Liste der Biographien

 

Hier finden Sie Beispiele zu Biographien von Persönlichkeiten aus der facettenreichen jüdischen Geschichte des Südwestens. Um die Vielfalt des jüdischen Lebens hervorzuheben, wurden die Kurzfassungen einiger Beschreibungen in die Liste aufgenommen. Personen, zu denen ausführliche Darstellungen vorliegen, sind mit Fettschrift markiert. Die Zusammenstellung wird weiter ergänzt und ausgebaut. Obwohl einige der Biographien aufgrund der Verfolgung im Nationalsozialismus einen tragischen Hintergrund haben, soll hier der Focus auf das Leben gerichtet sein. Die Beiträge über die Deportationen und Biographien zu Gurs finden Sie in einem separaten Kapitel.

Die Biographien auf dieser Seite stehen im Zeichen des „Chai“, dem hebräischen Wort für Leben. Es ist aus den beiden Buchstaben „Chet“ und „Jud“ zusammengesetzt, denen in der jüdischen Zahlensymbolik der Wert acht und zehn zugeordnet ist. Addiert ergibt das die Zahl 18. Das Zeichen ist sehr beliebt und wird häufig genutzt, etwa als Anhänger. „Chai“ ist auch in Ausdrücken wie „Lechaim“ enthalten, dem Trinkspruch beim Anstoßen: Auf das Leben!

 

Biographien A - E

Elisabeth Altmann-Gottheiner (1874-1930) bekam 1908 die Erlaubnis, als Dozentin an der Handelshochschule in Mannheim zu arbeiten. Damit war sie die erste Hochschuldozentin in Deutschland. Einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit bildeten Untersuchungen zur Situation von Frauen im Wirtschaftsleben, den damit zusammenhängenden sozialen Problemen sowie weitere sozialpolitische Ziele. 1925 wurde Elisabeth Altmann-Gottheiner zur Professorin der Mannheimer Handelshochschule ernannt.

1903 gab es mit der Polizeischwester Henriette Arendt (1874-1922) erstmals eine Polizeiassistentin im Deutschen Reich. Henriette Arendt wurde in Königsberg geboren und kam über die Lungenheilanstalt Schömberg im Schwarzwald nach Stuttgart. Hier war sie für die Kinder- und Jugendfürsorge sowie gefährdete Frauen und Mädchen zuständig. Ihre offenen Worte und unzureichenden Mittel angesichts des infolge der Industrialisierung vermehrt auftretenden Elends stießen auf wenig Verständnis bei den Vorgesetzten. Nach sechs Dienstjahren und einer Prozessandrohung erhielt sie die Kündigung, engagierte sich aber weiterhin gegen den internationalen Kinderhandel.

Berthold Auerbach (1812-1882) kam 1812 als Moses Baruch Auerbacher in Nordstetten bei Horb am Neckar zur Welt. Ursprünglich sollte er Rabbiner werden, was unmöglich wurde, als er 1837 aus politischen Gründen eine Haftstrafe verbüßen musste. Daraufhin widmete er sich hauptberuflich er Schriftstellerei. Überaus erfolgreich wurden die ab 1842 veröffentlichten „Schwarzwälder Dorfgeschichten“. Das detaillierte, volksnahe Gesellschaftsbild eines dörflichen Lebens wird gerne mit Honoré de Balzacs Zyklus „Die menschliche Komödie“ verglichen. 

Alice Bensheimer (1864-1935) wird gerne als eine „graue Eminenz“ der bürgerlichen deutschen Frauenbewegung bezeichnet. Zusammen mit Marianne Weber war sie die zweite Mannheimerin im Vorstand des 1894 gegründeten Bunds deutscher Frauenvereine, dem sie über 25 Jahre angehörte. In Mannheim widmete sie sich vor allem der Armenfürsorge und setzte sich für bessere Bildungschancen von Mädchen ein. Dazu gründete sie 1896 den „Frauenbund Caritas“ und gehörte 1916 zu den Initiatorinnen der „Sozialen Frauenschule“, einer Vorläuferin der heutigen Fakultät für Sozialwesen an der Hochschule Mannheim.

