»Sittenlehre zur Erbauung der Erwachsenen«

Obrigkeitliche Vorgaben führen zum Umbau der Haigerlocher Synagoge

von Raphael Schmid

Schnitt der Synagoge zu Haigerloch mit Thoraschrein und Lesepult. Vorlage: Landesarchiv BW, StAS Ho 202 T 2 Nr. 1317. Zum Vergrößern bitte klicken.
Schnitt der Synagoge zu Haigerloch mit Thoraschrein und Lesepult. [Quelle: Landesarchiv BW, StAS Ho 202 T 2 Nr. 1317]

Die Stadt Haigerloch kann in ihrer Geschichte auf etwa 500 Jahre christlich-jüdisches Zusammenleben zurückblicken. Seit der Wende zum 16. Jahrhundert – zu einer Zeit, als viele Juden aus Reichsstädten und Territorien ausgewiesen wurden – erfuhr die jüdische Gemeinde des zeitweiligen Residenzstädtchens besonders großen Zuwachs. Gegen Zahlung eines Tributs erhielten die Juden vom Landesherrn einen Schutzbrief, der ihnen für eine begrenzte Zeit das Wohn- und Handelsrecht einräumte.

1780 schließlich verfügte Fürst Karl Friedrich von Hohenzollern-Sigmaringen, dass sich die Juden zu Haigerloch in einem gesonderten Stadtviertel – dem sogenannten Haag – dauerhaft anzusiedeln hätten, wo ihnen ein Grundstück zum Bau einer Synagoge und ein Begräbnisplatz zugewiesen wurden. Bislang hatte es für die rund 20 jüdischen Familien nur einen kleinen Betsaal gegeben, der sich in einem Wohnhaus in der Oberstadt befand.

Doch schon ein halbes Jahrhundert nach Fertigstellung der Bauten im Haag erwies sich der Platz in der Synagoge als nicht mehr ausreichend. Das hatte in erster Linie rechtliche Ursachen. Denn nach dem landesfürstlichen Gesetz über die staatsbürgerlichen Verhältnisse der israelitischen Glaubensgenossen vom 9. August 1837 waren nun sowohl verheiratete als auch unverheiratete Frauenspersonen verpflichtet, am Sabbat und an Feiertagen zum Vortrag über die Vorschriften der Religion und der Sittenlehre zur Erbauung der Erwachsenen zu erscheinen. Der Rabbinatsverweser Maier Hilb suchte daher beim Oberamt Haigerloch um Unterstützung für einen Erweiterungsbau nach, obwohl dessen Notwendigkeit selbst innerhalb des jüdischen Gemeindevorstandes nicht unumstritten war. So war Wolf Israel Levi der Ansicht, dass ledige Frauen gar nicht teilzunehmen hätten, weil im benachbarten Königreich Württemberg diese Verordnung auch noch nicht stattfindet. Der Gemeindevorsänger Neubürger hielt das Gesetz zwar für ganz zeitgemäß, die israelitische Gemeinde wäre aber wirklich noch zu arm.

Das Oberamt bestand jedoch auf der Umsetzung und unterstützte Hilbs Anliegen. Für besonderen Unmut sorgte bei den jüdischen Mitbürgern, dass sie zwar vollends für die Kosten aufkommen mussten, vom Vorstand aber nicht in die Verhandlungen miteinbezogen wurden. Sie bestritten nicht die Notwendigkeit des Baus aber die Eile bei der Umsetzung, da das erforderliche Kapital fehlte, und baten um Bedenkzeit. So begann man erst anderthalb Jahre später mit der Erweiterung der Synagoge. Zunächst wurde die Empore um zwei neue Galerien erweitert. Außerdem wurden unterschiedliche Männer-, Frauen- und Kinderstühle angeschafft. Der eigentlich geplante Anbau einer Wohnung für den Vorbeter sowie die Neuanordnung von Thoraschrein, Vorlesepult und der vorgelagerten Bänke wurden jedoch nicht verwirklicht.

Nach Abschluss der Erweiterung bot die Synagoge schließlich Platz für 294 Personen. Nicht zuletzt durch einen Zuschuss von 150 Gulden zeigte sich die fürstliche Regierung den Juden gegenüber wohlgesonnen. Damit konnten immerhin rund 10 Prozent der Umbaukosten getragen werden.

Dieser Artikel wurde ursprünglich in den Archivnachrichten 62 (2021), Seite 28–29 veröffentlicht.

Zitierhinweis: Raphael Schmid, »Sittenlehre zur Erbauung der Erwachsenen«, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.02.2023.

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