christen sehr verbreitet. Der Turm zeigt, dass Juden die christliche Bilderwelt bekannt war und dass sie kein Problem darin sahen, diese in ihre eigene Bilderwelt zu integrieren.

Überhaupt waren Bilder biblischer Szenen auch in der Judengasse allgegenwärtig, es gab sie als Drucke oder Gemälde und in hebräischen Manuskripten. Im Haus zum Warmen Bad, dessen Fundamente im Museum Judengasse zu sehen sind, soll der Überlieferung nach sogar ein Kachelofen gestanden haben, der mit Bildern biblischer Geschichten bemalt war.

Was für die bildende Kunst gilt, lässt sich auch über Literatur, Musik, Moden oder Vorstellungen zum richtigen Lebenswandel sagen: Die Alltagskultur jüdischer und nichtjüdischer Gruppen und Gesellschaften in der frühneuzeitlichen Stadt waren vielfach miteinander verwoben und beeinflussten sich gegenseitig.

Literatur

  • Annual Reports of the Historisches Museum Frankfurt am Main 21, 1897.
  • Backhaus, Fritz/Gross, Raphael/Kößling, Sabine/Wenzel, Mirjam, Die Frankfurter Judengasse. Geschichte, Politik, Kultur. Katalog zur Dauerausstellung des Jüdischen Museums Frankfurt, München 2016.
  • Heuberger, Georg, Die Pracht der Gebote. Die Judaica-Sammlung des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, Köln 2006.
  • Spiegel, Paul/Holthuis, Gabriele/Boosen, Monika, Have a Good Week! Jewish Towers from Schwäbisch Gmünd. Exhibition Catalog Museum im Prediger Schwäbisch Gmünd, Schwäbisch Gmünd 2001.

Dieser Artikel wurde ursprünglich in dem Shared History Project, 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland veröffentlicht.

Zitierhinweis: Sabine Kößling, Ritueller Gewürzturm, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 03.09.2021.

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