Gretel Bergmann (1914-2017) gehörte Anfang der 30er-Jahre zu den herausragenden Leichtathletinnen in Deutschland. Kurz nach Beginn des Nationalsozialismus wurde sie aus dem Ulmer Sportverein, in dem sie trainierte, ausgeschlossen. Ihr Versuch, von Großbritannien aus ihre Teilnahme an den Olympischen Spielen von 1936 zu verwirklichen scheiterte im letzten Augenblick, nachdem es scheinbare Zugeständnisse gegeben hatte. Gretel Bergmann emigrierte 1937 in die USA, wo sie vor einigen Jahren in hohem Alter starb.

Der Journalist Josef Eberle (1901-1986) war verheiratet mit Else, geborene Lemberger, einer Jüdin aus Rexingen. 1933 wurde Eberle verhaftet, bekam Berufsverbot und begann als „Sebastian Blau“ schwäbische Gedichte zu veröffentlichen. Eberle überstand die NS-Zeit, weil er unter anderem beim US-Konsulat unterkam. Bei Kriegsende tauchten die Eheleute unter. Nach 1945 wurde Eberle Mit-, später alleiniger Herausgeber der Stuttgarter Zeitung.

1898 meldete Bayer für das Medikament ASS in den USA das Patent an. Wesentliche Anteile an der Entwicklung wurden dem in Ludwigsburg geborenen Chemiker Felix Hoffmann zugeschrieben. Die ebenso wichtige Rolle des gleichfalls bei Bayer beschäftigten, jüdischstämmigen Arthur Eichengrün geriet in Vergessenheit. Sein Unternehmen war in den 30er-Jahren arisiert worden. Er überlebte das KZ Theresienstadt und starb, 1949, nachdem er Ergebnisse seiner Forschungsarbeiten veröffentlicht hatte.

Der Dichter, Kritiker und Kunsthistoriker Carl Einstein (1885-1940) wuchs in Karlsruhe auf und lebte ab 1905 in Berlin. Sein Roman „Bebuquin oder die Dilettanten des Wunders“ machte ihn zum „Propheten der Avantgarte“ und inspirierte Expressionisten wie Gottfried Benn und Dadaisten wie Hugo Ball. 1926 veröffentlichte Einstein in Paris das Werk „Die Kunst des 20. Jahrhunderts“. Nach Einsätzen im Spanischen Bürgerkrieg wurde er in Paris interniert und kam ins Lager Gurs, wo er durch Freitod starb.

Biographien F - J

Felix Fechenbach (1894-1933) wurde als Sohn einer orthodoxen Bäckersfamilie in Mergentheim geboren. Er arbeitete als Journalist und war als Sozialist ein Anhänger Kurt Eisners. Bereits 1922 wurde er als Landesverräter zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Fechenbach ließ sich nicht beirren und schuf gegen Ende der Weimarer Republik den „Nazi-Jüsken“, eine Kunstfigur, die den Nationalsozialismus bloßstellte und entlarvte. Im März 1933 verhafteten die Nationalsozialisten den verhassten Gegner, der einige Monate später während einer vorgeblichen Verlegung ins KZ Dachau erschossen wurde. Felix Fechenbach war ein Bruder das Grafikers Hermann Fechenbach (1897-1986), der 1933 aus dem Stuttgarter Künstlerbund ausgeschlossen wurde. Er kam 1941 nach einer mehrmonatigen britischen Internierung in England unter.

Der Journalist Saly Grünebaum (1886-1948) war ein langjähriger Weggefährte des Reichstagsabgeordneten Ludwig Marum. Immer wieder griff er die Nationalsozialisten und ihre Machenschaften, Machtdemonstrationen und Krawalle in seinen Leitartikeln an, was zu Anklagen durch den späteren Reichsstatthalter Robert Wagner führte. Im März 1933 wurden Saly Grünebaum und Ludwig Marum zusammen mit anderen unliebsamen Gegnern verhaftet und im Mai in einer öffentlich inszenierten Schaufahrt ins KZ Kislau transportiert. Im Herbst 1933 wanderte er zusammen mit seiner Familie nach Palästina aus.

