Lichtenau

Pläne der Synagoge in einer Schrift von Heinrich Medicus anlässlich ihrer Einweihung, 1810. [Quelle: Die Einweihung eines neuen Judentempels zu Lichtenau in der Grafschaft Hanau […], Badische Landesbibliothek, Handschr. Prov. Karlsruhe Cod. Karlsruhe 3293 II 110]
Pläne der Synagoge in einer Schrift von Heinrich Medicus anlässlich ihrer Einweihung, 1810. [Quelle: Die Einweihung eines neuen Judentempels zu Lichtenau in der Grafschaft Hanau […], Badische Landesbibliothek, Handschr. Prov. Karlsruhe Cod. Karlsruhe 3293 II 110]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Die Stadt Lichtenau befand sich seit 1488 in teilweisem, seit 1570 in alleinigem Besitz der Grafen von Hanau-Lichtenberg. Als diese 1536 ausstarben, fiel die Stadt an Hessen-Darmstadt und 1803 an Baden.

1632 und 1664 wird ein Jude in Lichtenau erwähnt. Im 18. Jahrhundert wanderten aus der Markgrafschaft Baden-Baden mehrfach Juden ein. 1701 gab es 1, 1736 3, 1778 9 und 1790 12 jüdische Haushaltungen. 1825 zählte die jüdische Gemeinde 113 Mitglieder, 1867 214, 1875 228 (17,6 Prozent von 1.297 Einwohnern), 1887 214, 1900 164, 1925 109, 1933 84 und 1938 48.

Seit 1827 gehörte die israelitische Gemeinde Lichtenau zum Rabbinatsbezirk Bühl. Bereits im 18. Jahrhundert besaß sie ein Bethaus, das 1862-68 durch den Bau einer richtigen Synagoge abgelöst wurde. Ein rituelles Frauenbad war ebenfalls vorhanden. Dagegen besaß die Gemeinde keinen eigenen Friedhof. Die Lichtenauer Juden wurden auf dem Verbandsfriedhof Kuppenheim, seit dem 19. Jahrhundert auf dem jüdischen Friedhof in Freistett beerdigt. Die Wohlfahrtspflege nahmen ein Männer- und ein Frauenverein wahr. Der dritte Rabbiner in Schmieheim, Kaufmann Roos, stammte aus Lichtenau.

Schon im 17. und 18. Jahrhundert durften die Juden in Lichtenau offene Kramläden haben. Sie hielten Tuche, Leder, Kleider, Wäsche, Schuhe und Eisenwaren feil. Einige lebten vom Vieh- oder Pferdehandel. 1933 gab es noch acht jüdische Viehhändler, ferner ein Manufakturwarengeschäft, ein Porzellan-, Glas- und Stoffwarengeschäft, eine Mehl-, Getreide-, Lebens- und Futtermittelhandlung, eine Eisen- und Maschinenhandlung und das Kaufhaus Lipman Roos. Hugo Roos hatte eine Korbwarenfabrik eingerichtet; zwei Juden übten als Schneider und Schuhmacher ein Handwerk aus. Jüdische Metzger gab es keine. Die Juden konnten koscheres Fleisch bei den ortsansässigen Metzgern kaufen. Das Verhältnis der jüdischen zu den christlichen Bürgern wird als gut bezeichnet. Vor 1933 war Alfred Roos im Gemeinderat vertreten. Einige Juden waren aktive Mitglieder im örtlichen Gesang-, Turn- oder Fußballverein.

Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten brachte in Lichtenau rasch einen grundlegenden Wandel für das Leben der Juden. Die jüdischen Geschäfte wurden boykottiert, die jüdischen Kinder in der Schule benachteiligt. Andererseits besannen sich die Juden in diesen Jahren wieder in stärkerem Maße auf ihr eigenes Erbe. Es fanden kulturelle Veranstaltungen statt; Lehrer Federgrün hielt Vorträge über jüdische Geschichte. Am 10. November 1938 wurden die meisten jüdischen Männer verhaftet und von Kehl aus nach Dachau transportiert. Ernst Roos wurde am 1. Dezember 1938 auf dem SS-Schießplatz Prittelbach bei Dachau erschossen. Der Grund dieser Exekution ist nicht bekannt. Auch Michael Roos starb in Prittelbach. Die übrigen Lichtenauer Juden kehrten nach einigen Wochen wieder aus dem KZ Dachau nach Hause zurück. Die Synagoge hatte bei der Aktion am 10. November 1938 keinen Schaden erlitten. Sie wurde später abgetragen und der Platz eingeebnet.

Rund die Hälfte der Juden wanderte zwischen 1933 und 1940 hauptsächlich nach Frankreich, nach den USA und nach Palästina aus. In Lichtenau starben noch 10 eines natürlichen Todes, während der Kaufmann Emil Lehmann 1937 Selbstmord verübte. Am 22. Oktober 1940 wurden aus Lichtenau 24 jüdische Einwohner nach Gurs deportiert, von denen nachweislich 7 überlebten und mindestens 16 umkamen, sei es schon in einem Konzentrationslager in Frankreich, sei es in einem Vernichtungslager in Polen. Von denen, die umgezogen oder in ein westeuropäisches Land ausgewandert waren, wurden 6 später im Osten ermordet.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Lichtenau, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Lauppe, Ludwig, Burg, Stadt und Gericht Lichtenau. Eine heimatgeschichtliche Rückschau, Hemsbach 1984, S. 160-164.
  • Uibel, Ludwig, Die israelitische Gemeinde in Lichtenau im 19. Jahrhundert, in: Die Ortenau 82 (2002), S. 487.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 365-367.
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