Mikwe – Das rituelle Tauchbad

Ein Interview von Eva Rincke, durchgeführt am 19. Januar 2023 in der Synagoge in Lörrach

Es gibt ja dieses rituelle Tauchbad, die Mikwe, und die zu bestimmten Anlässen von den Gläubigen besucht wird. Können Sie erklären, wann Gläubige die Mikwe besuchen und wie sie eingerichtet wird? Was bedeutet in diesem Zusammenhang der Begriff „lebendiges Wasser“?

Moshe Flomenmann: Das Thema Mikwe ist sehr kompliziert, denn es gibt sehr viele Regeln, die man beachten soll. Im Großen und Ganzen bedeutet es: ein Ritualbad. Das bedeutet, es wird sowohl von Männern als auch von Frauen benutzt. Man soll das Wasser jedoch komplett trennen. Die Mikwaot (der Plural von Mikwe ist Mikwaot), die von Männern benutzt werden, sollen nicht von Frauen benutzt werden, und umgekehrt. Bei uns in der Gemeinde hier gibt es auch eine Mikwe, das ist eine Frauen-Mikwe.

Wann Männer normalerweise zur Mikwe gehen sollen, darüber gibt es verschiedene Meinungen. Es gibt Chassidim, die Ultraorthodoxen, die gehen jeden Tag zur Mikwe, auch am Samstag, am Schabbat. Es gibt einige, die gehen vor Schabbat, einmal in der Woche. Die meisten gehen nur vor Feiertagen, und es gibt solche, die gehen nur vor den Feiertagen Rosch Haschana oder Jom Kippur. Also, es gibt da verschiedene Meinungen.

Wichtig ist die Mikwe vor allem für eine Frau. Jede Frau hat ihre Tage und nachdem die Tage vorbei sind, ist es wichtig, dass die Frau in diesem Ritualbad untertaucht und danach sie ist sozusagen rein und kann weiterhin mit ihrem Mann zusammen sein. Das ist der Ursprung für die Mikwe.

„Lebendiges Wasser“ bedeutet, dass das ein Wasser ist, was nicht steht, sondern lebendig ist, ein bewegendes Wasser. Dafür wird auch Grundwasser oder Regenwasser benutzt. Auch ein Bach oder eine Wiese oder ein Fluss ist in Ordnung. Das heißt, man kann auch in einem Fluss untertauchen. Das ist auch wie eine Mikwe.

Ich erinnere mich, dass es sehr viele Geschichten aus ehemaligen Sowjetunion gibt, als jüdisches Leben dort verboten war. Viele Männer und Frauen – natürlich getrennt – haben sich in eiskaltes Wasser tauchen lassen. Denn es gab damals keine Mikwe und sie wollten die Rituale und alle Gesetze richtig einhalten. Deswegen haben sie zum Teil auch ihr Leben riskiert, und sind im Winter in diesem ganz kalten Wasser untergetaucht.

Von daher: Die Mikwe ist etwas Besonderes. In unseren Religionsregeln steht geschrieben, dass man für jüdisches Leben ein Ritualbad und einen Friedhof haben soll, bevor man die Synagoge baut. Warum ist ein Ritualbad wichtiger als eine Synagoge? Weil für die Synagoge jeder beliebige Raum benutzt werden kann. Für die Mikwe kann man nicht jedes beliebige Bad oder jede beliebige Dusche nutzen, sondern es muss tatsächlich eine Mikwe sein. Ein Friedhof ist auch wichtig, weil dort, wo Menschen leben, Menschen sterben. Es ist wichtig, dass es in dieser Gemeinde, wo man lebt, einen jüdischen Friedhof gibt. Von daher sind diese zwei Sachen, Friedhof und Mikwe, sogar wichtiger und sollen bevorzugt werden, bevor man die Synagoge baut.

Früher, vor 300, 400 Jahren, gab es noch keine Heizung in der Mikwe und die Menschen haben Steine auf dem Feuer warm gemacht und ins Wasser geschmissen, damit das Wasser ein bisschen wärmer werden kann. Heute haben wir modernste Methoden dafür. Heizung, viele Mikwaot werden umgebaut wie ein Spa-Paradies, damit es auch attraktiv ist, besonders für Frauen, die Mikwe zu benutzen. Auf jeden Fall gehört das zur jüdischen Identität und ohne Mikwe kann kein jüdisches Leben geführt werden.

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Moshe Flomenmann ist seit 2012 Landesrabbiner der IRG Baden und seit 2021 Polizeirabbiner des Landes Baden-Württemberg mit Zuständigkeit für den badischen Landesteil.

Zitierhinweis: Moshe Flomenmann/Eva Rincke, Interview mit dem Landesrabbiner der IRG Baden, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 15.05.2023.

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