Der Reformpädagoge und Schulgründer Kurt Hahn (1886-1974) entstammte einem wohlhabenden jüdischen Elternhaus in Berlin. Während des Studiums in Oxford lernte er Weltoffenheit, eine Kultur des Debattierens und den Freiluftsport als Bestandteil der Ausbildung kennen, wesentliche Impulse seiner späteren Schulkonzepte: Auf dieser Grundlage sollten die Schülerinnen und Schüler Persönlichkeit und Verantwortung selbst entwickeln und ihren eigenen Weg finden. 1919 riefen Hahn, Prinz Max von und Karl Reinhardt die Eliteschule Schloss Salem ins Leben. Nach Verhaftung und Emigration gründete Hahn 1934 in Schottland die British Salem School, 1953 kehrte er nach Salem zurück.

Otto Hirsch (1885-1941) wurde als Sohn einer liberalen jüdischen Familie in Stuttgart geboren. Als Spezialist für internationalen Wasserbau übernahm Otto Hirsch 1921 die Geschäftsführung der neu gegründeten Neckar AG. 1930 wurde er Vorsitzender des Oberrats der israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs. Bereits in den ersten Tagen der nationalsozialistischen Herrschaft musste Otto Hirsch die Neckar AG verlassen. Im September zog die Familie nach Berlin, wo Otto Hirsch neben Leo Baeck das Amt als Geschäftsführer der Reichsvertretung der deutschen Juden ausübte, die sich auch um die drängenden Auswanderungsangelegenheiten kümmerte. Otto Hirsch wurde am 26. Februar 1941 verhaftet und starb rund fünf Monate später in Mauthausen unter ungeklärten Umständen. Seine Frau Martha starb im Oktober 1942 kurz nach der Deportation in Riga.

Max Horkheimer (1895-1973) war Leiter des Instituts für Sozialforschung und einer der Hauptvertreter der Frankfurter Schule, die die linken Bewegungen der 60er-Jahre maßgeblich beeinflusste. Als Sohn einer konservativen jüdischen Fabrikantenfamilie aus Stuttgart-Zuffenhausen studierte er Philosophie in München, Freiburg und Frankfurt a.M. 1930 wurde Horkheimer Ordinarius für Sozialphilosophie an der Uni Frankfurt und im selben Jahr Direktor des Instituts für Sozialforschung. Während des Nationalsozialismus emigrierten Horkheimer und andere Mitarbeiter des Instituts in die USA und konnten dort ihre Arbeit fortsetzen. Ende der 40er-Jahre kehrte Horkheimer nach Frankfurt zurück. Anknüpfend an Hegel und Marx aber mit den Auswirkungen von Faschismus und Stalinismus konfrontiert, suchte er nach neuen interdisziplinären Ansätzen unter Einbeziehung sozialpsychologischer Aspekte.

Biographien K - L

Thekla Kauffmann (1883-1980) gehört zu einer der wichtigsten Wegbereiterinnen der Demokratie im Südwesten. Zwischen 1919 und 1920 war sie die einzige jüdische Abgeordnete im Landtag von Württemberg. Schon lange davor war sie politisch aktiv und engagierte sich in der bürgerlichen Frauenbewegung. Nachdem 1920 eine zweite Kandidatur scheiterte, arbeitete sie als Leiterin der Hilfsstelle für Frauenarbeit beim Arbeitsamt Stuttgart. Nach der Entlassung durch die Nationalsozialisten stand sie der regionalen Auswanderungskommission des Hilfsvereins der Juden in Deutschland vor. Thekla Kauffmann konnte 1941 zusammen mit ihrer Mutter in die USA fliehen.

Die Kaullas waren eine der ersten jüdischen Familien, die als Hoffaktoren noch vor der gesetzlichen Gleichstellung Aufenthaltsrecht in Stuttgart erhielten. Hoffaktoren, darunter einige Juden, waren an den Fürstenhöfen des 17. und 18. Jahrhunderts als Geldgeber und Lieferanten tätig und es war nicht ungewöhnlich, dass sich Frauen um die Geschäfte kümmerten. Chaile Bat (1739-1809), die älteste Tochter des Hoffaktoren Isak Raphel in Hohenzollern-Hechingen, trat 1770 in württembergische Dienste und war zusammen mit ihrem Bruder für die Ausstattung und Versorgung militärischer Unternehmungen zuständig. Damit verbunden war der Einstieg ins europäische Bankgeschäft und die Mitfinanzierung der Stuttgarter Hofbank. Chaile, die ihre wirtschaftlichen Angelegenheiten unter dem Namen Madame Kaulla abwickelte, gab der Familie den Namen, den sie weiterhin führen sollte. 1841 erhielt ihr Enkel Joseph Wolf das erbliche Adelsprädikat verliehen.

