Heilbronn-Sontheim mit Horkheim

In Sontheim befand sich das Israelitische Landesasyl Wilhelmsruhe für ältere Menschen, das während der Pogrome im November 1938 schwer beschädigt und 1940 zwangsgeräumt wurde. Das zuletzt als Wohnhaus genutzte Gebäude fiel in den 1980er Jahren dem Abriss zum Opfer. [Quelle: Stadtarchiv Heilbronn]
In Sontheim befand sich das Israelitische Landesasyl Wilhelmsruhe für ältere Menschen, das während der Pogrome im November 1938 schwer beschädigt und 1940 zwangsgeräumt wurde. Das zuletzt als Wohnhaus genutzte Gebäude fiel in den 1980er Jahren dem Abriss zum Opfer. [Quelle: Stadtarchiv Heilbronn]

Dieser Beitrag stammt aus der Studie von Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern. Denkmale, Geschichte, Schicksale, hg. von der Archivdirektion Stuttgart (Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg 18), Stuttgart 1966.

Die Studie wird hier in der Originalfassung als Volltext zugänglich gemacht und separat bebildert. Inhalte und Sprachgebrauch entsprechen dem Stand von 1966. Weitere Informationen zur Entstehung und Einordnung der Studie finden Sie hier.

Das Dorf Sontheim befand sich bereits 1434 im Besitz des Deutschordens (Kom­mende Heilbronn). Es fiel 1805 an Württemberg und wurde 1938 nach Heilbronn eingemeindet.

Nach einer Nachricht, die das Memorbuch von Charleville überliefert, sind während der von dem fränkischen Ritter Rindfleisch ausgelösten Verfolgungen im Jahre 1298 auch hier Juden erschlagen worden. Im nahen Heilbronn fanden damals 143, in Kleingartach 133 Juden den Tod. Während der Pogrome von 1348/49 soll der Sontheimer Pfarrer die jüdischen Einwohner in Schutz genommen haben. Als Dankesgabe dafür überreichte die israelitische Gemeinde dem katholischen Ortsgeistlichen bis herein ins 20. Jahrhundert alljährlich an Neujahr 3 Gulden bzw. einen entsprechenden Geldbetrag. Wahrscheinlich handelte es sich aber hierbei um eine alte, in legendärer Form überlieferte Abgabe, die die Kirchen beider christ­licher Konfessionen im 17. und 18. Jahrhundert mancherorts von den Juden für entgangene Stolgebühren erhoben. Aus den Quellen ergeben sich keine Anhalts­ punkte für Verfolgungen in Sontheim in den Jahren 1348/49.

