Berwangen

Die ehemalige jüdische Schule in Berwangen, 2008. Die angrenzende Synagoge wurde während der Pogrome im November 1938 schwer beschädigt und anschließend abgebrochen. [Aufnahme: Eva Maria Kraiss]
Die ehemalige jüdische Schule in Berwangen, 2008. Die angrenzende Synagoge wurde während der Pogrome im November 1938 schwer beschädigt und anschließend abgebrochen. [Aufnahme: Eva Maria Kraiss]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Das zum Ritterkanton Kraichgau gehörende Dorf Berwangen befand sich bis zum Anfall an Baden 1806 im Besitz der Familien von Helmstatt und von Berlichingen. Es ist unbekannt, wann diese die ersten Juden aufnahmen. 1825 wohnten 120 (15,1 Prozent von 798 Einwohnern) 1875 138, 1900 ebenfalls 138, 1925 58 Juden in Berwangen. Die jüdische Gemeinde gehörte zunächst zum Rabbinatsbezirk Sinsheim, seit 1827 zu Bretten. Anstelle einer älteren zu klein gewordenen Synagoge wurde 1845 in der Badergasse ein Neubau errichtet, dazu ein Schulhaus und ein rituelles Bad. Um die gleiche Zeit wurde am Ortsende am Vierfelderweg ein Grundstück für die Anlage eines Friedhofs erworben. Ein Begräbnisverein sorgte für die Instandhaltung. Vorher fanden die Berwanger Juden auf den Verbandsfriedhöfen in Waibstadt und Eppingen ihre letzte Ruhestätte.

Nach dem Ersten Weltkrieg, in dem 7 Angehörige der Gemeinde gefallen waren, setzte eine starke Abwanderung der Juden in die Städte der Umgebung ein, weil Berwangen keinen Bahnanschluss hatte. 1933 wohnten noch 33 Juden dort. Sie waren zum großen Teil Viehhändler, die ein gutes Verhältnis zur Landbevölkerung der Umgebung besaßen. Sie betätigten sich auch in den örtlichen Krieger- und Gesangvereinen, hatten einen Verein zur Unterstützung der Armen und Kranken, sowie einen Frauenverein zur Unterstützung hilfsbedürftiger Frauen und Mädchen begründet. In Berwangen gab es eine koschere Metzgerei. Eine Zeitlang bestand auch eine Mazzoth-Bäckerei, die für einen weiteren Umkreis das ungesäuerte Brot lieferte. Ein Kolonialwarengeschäft wurde von Frau Falk betrieben. Da den Viehhändlern bereits 1936 die Handelserlaubnis entzogen wurde, sahen sich die Berwanger Juden verhältnismäßig früh zur Auswanderung gezwungen. 18 von den 21 Auswanderern fanden in den USA Zuflucht, zum Teil bei Verwandten und Bekannten, die in den 20er-Jahren ausgewandert waren.

In der Kristallnacht im November 1938 wurde die Synagoge trotz Einspruch des Bürgermeisters von auswärtigen SA-Leuten zerstört. Auf dem Gelände befindet sich heute ein Gemüsegarten. Auch das Mobiliar ausgewanderter Juden, das zum Teil in der Schule abgestellt war, wurde zerschlagen oder auf dem Sportplatz verbrannt. Die erreichbaren Juden wurden mit Gummiknüppeln geschlagen.

Am 22. Oktober 1940 wurden die letzten 9 Juden aus Berwangen nach Gurs deportiert. Nur einem gelang die Befreiung aus dem Lager. Aron Kirchheimer starb am 21. November 1940 in Gurs. Helene Klaus, Gerda und Sophie Frank, Flora und Zerline Kirchheimer wurden 1942 nach Auschwitz weitertransportiert und sind wahrscheinlich dort umgekommen. Die Eheleute Abraham und Elsa Gutmann haben in französischen Lagern und Hospitälern den Krieg überstanden und kehrten im August 1946 in ihre Heimat zurück. Abraham Gutmann starb 1948 in Berwangen. Seine Frau ist die einzige Jüdin, die heute noch dort lebt; sie hat die Pflege der etwa 100 Gräber auf dem jüdischen Friedhof übernommen.

 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Aus der Vergangenheit der jüdischen Gemeinde Berwangen, in: Mitt.-Blatt des Oberrats 13, 1961, Nr. 7.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Berwangen, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

 

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Angerbauer, Wolfram/Frank, Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, Heilbronn 1986, S. 46-50.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Wanner, Peter, Erinnerungen an die jüdische Gemeinde von Berwangen, in: Berwangen Bockschaft Kirchardt. Ein 2. Heimatbuch, 1993, S. 88-98.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 272-273.
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