Versteigerungen vor und nach den Deportationen

Beitrag aus der Ausstellung „Ausgrenzung - Raub – Vernichtung“ des Staatsarchivs Ludwigsburg und des Gedenkstättenverbunds Gäu-Neckar-Alb e. V.

 Lörracher Bürger bei der Versteigerung von Hab und Gut von Juden, die wenige Wochen zuvor im Oktober 1940 nach Gurs deportiert worden waren. [Quelle: ©Stadtarchiv Lörrach, StaLö2.42.4]  
Lörracher Bürger bei der Versteigerung von Hab und Gut von Juden, die wenige Wochen zuvor im Oktober 1940 nach Gurs deportiert worden waren. [Quelle: Stadtarchiv Lörrach, StaLö2.42.4]

Versteigerungen von Hausrat und Möbeln von Juden waren im nationalsozialistischen Deutschland ein Massenphänomen, an dem sich viele Bürgerinnen und Bürger – nicht selten die ehemaligen Nachbarn der Verfolgten – beteiligten. Bereits vor den Deportationen kam es zu zahlreichen privaten Versteigerungen von Hausrat, wenn Juden sich zur Flucht entschlossen. Diese Aktionen – die zum Teil in den Wohnungen stattfanden – riefen viele Schaulustige und Schnäppchenjäger auf den Plan.

An vielen Orten wie Stuttgart, Rexingen, Baisingen, Haigerloch, Laupheim, Künzelsau oder Eschenau fanden nach den Deportationen im Winter 1941 und Sommer/Herbst 1942 größere Versteigerungen statt, die die Finanzämter mit den örtlichen Inventierern organisierten. Weniger wertvolle Sachen sollten laut Oberfinanzpräsidenten an die „Volksgemeinschaft“ abgegeben werden.

Schnäppchenjagd in Eschenau bei Heilbronn

Nach der Räumung des jüdischen Zwangsaltenheims Eschenau im August 1942, dessen 82 Bewohnerinnen und Bewohner in das KZ Theresienstadt deportiert wurden, fand dort im Herbst eine große Versteigerung statt. Heilbronner Finanzbeamte und der dortige Stadtinventierer organisierten im Schlosspark in Eschenau den Verkauf des Hausrats, der Kleidung und des Mobiliars der deportierten Juden. Zahlreiche Personen aus dem Ort und der Region waren anwesend. Ein Beteiligter, damals ein Kind, erinnert sich: „Drei Tische, da waren Utensilien drauf, vorwiegend Weißwäsche, meine Mutter hat ein geflochtenes Nähkörble ersteigert. Es wurde die Habe aufgerufen und hochgehoben. Es wurde gleich bezahlt.“ Bei der Versteigerung wechselten Kleidungsstücke, Bettzeug und Kommoden zu einem Spottpreis die Besitzer. Den Gesamterlös von mehreren tausend Reichsmark kassierte das Finanzamt Heilbronn für den NS-Staat.

Zuweilen gab es Vorfälle, bei denen Mitbietende bevorzugt wurden und andere trotz höheren Gebots leer ausgingen. Vor der Versteigerung hatten Polizisten und Nationalsozialisten Schmuck und Wertgegenstände der Opfer unter sich aufgeteilt. Persönliche Bereicherungen waren in der Region und reichsweit häufiger zu beobachten.

Versteigerungen begleiteten die Shoah

Über die Versteigerungen waren viele normale Deutsche moralisch, sozial und finanziell in den Prozess der Auslöschung der jüdischen Existenz verwickelt. Man ging bei allen Versteigerungen davon aus, dass die deportierten Juden nie mehr zurückkehren würden. Die Gründe für die Beteiligung waren verschieden: Antisemitismus, persönliche Gier, ein mangelndes Unrechtsbewusstsein, weil der NS-Staat solche „legalen“ Versteigerungen organisierte, und die materiellen Interessen während des Krieges, die den verbrecherischen Kontext der Versteigerung ausblendeten.

Literatur

  • Ulmer, Martin, Versteigerungen vor und nach den Deportationen, in: Ausgrenzung. Raub. Vernichtung. NS-Akteure und „Volksgemeinschaft“ gegen die Juden in Württemberg und Hohenzollern 1933 bis 1945, hg. von Heinz Högerle/Peter Müller/Martin Ulmer, Stuttgart 2019, S. 463-470.

Zitierhinweis: Staatsarchiv Ludwigsburg/Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb, Versteigerungen vor und nach den Deportationen, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.02.2023.

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