Als die Reichsstadt Heilbronn in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts ihre Juden vertrieb, nahm der Deutschorden auch einige von ihnen in seinem Dorf Sontheim auf. Von hier aus und von anderen der Reichsstadt benachbarten Orten bemühten sie sich viele Jahre vergeblich um die Rückkehr nach Heilbronn. Möglicherweise haben vom 15. bis zum 18. Jahrhundert ununterbrochen Juden in Sontheim ge­wohnt. Jüdische Namen sind jedoch erst aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts bekannt. Das heute nicht mehr auffindbare Sontheimer Memorbuch, das 1732/33 von dem aus Redwitz bei Bamberg stammenden Vorbeter Meier ben Salman geschrieben wurde, erwähnt als Erbauer der Sontheimer Synagoge den 1702 verstor­benen Wolf, den Sohn des Simchah Josef, außerdem den als Wohltäter weithin bekannten Isaak (Israel) ben Abraham (gest. 1700), und den in Sontheim 1721 verstorbenen Rabbiner Jehuda bar Isaac aus Lehren (=Lehrensteinsfeld). In den Jahresabrechnungen der Deutschordenskommende Heilbronn von 1710/11 werden die Namen der 7 Schutzjuden genannt, die damals in Sontheim ansässig waren und ein jährliches Schutzgeld von je 15 Gulden bezahlten: Itzig Jud, Marx Jud, Moyses gen. Veitle (auch Veistle), Hertz David, Abraham Isac, Simon Jud und Abraham Emanuel. 1718 betrug das Schutzgeld 20 Gulden, 1792 16 Gulden1750 befanden sich 11 jü­dische Familien hier, ebenso 1792. 1807 waren es 12 Familien mit zusammen 70 Köpfen. 1824 lebten 87 Juden in Sontheim, 1831 99, 1843 95, 1855 80, 1870 46, 1890 25, 1900 46, 1910 72, 1925 59, 1933 65. Die Juden trieben im 18. Jahr­hundert Vieh- und Pferdehandel, gegen Ende des Jahrhunderts jedoch mehr Frucht­ und Wollhandel. Ihre Handelstätigkeit wurde durch Verbote des Heilbronner Rats sehr erschwert. Mehrmals baten Sontheimer Juden um Herabsetzung des Leihzolls, den die Reichsstadt beim Betreten ihres Gebiets von ihnen erhob (1763 12 Kreuzer pro Person). 1773 ließ Simon, Sohn des Josef Wolf, in seinem Haus eine Synagoge einbauen und übergab sie als Stiftung der israelitischen Gemeinde, die nach dem Memorbuch bereits früher ein eigenes Gotteshaus bzw. einen Betsaal besaß. 1827 wurde die Synagoge abgebrochen, neu aufgebaut und eingerichtet, 1910 renoviert. 1864 errichtete die Gemeinde ein neues Frauenbad (Gebäude 39). Eine israelitische Schule bestand in Sontheim wohl seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts bis 1924. Der jeweilige Lehrer war zugleich Vorsänger. Die israelitische Gemeinde Sontheim, zu der nach 1832 die jüdischen Einwohner Horkheims und zunächst auch die Juden in Talheim gehörten, unterstand bis 1864 dem Rabbinat Lehrensteinsfeld und von 1864 bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1939 dem Rabbinat Heilbronn. Außer einem israelitischen Wohltätigkeitsverein für Männer bestand hier 1901 noch ein Israelitischer Frauenverein und ein Synagogenbauverein.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts setzten starke Abwanderungen vor allem in das benachbarte Heilbronn ein, obwohl auch in Sontheim schon früh die Industrie Fuß fasste. Als größeres jüdisches Unternehmen ist die Mechanische Schuhfabrik WolfCo. (Firmenname Wolko) zu nennen, deren Begründer der aus Öhringen stam­mende Hermann Wolf (1862-1926) war. Aus der israelitischen Gemeinde Sontheim sind einige Männer hervorgegangen, die sich als Großkaufleute und Fabrikanten in verschiedenen Städten einen Namen gemacht haben (Neumann, Stern, Israel und Wolf). Hier wurde geboren der Bildhauer Albert Güldenstein (1822-1891), der vor allem in Stuttgart tätig war (z.B. Tiergruppen in der Wilhelma). Er errichtete eine Stiftung von 500 Mark zugunsten der Armen seiner Heimatgemeinde ohne Unterschied des Bekenntnisses. Sein Bruder, Michael Güldenstein, wirkte von 1841-61 als Rabbiner in Buchau.

Seit 1907 bestand hier das Israelitische Landesasyl „Wilhelmsruhe". Träger die­ses Heims war der 1897 gegründete „Israelitische Landes-Asyl- und Unterstützungs­verein", der die Mittel für den Bau des Hauses durch Mitgliedsbeiträge, Stiftungen und Sammlungen aufgebracht hatte. Das Altersheim, das Platz für 35 Pfleglinge bot, fand die besondere Fürsorge der jüdischen Gemeinde Heilbronn und ihrer Rabbiner. Die ärztliche Leitung hatte Dr. Willy Flegenheimer und nach ihm Dr. J. Picard. Zu den Förderern des Heims gehörten auch König Wilhelm II. und Königin Charlotte von Württemberg. So übergab das Königspaar dem Landesasyl 10.000 Mark von der Sammlung, die aus Anlass seiner Silbernen Hochzeit veranstaltet worden war. 1932 wurde das Heim vergrößert. In der Zeit des Natio­nalsozialismus gewährte das Heim einer größeren Zahl pflegebedürftiger Menschen (zeitweise bis zu 150) aus ganz Südwestdeutschland Unterkunft. Die letzte Heim­leiterin war Johanna Gottschalk, die sich große Verdienste um die Anstalt erwarb und ihre Pfleglinge auch nicht verließ, als das Heim 1940 auf Weisung der nationalsozialistischen Machthaber für volksdeutsche Rückwanderer geräumt werden musste. Sie kam mit 32 Insassen nach Buttenhausen, von wo sie mit ihnen im August 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde. Sie überlebte die nationalsozialistische Ge­waltherrschaft im Konzentrationslager und wanderte nach dem Zweiten Weltkrieg nach Südafrika aus.

