Else Kienle und Friedrich Wolf, Quelle FemBio
Else Kienle und Friedrich Wolf, Quelle FemBio

„Noch nie hat Stuttgart solche Erregung erlebt, wie in den letzten Wochen […]“ schrieb der Arzt, Dramatiker und Politiker Friedrich Wolf im Frühjahr 1931. Am 19. Februar waren er und seine ebenfalls in Stuttgart tätige Kollegin Else Kienle wegen unerlaubter Schwangerschaftsabbrüche denunziert und verhaftet worden. Das Ereignis löste heftige und massenhafte Reaktionen in den Reihen von Befürwortern und Gegnern aus. Während Wolf nach kurzer Zeit freikam, blieb Else Kienle mehr als einen Monat in Haft und wurde nur aufgrund ihres Hungerstreiks entlassen.

Vorangegangen waren verschärfte Diskussionen um den §218, der den Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellte. Dazu hatte Wolf das 1929 uraufgeführte Theaterstück Cyankali verfasst, das ab 1930 auf Deutschland-Tournee ging und mit dem soziale und wirtschaftliche Notlagen als Ursache vieler Abbrüchen thematisiert wurden. Seit 1928 praktizierte Wolf in Stuttgart. Auch Else Kienle hatte sich öffentlich für Schwangerschaftsabbrüche aufgrund sozialer Notlagen und die Aufhebung des §218 eingesetzt.

Else Kienle wurde als Tochter eines Realschullehrers am 26. Februar 1900 in Heidenheim an der Brenz geboren. Die Mutter stammte aus einer medizinisch vorgeprägten Familie. Else verfügte über eine rasche Auffassungsgabe sowie die Fähigkeit sich von Hindernissen nicht aufhalten zu lassen. Als einziges Mädchen und Jahrgangsbeste bestand sie 1918 das Abitur am Georgii-Gymnasium in Esslingen. Mit Unterstützung ihrer Großmutter und gegen den Willen des Vaters studierte sie Medizin in Tübingen, Kiel und Heidelberg, wo sie 1924 mit der Promotion abschloss. Der Konkurrenzkampf in der Männerdomäne war groß. Als Frau blieb ihr der Weg in die Chirurgie zunächst verschlossen. So arbeitete sie als Dermatologin und kam in der Abteilung für Geschlechtskrankheiten am Stuttgarter Katharinenhospital mit Frauen aus verschiedenen sozialen Schichten in Kontakt. Sie sah die Folgen von Prostitution, Verzweiflung und Pfuscherei. Nach ihrer Heirat mit dem Bankier Stefan Jakobowitz 1929 konnte Else eine eigene Praxis mit angeschlossener OP-Abteilung eröffnen. Daneben leitete sie eine Beratungsstelle für Geburtenregelung und Sexualhygiene. In ihrer Praxis wurden sowohl legale als auch illegale Abtreibungen an Frauen durchgeführt, die in Not geraten waren. Neben dem §218 prangerte sie die gesellschaftliche Fremdbestimmung an: „Was nützte ihr das Stimmrecht“, schrieb sie über die Situation der Frau in der Weimarer Republik, „wenn sie trotzdem eine willenlose Gebärmaschine bleiben sollte?“

Nach ihrer Freilassung setzten Kienle und Wolf ihr Engagement fort. Die letzten Jahre der Weimarer Republik überschatteten politische und wirtschaftliche Krisen. Um einer neuerlichen Verhaftung zu entgehen, flüchtete Else 1932 nach Frankreich. Sie trennte sich von ihrem ersten Mann, heiratete den Amerikaner George Henry LaRoe und ließ sich in New York nieder, wo sie 1935 eine Praxis für Wiederherstellungschirurgie eröffnete. Ihre sozialreformerischen Ziele verfolgte sie in den USA nicht weiter. Nach dem Scheitern ihrer zweiten und einer weiteren Ehe fand sie 1950 mit dem Künstler Wesley L. Robertson, einem Angehörigen des Choctaw-Stammes, zu einer glücklichen Beziehung. Else Kienle verfasste mehrere Bücher. Frauen. Aus dem Tagebuch einer Ärztin erschien 1932, ihre Autobiographie Woman surgeon unter dem Namen Else K. LaRoe 1957 in New York. Hier starb sie am 19. Juli 1970.