Carl Laemmle (1867-1939) wurde als Sohn eines jüdischen Viehhändlers geboren und wanderte 1884 in die USA aus. Hier machte er rasch Karriere und stieg mit 39 Jahren ins Filmgeschäft ein. Auch sein eigenes Leben erscheint wie ein Film. Er baute eine Kette von Kinos auf, besaß bald den größten Film-Verleih der USA und gründete eine eigene Produktionsfirma, die Independent Motion Picture Company. In den Studios und dem Freigelände von Universal City wurden unzählige Filme und Serien gedreht. Von ihm produzierte Werke wie „Im Westen nichts Neues“ zählen zu den Highlights der Filmgeschichte .

Der aus Hechingen stammenden Rechtsanwalt Paul Levi (1883-1930) gehörte zusammen mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu den führenden Persönlichkeiten des 1918 konstituierten Spartakusbundes. Bis zu den Morden an Luxemburg und Liebknecht im Januar 1919 galten sie als die drei großen „L“ der Partei. Der Sozialdemokrat Paul Levi hatte in Berlin studiert und unter dem Einfluss von Rosa Luxemburg radikalere Positionen entwickelt. Neben der Verfolgung der Morde sowie der Bekämpfung demokratiefeindlicher Kräfte setzte er sich für eine soziale Umgestaltung und neue Wirtschaftsordnung ein. Er starb 1930 unter ungeklärten Umstanden.

Die Malerin Käthe Loewenthal (1878-1942) war weit herumgekommen, bevor sie 1910 in Stuttgart in der von Adolf Hölzel geleiteten „Damenmalklasse“ der Königlich Württembergischen Kunstschule zu studieren begann. Ab 1890 hatte sie einige Zeit in Bern bei einer befreundeten Pfarrersfamilie gelebt, sich protestantisch taufen lassen und die Werke des Malers Ferdinand Hodler kennengelernt, bei dem sie Unterricht nahm und der ihre frühen Werke beeinflusste. Auch während ihrer weiteren Ausbildung reiste sie viel und verfestigte ihre enge Beziehung zur Natur, wobei sie unter dem Einfluss der abstrahierenden Ideen Hölzels dem Gegenständlichen verbunden blieb. In Stuttgart arbeitete sie als freie Malerin und wurde so erfolgreich, dass sie bis zum Berufsverbot 1934 von der Malerei leben konnte.

1919 übernahmen die beiden Brüder Artur (1886-1959) und Felix (1884-1946) Löwenstein mit ihren Ehefrauen die im 19. Jahrhundert gegründete Mössinger Weberei und bauten sie als Pausa AG zu einem innovativen Unternehmen mit internationalen Beziehungen aus. In den Anfangsjahren arbeiteten einige bemerkenswerte und begabte junge Frauen für die Firma im kleinen Mössingen am Rande der Schwäbischen Alb: die Bauhaus-Schülerin, Innenarchitektin und Designerin Friedl Dicker aus Wien, Lisbeth Oestreicher und Ljuba Monastirskaja aus der Weberei-Klasse des Bauhauses sowie Anneliese May aus den Vereinigten Werkstätten München. Die Werksstudentin Armi Rati war später Mitbegründerin einer finnischen Designermarke. 1936 emigrierten die beiden Familien Löwenstein nach Italien und Großbritannien, die Firma wurde verkauft. Im wirtschaftlichen Aufschwung der Nachkriegszeit und mit einem neuen künstlerischen Leiter gelang es, an die früheren Erfolge anzuknüpfen. 2001 ging die Pausa in Konkurs.

