Die Pogromnacht in Württemberg und Hohenzollern

Auf die Nacht der Brandstifter und Schläger folgte die Zeit der Räuber

Beitrag aus der Ausstellung „Ausgrenzung - Raub – Vernichtung“ des Staatsarchivs Ludwigsburg und des Gedenkstättenverbunds Gäu-Neckar-Alb e. V.

 Zahlreiche Ludwigsburger Bürgerinnen und Bürger waren Zeugen, wie die Synagoge niederbrannte. [Foto: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1111 Bild 1]  
Zahlreiche Ludwigsburger Bürgerinnen und Bürger waren Zeugen, wie die Synagoge niederbrannte. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1111 Bild 1]

Mit den Pogromen im November 1938 erreichte die Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung einen neuen Höhepunkt. Die NS-Propaganda verkaufte die massiven Übergriffe als Reaktion auf das Attentat auf den deutschen Diplomaten Ernst vom Rath in Paris. In Württemberg und Hohenzollern standen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 18 Synagogen in Flammen.

SA- und SS-Verbände zerstörten bei zwölf weiteren Gotteshäusern die Inneneinrichtung. Zahlreiche Geschäfte in Stuttgart, Heilbronn, Ludwigsburg, Horb und Schwäbisch Hall wurden demoliert und Waren und Schaufensterauslagen geplündert.

Die Gewalt der Nationalsozialisten machte auch vor Menschen nicht Halt. Man trieb jüdische Männer zusammen, demütigte sie und prügelte brutal auf sie ein. In Ulm misshandelten Hunderte Nazis und deren Helfer unter den Augen vieler Schaulustiger die Männer in einem Brunnen vor der brennenden Synagoge. Mit Verwüstungen und Plünderungen schüchterten Nazis Bewohner des jüdischen Landesaltenheims Heilbronn-Sontheim sowie die Kinder und Jugendlichen des jüdischen Waisenhauses in Esslingen ein. Fast 900 Männer verhaftete die Gestapo und verschleppte sie in die Konzentrationslager Dachau und Welzheim.

Mehr als 20 Menschen starben in oder nach der Pogromnacht. Wenn Synagogen niedergebrannt wurden, schützte die Feuerwehr nur die benachbarten Häuser. Die Polizei schritt gegen die Brandstifter, Schläger und Plünderer nicht ein.

Kaum jemand in Deutschland protestierte gegen die zügellose Gewalt. Viele Kommunen bereicherten sich am Kauf der verwüsteten Synagogengebäude. Die Pogrome waren ein Zivilisationsbruch und radikaler Einschnitt für die schockierte jüdische Bevölkerung.

 Diese wertvollen Leuchter wurden aus der Synagoge in Rexingen gestohlen. [Foto: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1498 Bild 1]  
Diese wertvollen Leuchter wurden aus der Synagoge in Rexingen gestohlen. In ganz Württemberg raubten die NS-Organisationen und die Gestapo im Verlauf des Novemberpogroms Kultgegenstände wie Thorarollen, Leuchter und Gebetbücher. Wo die Objekte geblieben sind, ist bis heute häufig ungeklärt. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1498 Bild 1]

Die Juden waren nach fünf Jahren wachsender Ausgrenzung völlig isoliert und rechtlos. Ab jetzt ging es nur noch um das nackte Überleben und die rasche Flucht. Direkt nach den Pogromen wurde den Juden – bis auf wenige Ausnahmen – jede Gewerbetätigkeit und Arbeit untersagt. Sie mussten eine hohe Sonderabgabe von mehr als 1 Milliarde Reichsmark bezahlen, die die NS-Regierung als „Sühneleistung“ bezeichnete. Die horrende Summe trieb ihre Enteignung zugunsten des deutschen Staates entscheidend voran. Weitere Sonderabgaben folgten.

Während sich die Kassen der Finanzbehörden füllten, verarmten zahlreiche jüdische Menschen. Die Ausplünderung, aber auch Einwanderungsbeschränkungen in vielen Ländern erschwerten die Flucht ins Ausland zunehmend und brachten sie in eine nahezu ausweglose Situation.

Literatur

  • Ulmer, Martin, Das Novemberpogrom. Auf die Nacht der Brandstifter und Schläger folgt die Zeit der Räuber, in: Ausgrenzung. Raub. Vernichtung. NS-Akteure und „Volksgemeinschaft“ gegen die Juden in Württemberg und Hohenzollern 1933 bis 1945, hg. von Heinz Högerle/Peter Müller/Martin Ulmer, Stuttgart 2019, S. 397-406.

Zitierhinweis: Staatsarchiv Ludwigsburg/Gedenkstättenverbund Gäu-Neckar-Alb, Die Pogromnacht in Württemberg und Hohenzollern, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.02.2023.

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