Zum Weiterlesen und -schauen

Katja Patzel-Mattern: Das "Gesetz der Frauenwürde". Else Kienle und der Kampf um den Paragrafen 218 in der Weimarer Republik. In: Anke Väth (Hg.): Bad Girls. Unangepasste Frauen von der Antike bis heute, Konstanz 2003. S. 177-199. Onlineversion (aufgerufen am 22.02.2021)

Valentin J. Hemberger: § 218 – Stuttgarter Proteste für Else Kienle und Friedrich Wolf. In: Des Volkes Stimme. 200 Jahre - Ein Kalender zur Partizipation im Südwesten. Blog-Beitrag mit Filmsequenz vom 26. Februar 2019 (aufgerufen am 22.02.2021)

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 Laupheim, Luftbild 2002
Laupheim, Luftbild 2002 [Quelle: Landesmedienzentrum Baden-Württemberg; 09.09.2002]

Laupheim, das ist nicht nur eine Stadt im Landkreis Biberach wie hier im Luftbild zu sehen, sondern auch ein Kleinplanet im All. 1985 wurde der Planetoid 7167 am Palomar-Observatorium in den USA von Carolyn und Eugene Shoemaker entdeckt. Bei einem Besuch der ”Volkssternwarte Laupheim e.V“ waren die beiden Astronomen von der hauptsächlich ehrenamtlichen Arbeit der Vereinsmitglieder derart begeistert, dass sie 1999 die Benennung des Asteroiden zu Ehren der Einrichtung veranlassten.

Gegründet wurde die Volkssternwarte in Laupheim im Jahr 1975 von sieben Amateurastronomen. Die “Astronomische Arbeitsgemeinschaft der Sternwarte Laupheim” hatte ihren Sitz zunächst in einer leerstehenden Kuppel auf dem Laupheimer Gymnasium. Heute lautet die Anschrift von Sternwarte und Planetarium in Laupheim passenderweise Milchstraße 1 und seit der Modernisierung im Jahr 2012 zählt es zu den modernste Zeiss Planetarien seiner Art, das jährlich rund 35.000 Besucherinnen und Besucher anzieht. Den Kleinplanet Laupheim kann man von der Sternwarte leider nicht erkennen, da er so schwach leuchtet, dass er nur fotografisch erfasst werden kann. Am 20. Februar 2004 gelang der Volkssternwarte Laupheim erstmals ein Foto „ihres“ Planetoiden zu erstellen. Die Größe des „himmlischen“ Laupheims wird auf zehn bis zwölf Kilometer geschätzt. Der Kleinplanet Laupheim ist Bestandteil des sogenannten Planetoidengürtels zwischen Mars und Jupiter. In einem Abstand von 469,6 Millionen Kilometer umkreist er dort die Sonne in fünfeinhalb Jahren. Somit kann sich das irdische Laupheim dem Laupheim im All höchstens auf 320 Millionen Kilometer nähern.

Weitere Informationen zum Laupheimer Planetarium finden Sie hier. (JH)

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 Titelkupfer einer Oberamtsbeschreibung
Frontispiz einer Oberamtsbeschreibung [Quelle: Landesarchiv BW]

Es ist wieder Zeit für unser monatliches Quiz!

1820 schuf der württembergische Regent Wilhelm I. mit einem "Königlichen statistisch-topographischen Bureau" die Voraussetzungen für eine Beschreibung der Oberämter im Herrschaftsgebiet. Die Oberämter waren die Vorgänger der heutigen Landkreise. Die Beschreibungen enthalten Angaben über Einwohner, Besitzgröße, Gebäude- und Tierbestand, sie berichten über geographische und geschichtliche Gegebenheiten, Klima, Flora, Fauna und vieles andere mehr. Bis heute sind die Bücher wahre Fundgruben für alle, die sich mit der Geschichte Württembergs beschäftigen.