Die Biographie Leopold Löwensteins (1843-1923), Bezirksrabbiner für Mosbach, Merchingen und Wertheim, ist die eines orthodoxen Juden, der mit vielen Veränderungen konfrontiert war, sich dennoch stets für seine Umwelt interessierte und dies gut mit seinen religiösen Anliegen verbinden konnte. Sie wirft darüber hinaus ein Licht auf die Welt der ländlichen Juden und ihrer Kultur, deren Verblassen er erkannt und versucht hatte dafür ein Bewusstsein zu schaffen. Dazu veröffentlichte er zahlreiche Schriften über jüdische Personen, Geschichte und Kultur, war Mitarbeiter bei „Germania Judaica“ und „The Jewish Encyclopedia“ in New York.

Biographien M - R

„Meine Freiheit können sie mir nehmen, aber nicht meine Würde und meinen Stolz“ – Das Zitat stammt von Ludwig Marum (1882-1934), Rechtsanwalt und Vertreter der Arbeiterbewegung, der 1918 als badischer Justiziminister einer der Wegbereiter für die neue demokratisch-republikanische Ordnung wurde. 1928 zog er als SPD-Abgeordneter in den Reichstag ein und wandte sich entschieden gegen den erstarkenden Nationalsozialismus. Ab 1929 wurde er zur Zielscheibe antijüdischer Hetze, sowohl aus dem rechten als auch dem linken politischen Spektrum. Anlässlich der Wahlen am 5. März 1933 hielt Marum in Freiburg eine denkwürdige Rede gegen das Regierungsprogramm Hitlers. Am Tag darauf wurde er verhaftet und in einer als öffentliche Schaustellung inszenierten Fahrt ins KZ Kislau überstellt. Marum, der unerschütterlich an die baldige Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit glaubte, wurde in der Nacht zum 29. März 1934 unter Vortäuschung eines Selbstmords in seiner Zelle aufgehängt. Seine Familie hatte lange Zeit unter den Folgen zu leiden.

Leopold Marx (1889-1983) hatte schon während der Schulzeit eine Neigung zu Literatur entwickelt, musste aber wegen des Tods seines Vaters vorzeitig das Gymnasium verlassen um die elterliche Firma Gutmann&Marx, eine Bandweberei, zu übernehmen. Während des Einsatzes im Ersten Weltkrieg geriet er in französische Gefangenschaft und lernte Hermann Hesse kennen, der in der Kriegsgefangenenfürsorge arbeitete. Er begann Hebräisch zu lernen und setzte sich mit den Schriften des Religionsphilosophen Martin Buber auseinander, zu dem er in den 20er-Jahren persönlichen Kontakt hatte. Neben der Tätigkeit in der Firma gründete er zusammen mit seinem Schwager Karl Adler und Otto Hirsch ein jüdisches Lehrhaus in Stuttgart. Nach Verhaftung im Nationalsozialismus wanderte die Familie nach Palästina aus.

Der Mundartdichter Jakob Mayer und die Buchener Faschenacht: Jakob Mayer wurde am 5. Januar 1866 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Buchen im Odenwald geboren. Den Gemischtwarenladen in der Buchener Marktstraße führten Jakob und seine Schwester Helene nach dem Tod der Eltern weiter. Jakob Mayer war ein geselliger Mensch, der am regen Buchener Vereinsleben teilnahm und sich sehr für seine Heimat und die Brauchtumspflege interessierte. So gehörte er den Vorständen des Wandervereins Odenwaldklub, des Vereins Bezirksmuseum und der Buchener Casinogesellschaft an. Außerdem engagierte er sich im Vorstand der jüdischen Gemeinde. Anlässlich vieler großer und kleiner Ereignisse, Begebenheiten und Zusammenkünfte entstanden Gedichte und Lieder in Buchener Mundart. Die große Leidenschaft Jakob Mayers war die Buchener Faschenacht, die in den 20er-Jahren zusammen mit den Vereinsaktivitäten einen Aufschwung erlebte. Als treibende Kraft und Elferratspräsident trug Jakob Mayer mit Ideen, Witz und Liedern über viele Jahre zu deren Popularität bei. Zwei seiner erfolgreichsten Werke sind bis heute Bestandteil des närrischen Treibens. Neben dem Narrenmarsch Kerl wach uff verfasste er ein Gedicht auf den Buchener Blecker, einer zentralen Figur der Buchener Faschenacht. Jakob Mayer hatte im Lauf der Jahre mit zunehmenden Schwierigkeiten zu kämpfen. Nach dem Tod der Schwester musste das Geschäft geschlossen werden. Mit dem Nationalsozialismus kam der Ausschluss aus den Vereinsaktivitäten und die gesellschaftliche Isolierung. Am 11. Juni 1939 setzte er seinem Leben ein Ende.

