Stadt und Land

von Uri R. Kaufmann

 Tora-Wimpel von Eliezer Moos [Quelle: Verein für jüdische Geschichte Gailingen, Foto: Kuhnle&Knoedler]  
Tora-Wimpel von Eliezer Moos [Quelle: Verein für jüdische Geschichte Gailingen, Foto: Kuhnle&Knoedler]

Bis in die 1880er-Jahre wohnte die Mehrheit der badischen Juden auf dem Land. Sie waren vor allem im Landhandel mit Rindvieh, Pferden, Textilien, Wein, Alteisen, Leder, Häuten und Lumpen tätig. In den Dörfern war die Religionszugehörigkeit jeder Familie eindeutig festgelegt. Wo der jüdische Bevölkerungsanteil bedeutend war, bildete das jüdische Leben einen wichtigen Teil des Alltags, so etwa in den südbadischen „Judendörfern“ Gailingen und Randegg.

Die Frömmigkeit der Landjuden war mystisch geprägt. Gewisse Bräuche knüpften an spätmittelalterliche Traditionen an, etwa das Zubinden der schweren Torarollen aus Pergament durch lange Stoffbinden, die aus der Beschneidungswindel zusammengenäht, bestickt oder bemalt wurden. Dieser süddeutsche jüdische Brauch geht vermutlich auf Rabbiner Maharil aus Mainz (gest. 1427) zurück. Die Landjuden glaubten auch an die Kraft von Amuletten zum Schutz bei Geburten.

Das aus dem Spätmittelalter stammende Jüdisch-Deutsche oder Westjiddische war vielen Christen in den „Judendörfern“ geläufig. Auf dem Land hielt es sich lange als Gruppensprache, in Gailingen bis in die NS-Zeit. Sogar die Schreibschrift wurde noch in den 1880er-Jahren gelehrt, wie Funde aus dem Synagogenarchiv („Genisa“) in Sennfeld-Adelsheim belegen. Mit dem Aufkommen der Eisenbahn und nach der Erteilung der Freizügigkeit für die badischen Juden 1862 zogen viele in die Städte. Den in finanzielle Bedrängnis geratenen Landgemeinden half der Oberrat durch die neue „Israelitische Zentralkasse“. Andere wanderten aber, wie auch Christen, in die neue Welt, vor allem in die USA, aus.

In Städten wie Mannheim oder Karlsruhe gab es dagegen eine arrivierte bürgerliche Mittel- und Oberschicht. So gehörte das Ehepaar Minna und Wolf Haium Ladenburg (1766–1851) in Mannheim zu den führenden Kreisen. Bankier Ladenburg finanzierte unter anderem auch die BASF mit, diente von 1825–1845 im Oberrat und im Synagogenvorstand. Sein Sohn Leopold, ein Jurist, verfasste wichtige Broschüren für den Kampf um die Gleichberechtigung.

Literatur

  • Rürup, Reinhard, Die jüdische Landbevölkerung in den Emanzipationsdebatten süd- und südwestdeutscher Landtage, in: Jüdisches Leben auf dem Lande, hg. von Monika Richarz/Reinhard Rürup, Tübingen 1997, S. 121–138.

Dieser Artikel wurde ursprünglich im Ausstellungskatalog Gleiche Rechte für alle? Zweihundert Jahre jüdische Religionsgemeinschaft in Baden 1809-2009, hg. von Landesarchiv Baden-Württemberg, Ostfildern 2009, auf S. 64 veröffentlicht.

Zitierhinweis: Uri R. Kaufmann, Stadt und Land, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 03.09.2021.

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