Weingarten (Baden)

Die Synagoge am Marktplatz in Weingarten (Baden) um 1930. Die Inneneinrichtung der Synagoge wurde während der Pogrome im November 1938 zerstört, das Gebäude anschließend abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1866]
Die Synagoge am Marktplatz in Weingarten (Baden) um 1930. Die Inneneinrichtung der Synagoge wurde während der Pogrome im November 1938 zerstört, das Gebäude anschließend abgebrochen. [Quelle: Landesarchiv BW, HStAS EA 99/001 Bü 305 Nr. 1866]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Weingarten, im 16. und 17. Jahrhundert an Baden verpfändet, war bis 1803 kurpfälzisch und fiel dann an Baden.

Markgraf Philipp I. (1479-1533) nahm im Jahre 1525 den Juden Viselmann auf sechs Jahre in den Schutz nach Weingarten auf. 1537 waren bereits mehrere Juden in Weingarten sesshaft, denen Markgraf Ernst (1533-52) Geleitbriefe für das badische Unterland erteilte. Bei der Erneuerung der Geleitbriefe im Jahre 1551 erhielten Jakob und Samuel zu Weingarten über die bewilligten Befugnisse hinaus das Recht, den Untertanen unter gewissen Beschränkungen Geld auf Zins zu leihen. 1661 erteilte Markgraf Friedrich VI. (1659-77) wiederum zwei Juden aus Weingarten Jahresgeleit für die baden-durlachischen Gebiete, das mehrmals verlängert wurde.

1699 boten zwei Schutzjuden zu Weingarten für ein Jahresgeleit durch baden-durlachisches Gebiet je 15 Gulden an. Aus dem Jahre 1722 kennen wir die Namen von fünf jüdischen Haushaltsvorständen: Raphael, Josel, Jakob, Kalmann und Kaufmann. Bis 1743 hatte sich die Zahl der jüdischen Familien auf 8 erhöht. 1825 waren 120 Israeliten in Weingarten ansässig, 1875 162, 1900 150, 1925 76 und im Januar 1933 66.

Seit 1827 gehörte die jüdische Gemeinde zum Rabbinat Karlsruhe und seit 1885 zu Bruchsal. Um 1830 wurde eine eigene Synagoge an der Kirchstraße erbaut. Die Toten bestattete man bis 1632 in Worms, dann in Obergrombach. Seit dem 19. Jahrhundert hatte Weingarten einen eigenen jüdischen Friedhof im Gewann Effenstiel. Auf ihm befindet sich ein Gedenkstein mit den Namen der Gefallenen des Ersten Weltkrieges. In der Wohlfahrtspflege betätigte sich der Israelitische Frauenverein.

Unter den Weingartener Juden waren Kaufleute, Viehhändler und Metzger am häufigsten vertreten. Um 1933 gab es 4 Viehhändler, 3 Metzger und Viehhändler und 2 Metzger. Adolf Bär und Max Fuchs betrieben Großschlächtereien und Viehhandel. Leo und Max Stengel waren Inhaber einer Häute- und Fellgroßhandlung. Wilhelm Fuchs besaß ein Textilwarengeschäft. Jakob und Julius Löwenstein führten eine Eisenwarenhandlung. Etliche Juden waren Kaufleute im Angestelltenverhältnis.

In den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft konnten die Weingartener Juden ungestört ihrem Beruf nachgehen. Die jüdischen Viehhandlungen und Großschlächtereien in Weingarten waren sehr wichtig für die Versorgung der Stadt Karlsruhe mit Fleisch. 1936 glaubte man sich in der Lage, auf sie verzichten zu können. Im Juli wurde der Fleischgroßhändler Max Fuchs wegen Überschreitung der Höchstpreise in „Schutzhaft" genommen. Die Untersuchung ergab, dass er den Karlsruher Metzgern bisweilen gleichzeitig Fleisch der festgesetzten Qualitätsgruppen a, b und c lieferte und den Preis durchschnittlich nach der Gruppe b berechnete, womit seine Kunden einverstanden waren. Fuchs wurde zu einer Ordnungsstrafe von 1.000 Reichsmark verurteilt, die aber auf 300 Mark herabgesetzt wurde. Die Handelserlaubnis wurde ihm nicht entzogen, da er im Ersten Weltkrieg Frontkämpfer gewesen und Inhaber des Frontehrenkreuzes war. Aber 1937/38 mussten auch die Weingartener Juden ihre Geschäfte aufgeben. In der Kristallnacht im November 1938 wurde das Eisenwaren- und Landmaschinengeschäft Löwenstein ausgeräumt und die Synagoge demoliert. Zwei Volksschullehrer zogen mit ihren Klassen in das Gotteshaus, zerstörten die Einrichtung, zerschlugen die Gedenktafel der Weltkriegsopfer, zogen die Roben und Kopfbedeckungen an, zerrissen die heiligen Schriften und warfen sie in den vorbeifließenden Bach. Wenige Tage später wurde die Synagoge auf Befehl der Partei abgerissen. Der Friedhof mit seinen 35 Grabsteinen blieb verschont.

Bis 1940 war fast die Hälfte - 32 Personen - der jüdischen Einwohner nach Frankreich, den USA, Argentinien, Brasilien und England ausgewandert. Einige waren nach Karlsruhe umgezogen, 3 in Weingarten verstorben. Die letzten 24 Israeliten wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. 13 von ihnen wurden später in Auschwitz ermordet, 7 starben schon in den Lagern in Südfrankreich, 2 konnten sich in die Freiheit retten, 2 sind verschollen. Von der Familie Gustav Hagenau, die nach Frankreich ausgewandert war, sind die Eltern und der Sohn Heinz während des Krieges verhaftet und im Osten umgebracht worden. Die Tochter Margot überlebte in Frankreich. Zerline Stengel wurde von der Gestapo in Amsterdam verhaftet und in Auschwitz umgebracht. Rachmiel und Elsa Grün, sowie Beatrice Lene Stengel, die vor 1940 aus Weingarten fortgezogen waren, wurden ungefähr 1942 nach dem Osten deportiert und ermordet. Niemand kennt Ort und Zeit ihres Todes.

An der Stelle der Synagoge steht heute ein Wohnhaus.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Weingarten, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Büsing, Hayo, Die Geschichte der Juden in Weingarten (Baden) von den Anfängen im Mittelalter bis zum Holocaust, 1991.
  • Diefenbacher, Karl, Ortssippenbuch Weingarten, 1980.
  • Kelch, Wilhelm, Die Weingartener israelitische Gemeinde und ihre Synagoge.
  • Stude, Jürgen, Geschichte der Juden im Landkreis Karlsruhe, Karlsruhe 1990.
Suche