Die jüdische Bevölkerung innerhalb der Wirtschaft Württembergs und Hohenzollerns (1806-1933)
Von Stefan Lang
![Porträt Madame Kaulla, Öl auf Leinwand [Quelle: Landesmuseum Württemberg] Porträt Madame Kaulla, Öl auf Leinwand [Quelle: Landesmuseum Württemberg]](/media/lmw_museumsobjekte/current/generated/fromurl/21155720018.jpg.pv.jpg)
Porträt Madame Kaulla. Die Stuttgarter Hoffaktorin Karoline Kaulla stammte aus Buchau. Die hoch gebildete jüdische Frau hatte ab 1770 am Hof der Württemberger eine Stellung inne, in der sie als selbstständige Kauffrau für die finanziellen Angelegenheiten des Hofes zuständig war. Das Porträt der Madame Kaulla ist eine Kopie des unbekannten Malers C. Berger nach einem Gemälde des Stuttgarter Hofmalers Johann Baptist Seele. Es ist in der Schausammlung "LegendäreMeisterWerke" im Alten Schloss ausgestellt. Öl auf Leinwand. [Quelle: Landesmuseum Württemberg]
Jüdisches Wirtschaftsleben in Schwaben bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts
Die kleine jüdische Bevölkerung in Schwaben, die sich nach dem 30-jährigen Krieg überwiegend auf einige wenige Siedlungsorte mit meist adeligen Schutzherren verteilte, war jenseits einer kleinen Elite in ihrem wirtschaftlichen Tätigkeitsfeld in der Regel auf einen weitgehend regionalen Rahmen ausgerichtet. Dieser umfasste den eigenen Wohnort mit seinen durch einen Schutzbrief oder eine Judenordnung formulierten Bestimmungen ebenso wie die Rechtsnormen der Nachbargebiete, die oft keine Juden als Einwohner duldeten – beispielsweise die Herzogtümer Württemberg und Bayern oder fast alle Reichsstädte. Dort erhielten Juden unter wechselnd starken Restriktionen und Aufsichtsverpflichtung immerhin Zugang zu den öffentlichen Märkten und erfüllten dadurch beispielsweise wichtige Funktionen, speziell im Pferde- und Viehhandel oder beim Warentransfer zwischen städtischen Zentren und dörflicher Bevölkerung. Dabei gab es bei allen regionalen Unterschieden doch grundlegende Gemeinsamkeiten: Seit jeher war den Juden die Aufnahme in die christlichen Handwerker- und Kaufmannszünfte ebenso verwehrt geblieben, wie der Erwerb oder Verkauf von Immobilien und Grundbesitz. Zusätzlich galten häufig rechtliche Einschränkungen und produktspezifische Sonderbestimmungen. Innerhalb der größeren Judengemeinden gab es zwar trotzdem Handwerker, insbesondere Metzger und Bäcker sowie auch Gastwirte für den örtlichen Bedarf, sowie in sehr seltenen Fällen Glaser oder Goldschmiede. Das im 15. Jahrhundert bereits massiv eingebrochene jüdische Kreditwesen hatte sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts durch das sukzessive Ausschalten überterritorialer Gerichte und eine strikte Normsetzung weiter reduziert und beschränkte sich spätestens nach 1648 größtenteils auf einen recht bescheidenen Umfang, speziell was die Höhe der vergebenen Summen und die Zinssätze betrifft. Diese Realität wurde gern von judenfeindlichen Exponenten mit Blick auf die wenigen „Hofjuden“ oder „Hoffaktoren“ verzerrt, die teilweise an den Residenzorten der südwestdeutschen Fürsten lebten und mit Sondervollmachten in deren Auftrag agierten – sei es zur Versorgung der Heere mit Ausrüstung, Pferden und Proviant oder zur Beschaffung von Luxusgütern wie Juwelen und Kleidung. Dies galt seit dem frühen 18. Jahrhundert in Württemberg genauso wie in Hohenzollern. Dort agierte in Hechingen Karoline Kaulla (1739-1809) mit großem unternehmerischem Geschick und ab 1770 zudem in württembergischen sowie später als Heereslieferantin in kaiserlichen Diensten. 1802 verlegte sie gemeinsam mit ihrem Bruder den beruflichen Mittelpunkt nach Stuttgart, wo sie zudem die erste Privatbank des Landes gründete.
