Rosch Haschana in Mannheim

Ein Interview von Eva Rincke, durchgeführt am 29. September 2022

Sie haben gerade das jüdische Neujahrsfest Rosch Haschana hinter sich. Wie feiern Sie gemeinsam in der Gemeinde?

Rita Althausen: Rosch Haschana wird immer sehr schön in der Gemeinde ausgerichtet. Alle Feiertage beginnen ja am Abend und werden durch Gebete eingeleitet. Der Kantor trägt sie sehr feierlich vor und begleitet sie musikalisch. Die Gemeinde singt dann auch oft mit, es ist ein sehr aktiver Gottesdienst, aber auch ein sehr besinnlicher.

Wir stehen am Anfang eines neuen Jahres, es geht um Teschuwa, das heißt Rückbesinnung, Rückkehr. Dass der Glaube wieder gestärkt wird. Am ersten Abend wird also gebetet und der erste Vorsitzende zieht Bilanz über das Geschehene im vergangenen Jahr. Er wünscht der Gemeinde alles Gute und bedankt sich bei allen, die sich am Gemeindeleben aktiv beteiligt haben. Darunter sind viele Ehrenamtliche, denn die braucht man, damit ein Gemeindeleben funktioniert.

Nach dem Gebet geht man in den großen Gemeindesaal und da gibt es ein feierliches Essen. Der Tisch ist festlich gedeckt. Das Menü besteht aus mehreren Gängen. Das genießt man, sitzt gemütlich zusammen, spricht miteinander. Das wird von sehr vielen Gemeindemitgliedern und auch von Freunden der Gemeinde angenommen.

Wir sind eine offene Gemeinde, die sehr guten Kontakt zur Mannheimer Bevölkerung hat. Wir haben sehr viele Freunde, die ihre Solidarität bekunden. Diese Menschen nehmen auch häufig am Gottesdienst teil und sind zu den Festlichkeiten eingeladen.

Das Neujahrsfest geht dann noch zwei Tage lang. Am nächsten Tag dauert der Gottesdienst etwa vier Stunden, wie auch am übernächsten Tag. Da wird Schofar geblasen. Da ist eine Stille in der Gemeinde, wenn das Schofar fünf Mal mit jeweils hundert Tönen erklingt, das ist wirklich sehr beeindruckend. Es ist wie ein Weckruf – ein neues Beleben, Rückkehr, Rückbesinnung auf die Werte, auf den Glauben, all das wird dadurch gestärkt. Die Gemeinde ist ganz ergriffen und das ist unheimlich beeindruckend.

Das klingt wirklich schön wie ein spirituelles, gemeinsames Erlebnis.

Rita Althausen: Ja, das ist es. Viele Töne werden auch langgezogen, die sind richtig laut. Dieses Jahr hat nicht der Kantor das Schofar geblasen, sondern ein Gemeindemitglied. Es ist sehr schön, dass auch Gemeindemitglieder den Gottesdienst mitgestalten können, obwohl sie keine explizit ausgebildeten Theologen sind. Aber das ist im Judentum auch gar nicht so wichtig. Denn jeder, der die Kenntnisse besitzt, kann den Gottesdienst mitgestalten. Das stärkt die Gemeinde und da fühlt man sich dann auch mehr miteinander verbunden.

Wir sind auch sehr dankbar, dass unsere Mitglieder immer wieder einspringen oder Hilfestellung leisten. Gerade bei den großen Gottesdiensten bei den hohen Feiertagen wie Rosch Haschana und Yom Kippur. Yom Kippur dauert ja von morgens bis abends. Wenn der Kantor alleine die Gebete ausführen müsste, wäre das viel zu anstrengend. Das kostet unheimlich viel Kraft. Da haben wir Verstärkung durch einzelne Mitglieder. Das ist für sie auch eine ganz große Ehre. Koved heißt das, die Ehre. Das ist mehr als nur eine Ehre, das ist auch eine Berufung. Der Ehrbegriff ist auch im Judentum sehr ausgeprägt. Es ist ein hoher Wert, weil er auch die Gemeinschaft stärkt und weil er ein Teil der jüdischen Identität ist.

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Rita Althausen war zwischen 2019 und 2022 1. Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Mannheim. Sie ist seit vielen Jahren Delegierte im Oberrat der IRG Baden und aktuell Beisitzerin im Vorstand der IRG Baden.

Zitierhinweis: Rita Althausen/Eva Rincke, Interview mit Rita Althausen, in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.02.2023.

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