Können Sie erraten welches Oberamt bzw. welcher heutige Landkreis hier beschrieben wurde? Der folgende Ausschnitt ist dem Unterkapitel "Naturschönheiten" einer Oberamtsbeschreibung aus dem Jahr 1860 entnommen:

Obgleich der Bezirk im Allgemeinen wenig Abwechslung bietet und namentlich der westliche Theil desselben meist nur aus einem weitgedehnten, durch Felder wenig unterbrochenen Nadelwald besteht, so entfaltet er doch in seinen Thälern […] manches Schöne. Die üppigen Wiesengründe der Thalebene, welche von munteren klaren Gewässern durchzogen werden, bilden mit ihrem Lichtgrün einen freundlichen Gegensatz zu den angrenzenden schwarzgrünen Nadelwaldungen. […] Die durchgängig bewaldeten Gehänge der Thäler wie der tiefen dunklen Waldschluchten sind mit einer Unzahl Felstrümmer bedeckt, die in wilder Verworrenheit herum liegend, und theils gewaltsam über einander geschoben, theils in sehr namhafter Größe vorkommend, wirklich groteske Ansichten darbieten. In den engen Rinnen der Waldschluchten wenden sich zwischen diesen Felstrümmern und über dieselben stürzend wild tosende Waldbäche, viele kleine Wasserfälle bildend […] Überdieß ist der Bezirk ziemlich reich an Punkten, von denen man eine schöne Aussicht genießt. Das Auge überblickt auf diesen Punkten einen großen Theil der Alp, des Schwarzwaldes und des Schönbuchs.“

Die Oberamtsbeschreibungen enthielten auch Beschreibungen zur Bevölkerung. Hier gibt vor allem die Nennung einer Berufsgruppe wichtige Hinweise für die Lösung des Rätsels: „Der Volkscharakter ist im Allgemeinen gut und mit wenig Ausnahmen trifft man aller Orten vielen Fleiß, Sparsamkeit, Sinn für Religion, der sich in einzelnen Orten bis zum strengen Pietismus steigert, und deutsche Biederkeit. In den eigentlichen Waldgegenden sind die Leute in Folge ihrer vielen Beschäftigungen in den Wäldern einfach, einsilbig, schlicht, jedoch etwas rauh von Sitten, übrigens gutmüthig und ordnungsliebend; auch die Flößer […] haben, ebenfalls in Folge ihrer harten, anstrengenden Beschäftigung, eine gewisse Derbheit, die übrigens selten in eigentliche Rohheit ausartet.“

Wenn Sie erraten haben, um welches ehemalige Oberamt es sich hier handelt, dann schreiben Sie es gerne in die Kommentare, hier oder auf unserer Facebook-Seite. Falls Sie die Beschreibung nicht zur Lösung des Rätsels führt, gibt Ihnen vielleicht die abgebildete Ansicht hilfreiche Hinweise. Natürlich können Sie auch direkt auf LEO-BW in der Übersicht der Oberamtsbeschreibungen recherchieren. Viel Spaß! (JH)

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Die Synagoge in Sulzburg war nach Karlsruhe und Randegg der dritte Synagogenbau einer jüdischen Gemeinde im damaligen Großherzogtum Baden aus dem Jahr 1822, Quelle Landeszentrale für politische Bildung
Die Synagoge in Sulzburg war nach Karlsruhe und Randegg der dritte Synagogenbau einer jüdischen Gemeinde im damaligen Großherzogtum Baden aus dem Jahr 1822, Quelle Landeszentrale für politische Bildung

Im Jahr 2021 leben Jüdinnen und Juden nachweislich seit 1700 Jahren auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands: Ein Edikt des römischen Kaisers Konstantin von 321 erwähnt die Kölner jüdische Gemeinde. Es gilt als ältester Beleg jüdischen Lebens in Europa nördlich der Alpen. Da es in den meisten größeren Städten des römischen Imperiums jüdische Gemeinden gab, reichen die Ursprünge mit Sicherheit noch weiter zurück. Bis zur rechtlichen Gleichstellung war es ein langer Weg, gekennzeichnet von Repressalien und Verfolgungen, aber auch von hoffnungsvollen Ansätzen des Austauschs und Miteinanders. Hier soll das Festjahr ein Zeichen setzen, das heute mit einem Festakt eröffnet wird. Ziel ist es, jüdisches Leben sichtbar und erlebbar zu machen und dem erstarkenden Antisemitismus und Rechtsextremismus entgegenzutreten. Bundesweit werden rund tausend Veranstaltungen ausgerichtet, darunter Konzerte, Ausstellungen, Musik, ein Podcast, Filme und weitere Projekte.

