Wiedergründung der Konstanzer Gemeinde nach 1945

Ein Interview von Eva Rincke, durchgeführt am 8. November 2022 in Konstanz

 Betsaal in der Sigismundstraße 19 in Konstanz [Quelle:Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 951, Foto: Heinz Finke, Stadt Konstanz]
Betsaal in der Sigismundstraße 19 in Konstanz [Quelle:Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 951, Foto: Heinz Finke, Stadt Konstanz]

Ihr Vater, Shimon Sigmund Nissenbaum, hat hier in diesem Gebäude in der Sigismundstraße 19 in Konstanz eine kleine Synagoge eingerichtet, in der die Konstanzer Gemeinde bis zur Einweihung der neuen Synagoge 2019 die Gottesdienste abhielt. Ihr Vater hat das Haus auf dem Platz der alten Konstanzer Synagoge gebaut, die im November 1938 von der SS unter Mitwirkung der Feuerwehr zerstört wurde.

Benjamin Nissenbaum: Ich erinnere mich noch, wie das Grundstück in meiner Kindheit in den 50er-Jahren aussah: Da war eine Wiese, darauf lagen ein paar Steine. Auch der letzte Stein der ehemaligen Synagoge lag damals noch auf dieser Wiese. Der Stein wurde dann auf den jüdischen Friedhof überführt, an den Teil, wo auch die Tora-Rollen liegen. Da liegen sieben Tora-Rollen, die schon vor dem Holocaust verbrannt wurden. Die lagen dort begraben. Jetzt liegt dort auch der Stein der ehemaligen Synagoge. Das hieß dann bei der Einweihung der kleinen Synagoge: „Der Stein als Zeuge“.

In der linken Ecke hier auf dem Grundstück war während des Krieges ein Luftschutzbunker gebaut worden. Ich erinnere mich, dass die Eltern das Grundstück erstmal gekauft haben und dann bebauen wollten. Da steckten Holzpfähle in der Erde, die wollten die Eltern ziehen. Dann kam der Statiker. Ich erinnere ich mich noch, wie er sagte: „Nein, nein, nicht ziehen, das ist alles so ein Wackelpudding hier, das muss bleiben, darauf muss das Fundament gegründet werden.“ Also hat man das gelassen und das Fundament gegründet. Der Bunker musste entfernt werden und wurde von einem Kran mit einer großen Abrisskugel zerstört.

1964 war dann das Objekt fertig und als erstes bauten die Eltern die Synagoge ein. Das heißt: einen Betsaal im Erdgeschoss. Das war der Grundstock für dieses Objekt, deshalb musste es zuerst sein. Wir feierten dann in der Rohbau-Synagoge den ersten Pessach-Seder. Mit Überlebenden des Holocaust. Einer war dabei, der mir sehr im Gedächtnis geblieben ist. Er war stark traumatisiert. Josele hieß er. Wir hatten diese alten wackligen Stühle und Holztische, wie Biertische, aber schön gedeckt. Die Mutter hatte das für den Seder-Abend vorbereitet.

1963 wurde die erste Bar Mitzwa in der Synagoge gefeiert. Da war sie auch noch nicht ganz fertig. Die Bima, der Teil, wo der Vorbeter steht, war da, der Tora-Schrank war da und ein Tisch. Es gab auch ein paar Stühle. Das war die Bar Mitzwa von Peppi Rotberger. Erst danach wurde die Synagoge fertig eingerichtet. Als nächstes kamen dann meine Bar Mitzwa und die Bat Mitzwa von meiner Schwester, die ein Jahr jünger war: Mädchen haben Bat Mitzwa mit 12 Jahren und Jungs mit 13 Jahren Bar Mitzwa, das ist vergleichbar mit der Konfirmation. Das fand damals mit Rabbiner Dr. Lothar Rothschild, sine Anno, aus St. Gallen statt.

In dieser Zeit gründete sich die jüdische Gemeinde Konstanz und gehörte zu Freiburg als Gemeinde Freiburg-Konstanz. Die Hauptgemeinde war Freiburg, weil die Gemeinde dort größer war und schon länger eine Synagoge hatte. Mein Vater war Vorstand für Konstanz. Meine Mutter Sonja Sarah Nissenbaum, gründete den Frauenverein und sorgte mit diesem zu jedem Shabbat und an den Feiertagen für die Kiddushim. In Freiburg gab es zwei Vorstände das waren Dr. Bass und Hans-Heinz Altmann. Zu dritt haben sie die Gemeinde Freiburg-Konstanz geleitet. Im Oberrat gab es einen Vertreter von Freiburg und einen von Konstanz.

In der Zeit davor, in den 50er-Jahren, wohnten wir im ehemaligen Gemeindehaus in der Sigismundstraße 21, im zweiten Stock. Da haben die Eltern immer Freitagabend den Kiddusch vorbereitet. Man hat sich mit den überlebenden Juden getroffen, die hier in Konstanz waren, und war immer gastfreundlich. Auch ein Rabbiner war damals regelmäßig dabei, das war Rabbiner Ben David. Er war Militärrabbiner: ein kleiner fester Mann in Militärkleidung. Er hatte eine große Familie mit der wir zusammen den Schabbat feierten. Es wurden damals auch in verschiedenen Gebäuden in Konstanz Gottesdienste abgehalten.

Ich erinnere mich, dass wir, als ich sechs, sieben Jahre alt war, nach Kreuzlingen zum Gottesdienst gingen. Als wir schulpflichtig waren, hatten wir dann wöchentlich Religionsunterricht in Kreuzlingen. Wir waren zwei Jungs in meinem Alter, Alexander Narings und ich. Wir gingen hier in Konstanz in die Grundschule, aber Religionsunterricht hatten wir in der Schweiz. Der Religionslehrer kam aus St. Gallen. In Kreuzlingen gab es natürlich auch noch einige jüdische Kinder, ungefähr sechs oder sieben. Wir waren eine Gruppe und haben uns auch samstags dort getroffen: in einem Holzschuppen, der noch heute am Parkplatz neben dem Coop steht.

Das war die Verbindung mit den Schweizern. Als die Synagoge hier fertig war, haben wir uns auch mit den Schweizern geeinigt: Man braucht ja immer ein Minjan, zehn Männer mindestens, zum Gottesdienst, dass man eine Tora ausheben kann. Da haben wir uns geeinigt. Wir sind oft in die Schweiz gekommen und die Schweizer sind auch zu uns zur Synagoge hier in Konstanz gekommen.

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Benjamin Nissenbaum ist Vorstandsvorsitzender der Synagogengemeinde Konstanz.

Zitierhinweis: Benjamin Nissenbaum/Eva Rincke, Interview mit Benjamin Nissenbaum, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.02.2023.

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