Während der Kristallnacht wurde die Synagoge dank des Eingreifens eines Sontheimer Bürgers nicht zerstört. Dagegen zerschlugen Heilbronner Parteimitglieder die Inneneinrichtung des Altersheimes. Nach einem Bericht von Fräulein Gottschalk wurden sämtliche Beleuchtungskörper heruntergeschlagen, das Geschirr zertrümmert (für 100 Personen standen am folgenden Morgen nur noch 3 Tassen zur Verfügung), 30 Gläser mit Eingemachtem auf einen Haufen geschüttet. Ein jüdisches Mädchen, das für eine Arierin gehalten wurde, bekam eine Ohrfeige. Die Inneneinrichtung des Hauses von Dr. Julius Picard, des Heimarztes, wurde ebenfalls demoliert, dieser selbst verletzt. Von den Sontheimer Juden kamen im Zweiten Weltkrieg mindestens 9 in der Deportation um, von den Insassen des Altersheims fanden wenigstens 36 einen gewaltsamen Tod (Deportationen, Euthanasie).

Die Synagoge wurde inzwischen abgerissen, der Platz neu überbaut. Auf dem Friedhof im Schozachtal, der 1840/44 für die Juden in Horkheim, Talheim und Sontheim angelegt wurde, fanden anfangs auch die Juden aus Heilbronn ihre letzte Ruhe. An seiner Südmauer ist ein stark verwitterter Grabstein von 1419 aus Heil­bronn eingemauert, der dem Gedächtnis zweier junger Juden gewidmet ist. Wäh­rend des Zweiten Weltkriegs wurden hier einige russische und italienische Kriegs­gefangene bzw. Fremdarbeiter beigesetzt.

In Horkheim fanden 1771 Juden Aufnahme. 1831 zählte das Dorf 60 jüdische Einwohner, 1854 68, 1869 32, 1886 41, 1910 17 und 1933 4. 1941/42 wurden der Viehhändler Max Maier, seine Frau, seine Tochter (geb. 1935) und seine Schwester nach Riga bzw. Theresienstadt deportiert und ermordet.

In dieser Studie nachgewiesene Literatur

  • Beschreibung des Oberamts Heilbronn, 1903.
  • Bilder vom Friedhof und von der Synagoge, in: Jüdische Gotteshäuser und Friedhöfe, 1932, S. 120-123.
  • Franke, Hans, Geschichte und Schick­sal der Juden in Heilbronn, Heilbronn 1963.
  • 25 Jahre Sontheimer Asyl, in: Gemeindezeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs Jg. 9, Nr. 5, 1. Juli 1932, S. 40 f.
  • Kulb, M., Die Geschichte der Juden in Sontheim (Gemeindezeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs, Jg. 1, Nr. 9, 15. Dezember 1924, S. 153-155.
  • Sontheimer, Felix, Das Altersheim in Sontheim, in: Ge­meindezeitung für die israelitischen Gemeinden Württembergs, Jg. 1, Nr. 6, 15. September 1924, S. 83.

 

Zitierhinweis: Sauer, Paul, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, Beitrag zu Heilbronn-Sontheim, veröffentlicht in: Jüdisches Leben im Südwesten, URL: […], Stand: 20.11.2022

Lektüretipps für die weitere Recherche

Heilbronn-Sontheim

  • Angerbauer, Wolfram/Frank, Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, Heilbronn 1986, S. 213-221.
  • Franke, Hans, Geschichte und Schicksal der Juden in Heilbronn, 1962.
  • Hahn, Joachim/Krüger, Jürgen, „Hier ist nichts anderes als Gottes Haus...“. Synagogen in Baden-Württemberg. Band 1: Geschichte und Architektur. Band 2: Orte und Einrichtungen, hg. von Rüdiger Schmidt (Badische Landesbibliothek, Karlsruhe) und Meier Schwarz (Synagogue Memorial, Jerusalem), Stuttgart 2007.

Horkheim

  • Angerbauer, Wolfram/Frank, Hans Georg, Jüdische Gemeinden in Kreis und Stadt Heilbronn, Heilbronn 1986, S. 110-115.
  • Duncker, Zur Geschichte der Juden in Horkheim und Talheim, in: Vierteljahreshefte des Zabergäuvereins (1905), S. 4-16.
  • Fritz, Ekkehard, Dokumentation über die Bestandssicherung der ehemaligen Synagoge im Turm der Burg Horkheim, 2003.
  • Germania Judaica, Bd.3, 1. Teilband, hg. von Arye Maimon/Mordechai Breuer/Yacov Guggenheim, Tübingen 1987, S. 574.
Suche