 

Der Festakt wird ab 16.30 Uhr von verschiedenen Rundfunkanstalten live übertragen.
Dazu sendet Das Erste (ARD) Wir sind jüdische Deutsche – Erbe und Identität seit 1945 (21.02. 15.45 Uhr) und Jung, jüdisch, weiblich - Was bedeutet es heute, als junge Frau das Judentum in Deutschland zu leben? (21.02. 17.30 Uhr).
Das deutsche TV-Programm der Deutschen Welle zeigt die Dokumentarfilme Meschugge oder was – Jude werden, Jude sein in Deutschland (21.02. 10.00 Uhr) und Jüdisch sein in Europa (Teil 1 und 2, 21.02. ab 10.45 Uhr).
Alle Details auf der offiziellen Website von 321–2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland e.V.

Erste Spuren jüdischen Lebens im Gebiet des heutigen Baden-Württemberg gibt es ab dem 11./12. Jahrhundert. Eine der ältesten jüdischen Gemeinden Badens ist mit Wertheim dokumentiert. Die früheste archivalische Nachricht stammt aus dem Jahre 1222. Im Reichssteuerverzeichnis von 1241 werden erstmals jüdische Gemeinden in Schwäbisch-Hall, EsslingenKonstanzBopfingen und Überlingen erwähnt. Weitere Informationen dazu auf LEO-BW.

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 Medaille mit Festungsgrundriss, entworfen von Georg Bernhard Bilfinger, 1736 (Quelle: Landesmuseum Württemberg)
Medaille mit Festungsgrundriss, entworfen von Georg Bernhard Bilfinger, 1736 [Quelle: Landesmuseum Württemberg]

Der Philosoph, Mathematiker und Baumeister Georg Bernhard von Bilfinger, der 1693 in Canstatt geboren wurde, war über die Grenzen Württembergs hinaus bekannt. Als Philosoph wurde er angefeindet, weil er als erster Professor in Tübingen über die Aufklärungsphilosophie von Leibniz und Wolff las, er lehrte in St. Petersburg und stritt mit dem Mathematiker Daniel Bernouilli um das Kartesische gegen das Newtonsche Weltbild. Im Jahr 1735 wurde er schließlich vom württembergischen Herzog Karl Alexander als Berater für den Festungsbau berufen. Einige der Festungsentwürfe Bilfingers wurden auf Medaillen geprägt, die nach dem frühen Tod Carl Alexanders in die württembergische Kunstkammer kamen. Jedoch handelt es sich bei diesen Ansichten lediglich um Idealpläne, nicht verwirklicht wurden. Die hier zu sehende Medaille trägt auf ihrer Vorderseite die Inschrift CRUX APTA TUERI PARTA – ein Kreuz, das in der Lage ist, den Besitz zu schützen – und zeigt den Grundriss einer Festung mit acht Bastionen. Auf die Rückseite wurde eine Widmungsinschrift eingraviert: CAROLO ALEXANDRO WIRT & TECC DUCI DOMINO SUO G. B. BILFINGER 1736 – für Carl Alexander, Herzog von Württemberg und Teck, seinem Herrn [von] G. B. Bilfinger. Beim Tod Carl Alexanders im Jahre 1737 war der Sohn und Nachfolger Herzog Carl Eugen noch minderjährig. Es wurde eine Vormundschaftliche Regierung eingesetzt, deren wichtigstes Mitglied Georg Bernhard Bilfinger wurde. Auch nach dem Regierungsantritt des neuen Herzogs Carl Eugens im Jahre 1744 blieb Bilfinger in seinen Ämtern und hatte weiterhin großen Einfluss auf die Regierungsgeschäfte.
Weitaus weniger bekannt als sein politisches Wirken, ist Bilfingers Engagement für pietistische Strömungen innerhalb der Landeskirche. Als Präsident des Konsistoriums, dessen damalige Funktion mit dem heutigen Oberkirchenrat vergleichbar ist, sorgte er mit dem Generalreskript von 1743 dafür, dass der Pietismus nach Jahren ein Heimatrecht in der Kirche erhielt. Mehr über den Pietismus in Württemberg können Sie auch in unserem neuen Themenmodul "Alltagskultur im Südwesten" nachlesen. (JH)

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