Haus des Lebens

Der jüdische Friedhof in Wertheim

von Monika Schaupp

Der älteste Grabstein auf dem jüdischen Friedhof Wertheim für den am 16. August 1405 verstorbenen Jungen Abraham, Sohn des Baruch. Vorlage: Landesarchiv BW, StAL EL 228 b II Nr. 51758. Zum Vergrößern bitte klicken.
Der älteste Grabstein auf dem jüdischen Friedhof Wertheim für den am 16. August 1405 verstorbenen Jungen Abraham, Sohn des Baruch. [Quelle: Landesarchiv BW, StAL EL 228 b II Nr. 51758]

„es kan aber uff solchen unsern gemeinen Gotsacker, welches wol die eltiste juedische Begräbnis im Romischen Reich mag sein, dan Stein daruff zue finden, die vor sechshundert Jharen sein gesetzt und bißhero gantz erhalten worden, nichts mehr sicher sein, [...] so uhralte und newe Grabstein in stuckh zerschnitten, hin und wieder geworffen, das einem, den es angehet, das Hertz weinen möchte." Mit diesem Auszug aus einer Supplikation der gemeinen Juedenschafft alhier zu Wertheim, die am 7. Mai 1628 in der Kanzlei der Grafen von Wertheim einging, wird gleich dreierlei deutlich: Der jüdische Friedhof in Wertheim gehört zu den ältesten jüdischen Friedhöfen in Deutschland – er war in seiner gesamten Geschichte aufs Engste mit der jüdischen Gemeinde verbunden – und auch er war über die Jahrhunderte immer wieder Ziel von Anfeindungen und Zerstörungswut, bis hin zu den Verwüstungen in der Zeit des Nationalsozialismus.

Nimmt man die zitierte Passage wörtlich, standen Anfang des 17. Jahrhunderts auf dem Wertheimer jüdischen Friedhof Grabsteine aus dem 11. Jahrhundert. Nachweisen kann man das derzeit nicht – der älteste erhaltene Grabstein datiert auf den 16. August 1405. Er ist damit sogar ein Jahr älter als die urkundliche Ersterwähnung des Friedhofs vom 29. Juni 1406. Dass 71 weitere datierbare Steine (von insgesamt 498) aus dem 15. Jahrhundert stammen, zeigt die Bedeutung dieses Friedhofs. Der älteste erhaltene und bis ins 20. Jahrhundert genutzte jüdische Friedhof Baden-Württembergs ist er in jedem Fall.

Urkundliche Ersterwähnung des jüdischen Friedhofs Wertheim, 29. Juni 1406. Vorlage: Landesarchiv BW, StAWt G-Rep. 9a/1 Lade XXXII Nr. 19. Zum Vergrößern bitte klicken.
Urkundliche Ersterwähnung des jüdischen Friedhofs Wertheim, 29. Juni 1406. [Quelle: Landesarchiv BW, StAWt G-Rep. 9a/1 Lade XXXII Nr. 19]
 

Wenn mit einem Festjahr 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland sichtbar und erlebbar gemacht werden, rücken auch jüdische Friedhöfe als Orte religiöser Praxis ins Bewusstsein. Dort liegen die Verstorbenen bis zu ihrer Auferweckung am Ende der Tage und warten auf ein ewiges Leben von Leib und Seele. Mit dieser hohen Bedeutung werden die besonderen Riten um Tod und Beerdigung im Judentum verständlich. Und es ist nachvollziehbar, dass jüdische Gräber auf die Ewigkeit angelegt sind und nicht aufgelassen werden dürfen. Umbettung oder Neubelegung der Totenstätten wie im Christentum, selbst die Entfernung der Grabeinfassungen sind undenkbar. Dadurch spiegeln die Grabsteine mit ihren oft ausführlichen Texten in hohem Maß die Struktur der jüdischen Gemeinde vor Ort oder – bei Verbandsfriedhöfen wie in Wertheim – der jüdischen Gesellschaft einer Region mit vielfältigen Beziehungen: Sie sind steinernes Archiv der jüdischen Bevölkerung. In Wertheim reichen diese Zeugnisse bis zum 19. August 1938.

So kommt auch der jüdische Friedhof Wertheim in diesem Jahr besonders in den Blick, als Zeugnis für die jahrhundertelange und bis 1940 kaum unterbrochene lebendige jüdische Gemeinde Wertheims, zurück bis zum ersten Wertheimer Juden, der für 1222 urkundliche belegt ist.

Dieser Artikel wurde ursprünglich in den Archivnachrichten 62 (2021), Seite 34–35 veröffentlicht.

Zitierhinweis: Monika Schaupp, Haus des Lebens, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.02.2023.

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