Schwetzingen

Bis 1933 nutzte die jüdische Gemeinde verschiedene Räume im Schloss als Betsaal. Die letzte dieser Einrichtungen befand sich etwa in der Mitte des nördlichen Zirkelbaus. [Quelle: Luftbild, LGL Baden-Württemberg]
Bis 1933 nutzte die jüdische Gemeinde verschiedene Räume im Schloss als Betsaal. Die letzte dieser Einrichtungen befand sich etwa in der Mitte des nördlichen Zirkelbaus. [Quelle: Luftbild, LGL Baden-Württemberg]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Franz Hundsnurscher und Gerhard Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 19), Stuttgart 1968.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1968. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Das kurpfälzische Dorf Schwetzingen erlebte durch den Ausbau zur Sommerresidenz und die Garnison im 18. Jahrhundert einen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Verlegung der Residenz von Mannheim nach München durch Kurfürst Karl Theodor (1742-1799) im Jahre 1778 nahm jedoch der künstlichen Schöpfung schlagartig allen Wohlstand. Nach dem Anfall an Baden im Jahre 1803 erlebte Schwetzingen als Amtsstadt, durch die Nahrungs- und Genussmittelindustrie sowie durch die Nähe Mannheims einen neuen Aufstieg. 1833 wurde es zur Stadt erhoben.

Im 18. Jahrhundert ist in Schwetzingen eine kleine jüdische Gemeinde entstanden. Ihre Angehörigen standen wohl alle im Dienste des Hofes oder der Garnison. 1722 waren es erst drei jüdische Haushaltungen; 1743 wohnten vier Juden mit ihren Familien in Schwetzingen. 1759 besaßen der Schutzjude Loeb Samuel und seine Ehefrau Bella ein Haus sowie Acker und Wiesen. Das scheint ein Ausnahmefall gewesen zu sein; denn Grundbesitz war den Juden sonst nicht gestattet.

Der einflussreichste Schwetzinger Jude, eine Art Hoffaktor, war Lazarus Raphael, später mit Familiennamen Traumann genannt. 1795 verpflegte er als Hauptverpflegungslieferant des Handelshauses Kaulla die Mannheimer Garnison auf Vorschuss, so dass er 1797 von der Heeresverwaltung 140.000 Gulden zu fordern hatte. 1799 gelang es ihm, den einrückenden Feinden große Getreidevorräte zu entreißen. Als 1808 eine Belagerung zu befürchten war, konnte er innerhalb von zehn Tagen 8.000 Malter Korn herbeischaffen. Für seine Verdienste erhielt er am 9. November 1808 das Bürgerrecht. Dabei wurde bemerkt, dass er von den jüdischen „Religionsmissbräuchen gänzlich gereinigt zu sein" scheint. Trotzdem wurde ihm der Grunderwerb in Schwetzingen verboten.

Während des 19. Jahrhunderts ist ein stetes Anwachsen der jüdischen Gemeinde festzustellen; erst kurz vor dem Ersten Weltkrieg setzte eine rückläufige Bewegung ein. 1825 zählte die Stadt 50 Juden, 1875 103, 1900 107, 1925 73 und 1933 79. Als die Juden von Schwetzingen und dem benachbarten Ketsch die zum öffentlichen Gottesdienst erforderliche Zehnzahl erreicht hatten, räumte ihnen der reiche David Raphael ein Zimmer zur Abhaltung der Andachten ein. Als das Haus verkauft wurde, erhielt die Judenschaft die Genehmigung zu einem Synagogenbau, der dann aber nicht ausgeführt wurde. Man feierte den Gottesdienst weiter in gemieteten Häusern, von 1864 an in einem eigenen Haus in der Synagogenstraße.

Da die Gemeinde weiter anwuchs, für einen Neubau aber die Mittel fehlten, wurde ihr ein Saal im rechten Zirkelhaus des Schlosses überlassen, der 1901 mit dem ehemaligen Militär-Vereins-Saal im gleichen Gebäude getauscht werden musste. Der bisherige Saal war nur durch den Schlossgarten erreichbar, und deshalb bestand Gefahr, dass sich bei den Abendgottesdiensten Gesindel in den Garten mit einschlich. Die Miete für diesen Saal betrug 200 Mark jährlich. Die Inneneinrichtung der Synagoge im Zirkelbau war vom Israelitischen Männer- und Frauenverein bezahlt worden. Zum Bau einer eigenen Synagoge kam es trotz Errichtung eines Synagogenbaufonds nicht. Außer der Synagoge im Schloss bestand der ehemalige Betsaal weiter fort. 1894 wurde neben dem christlichen Friedhof ein eigener jüdischer Friedhof angelegt. Die Synagogengemeinde Schwetzingen gehörte seit 1827 zum Rabbinatsbezirk Heidelberg.

Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Juden waren gut. Um 1933 gab es an jüdischen Unternehmen ein Möbelgeschäft, ein Manufakturwarengeschäft, zwei Rohproduktenhandlungen, eine Lebens- und Futtermittelhandlung, eine Darm- und Gewürzhandlung, eine Eisenhandlung, eine Viehhandlung sowie die Zigarrenfabrik Hess & Monatt. Betty Hanf war staatlich geprüfte Musiklehrerin, Dr. Adolf Katzenstein, der Vorsitzende der Ortsgruppe des Centralvereins, Rechtsanwalt.

Am politischen Leben haben sich die Schwetzinger Juden während der Weimarer Republik wenig beteiligt. Schon vor 1933 kam es wiederholt zu Schändungen des jüdischen Friedhofes durch Nationalsozialisten. Die Synagogenstraße wurde 1934 in Invalidenstraße umbenannt. Nach der Machtergreifung im Januar 1933 erhielt Schwetzingen den „schönsten Stürmerkasten im ganzen Reich", in dem die Juden und „Judenknechte" angeprangert wurden. Der Herausgeber des „Stürmers", Julius Streicher, erhielt aus Schwetzingen jedes Frühjahr frische Schwetzinger Spargel und Flieder, den der örtliche Vertreter des „Stürmer" nach Nürnberg brachte. Streicher hielt 1936 in Schwetzingen eine Rede, zu der Tausende von Mitgliedern der Arbeitsfront in Sonderzügen herbeigebracht wurden. Streicher propagierte den Kampf gegen das Judentum bis zum Ende als Frage von Sein oder Nichtsein. Für die Juden der Stadt, zumal für die Ostjuden unter ihnen, gab es nun kein längeres Bleiben mehr. Fast die Hälfte (37) wanderte 1936 bis 1938 aus; viele zogen bis zur Auswanderung vorläufig in eine größere Stadt, wo sie unbehelligter leben konnten. Den wenigen Familien, die noch zögerten, wurden in der Kristallnacht die Wohnungen vollständig demoliert. Der Betsaal erfuhr das gleiche Schicksal. Nur die Synagoge blieb als Teil des Schlosses unversehrt. Der Betreuer des Stürmerkastens und Rädelsführer bei dieser Judenaktion war bezeichnenderweise ein Hirnverletzter des Ersten Weltkriegs, der 1930 für geschäftsunfähig erklärt worden war und bis 1935 unter Pflegschaft stand.

Am 22. Oktober 1940 waren nur noch Frieda Bermann mit ihren Töchtern Therese, Else und Ruth sowie Flora Vogel in Schwetzingen. Sie wurden nach Gurs deportiert. Frau Bermann und wahrscheinlich auch Frau Vogel wurden 1942 in Auschwitz ermordet. Eine Tochter der Frau Bermann gelangte nach Palästina. Von den 34 Schwetzinger Juden, die nach 1933 in eine andere Stadt umgezogen waren, haben 10 ihr Leben mit Sicherheit in der Verfolgung verloren. Die anderen konnten auswandern (4) oder starben an ihren neuen Wohnsitzen (3). Das Schicksal der Übrigen ist ungeklärt.

 

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Aus der Geschichte der badischen Juden, in: Mitt.-Blatt des Oberrats 9, Nr. 12, 1957.

 

Zitierhinweis: Hundsnurscher, Franz/Taddey, Gerhard: Die jüdischen Gemeinden in Baden, Stuttgart 1968, Beitrag zu Schwetzingen, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.12.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

  • Betz, Frank-Uwe, Verfolgte - Widerständige - Ausgebeutete. Über die Nazizeit in der Region Schwetzingen – Hockenheim, hg. von Arbeitskreis Freundliches Schwetzingen. Verein für regionale Zeitgeschichte, 2015.
  • Eichstetter, Simon, Geschichte und Familienbuch der jüdischen Gemeinde von Schwetzingen. Transkription und Einführung von Frank-Uwe Betz. hg. von Arbeitskreis Freundliches Schwetzingen. Verein für regionale Zeitgeschichte und Frank-Uwe Betz, Heidelberg/Ubstadt-Weiher/Neustadt a.d.W. 2017.
  • Eichstetter, Simon, Geschichte und Familienbuch der jüdischen Gemeinde in Schwetzingen (18. Jh. - 1927).
  • Eichstetter, Simon, Heimatskunde für den Amtsbezirk Schwetzingen, hg. von Frank-Uwe Betz/AFS e.V., Schwetzingen 2021.
  • Glöckler, Kurt, Sie hat ihr Leben, aber niemals ihre Würde verloren, in: Schwetzinger Zeitung vom 27. Oktober 2016.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.
  • Lohrbächer, Albrecht/Rittmann, Michael, Sie gehörten zu uns – Geschichte und Schicksal der Schwetzinger Juden, (Schriften des Stadtarchivs Schwetzingen 7), 1978.
  • Württemberg - Hohenzollern – Baden (Pinkas Hakehillot. Encyclopedia of Jewish Communities from their foundation till after the Holocaust), hg. von Joseph Walk, Yad Vashem/Jerusalem 1986, S. 499-502.
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