Da im schwäbischen Raum die Textilproduktion seit Jahrhunderten eine wichtige Rolle spielte, nahm bereits während der gesamten Frühen Neuzeit der Handel mit Produkten aus diesem Sektor bei den Juden einen erheblichen Anteil am Erwerbsleben ein, ebenso mit Leder, Häuten und Fellen sowie landwirtschaftlichen Produkten wie Getreide und Wein. Die jüdische Bevölkerung stellte jedoch bei weitem sowohl wirtschaftlich als auch sozial keine homogene Gruppe dar. Jenseits einer sehr kleinen Elite und einer schwindenden Mittelschicht wuchs zwischen 1618 und 1815 im durch Kriegsfolgen und ökonomische Krisen stark belasteten südwestdeutschen Raum die Zahl derjenigen jüdischen Familien deutlich an, die am Existenzminium lebten. Der interne Konkurrenzdruck innerhalb der jüdischen Siedlungsorte, in denen die Juden teilweise ein Drittel oder fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmachten, verschärfte die prekäre Situation zusätzlich. Immer mehr konnten sich nur mit Hilfe einer Kombination verschiedener Wirtschaftszweige über Wasser halten, die man dann um 1800 im negativ besetzten Begriff des „Schacherhandels“ zusammenfasste: Kleinhandel meist mit Krämerware, Kleinkredite, Transporte, Beteiligung an Viehhandel und Vermittlung von Handelsgeschäften.
Ein zusätzlich hoher Abgabendruck, der die Juden meist deutlich stärker als ihre christlichen Mitbürger belastete, erschwerte gesicherte Existenzen und erforderte grundsätzlich eine hohe ökonomische Effektivität. Diese umfasste eine große persönliche Leistungsbereitschaft, persönliche Mobilität mit langen Abwesenheitsphasen vom Heimatort, ökonomische Flexibilität, präzise Kenntnisse von Märkten und Handelsmessen, Währungen und Produkten sowie der juristischen Rahmenbedingungen und nach Möglichkeit eine religionsinterne Solidarität.
Im regionalen oder lokalen Wirtschaftsleben versuchten jeweils diejenigen Interessensgruppen gegen jüdische Konkurrenz zu agieren, die sich tatsächlich dieser ausgesetzt sahen oder diese zumindest befürchteten. Nach 1806 wurde dieser rein ökonomisch motivierte Konkurrenzaspekt mehr als offenkundig und ist durch eine Vielzahl von entsprechenden schriftlichen Anträgen dokumentiert, mit denen mit teilweise überaus anachronistischen Argumenten gegen die zeitgemäßen Reformen zugunsten der jüdischen Bevölkerung angeschrieben wurde.
Nach der Gründung des neuen Königreichs Württemberg 1806 und des damit verbundenen Anwachsens der jüdischen Untertanenschaft, die trotzdem zukünftig nie einen größeren Anteil als etwa 0,7 Prozent der Gesamtbevölkerung betragen würde, veränderten sich aus Notwendigkeit der Vereinheitlichung allmählich auch die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Juden. Die diskriminierende Geleitsabgabe des „Leibzolls“ bei einer Grenzüberschreitung allein aufgrund des religiösen Status als Jude wurde in Württemberg 1804 bis 1808 aufgehoben. Eine auf königliche Initiative angestoßene landesweite Judenordnung scheiterte jedoch 1808 an Widerständen und Verwässerungen durch die alten juristischen und administrativen Eliten des früheren Herzogtums, vor allem am Oberappellationstribunal in Tübingen. Deshalb konnten wirtschaftsrechtliche Veränderungen nur in schrittweisen Sondererlassen vorgenommen werden. Zudem konnten die Städte und Gemeinden weiterhin autark entscheiden, ob sie jüdische Einwohner aufnehmen wollten. Bei den meisten blieb es beim restriktiven Status quo, nur vereinzelt gelang meist eher wohlhabenden Juden der Zuzug in die größeren Städte wie Stuttgart und Ulm. Daher zeigte sich die Landkarte jüdischer Siedlungsorte in Württemberg lange ebenso unverändert wie der demografische und ökonomische Druck innerhalb der noch überwiegend ländlichen Gemeinden selbst.