Zur Familie von Hertha Nathorff, geborene Einstein (1895-1993), gehörten der Nobelpreisträger Albert Einstein, der Musikforscher Alfred Einstein und der Hollywood-Filmproduzent Carl Laemmle. Sie war eine der ersten Abiturientinnen in Ulm und studierte Medizin in Heidelberg, München und Freiburg. 1923 übernahm sie die Leitung des Entbindungs- und Säuglingsheimes des Deutschen Roten Kreuzes in Berlin. Im gleichen Jahr heiratete sie den Arzt Erich Nathorff. Beide verloren 1933 ihre Kassenzulassung und 1938 die Approbation. 1939 emigrierte die Familie nach New York. Das Tagebuch Hertha Nathorffs, das in dieser Zeit entstand, zählt bis heute zu den bedeutendsten Erinnerungswerken der Zeitgeschichte und protokolliert den jüdischen Alltag in Berlin ebenso wie den Emigrantenalltag in New York: mit permanentem Geldmangel, Sprachproblemen, bürokratischen Schikanen und schwieriger Jobsuche.

Lotte Paepcke, geborene Mayer (1910-2000), begann nach dem Abitur Rechtswissenschaften zu studieren aber keinen Abschluss machen, da die Examen in den Beginn der NS-Zeit fielen. Die 1934 geschlossene Ehe mit dem Philologen Dr. Ernst Paepcke schützte sie vor einer Deportation, doch sie musste Zwangsarbeit leisten. 1942 kehrte sie mit ihrem Sohn nach Freiburg zurück und lebte in verschiedenen Verstecken, bis sie im Stegener Ordenshaus bei Pater Dr. Heinrich Middendorf unterkamen. Ihre traumatischen Erlebnisse verarbeitete sie in Texten und Gedichten. Weitgehend in Vergessenheit geraten sind die Probleme von Paaren, die durch die Schrecken und Traumata des Krieges hervorgerufen wurden. Für sie richtete eine überparteiliche Frauengruppe in Karlsruhe eine Stelle ein, in der Lotte Paepcke ab 1951 als erste Beraterin tätig war.

Jacob Picard (1883-1967) wurde in Wangen bei Öhningen geboren. Neben der Tätigkeit als Rechtsanwalt hatte er seine Liebe zur Schriftstellerei nicht aufgegeben. Ebenso ließen ihn die Erinnerung an seine Jugend auf der Höri und das Leben der alemannisch-jüdischen Landbevölkerung nicht los. 1933 zog Picard nach Berlin, wo er sich unter dem auferlegten Berufsverbot und schwieriger werdenden Bedingungen diesem Thema zuwandte. Bis 1936 erschienen mehrere längere Novellen, die unter anderem den Beifall Hermann Hesses und Stefan Zweigs fanden. Picard beschrieb das Leben in den Dörfern der Region Hochrhein und Bodensee, wo Juden wie Christen ein einfaches, an religiösen Grundsätzen orientiertes Auskommen hatten. 1940 konnte er in die USA emigrieren. Als Picard Deutschland 1957 erstmals wieder besuchte, fand er ein anderes, von der Kultur des Ostens bestimmtes Judentum vor, das drohte in Vergessenheit zu geraten.

Das Engagement von Sofie Reis (1867-1930) und ihrer Schwester Helene ist eng mit dem Engagement für Frauenbildung in Württemberg verbunden. Sofie Reis besuchte das „Höhere Stuttgarter Lehrerinnenseminar“ und machte dort ihren Abschluss. Statt als Lehrerin zu arbeiten war sie in verschiedenen Frauenvereinen tätig und widmete sich intensivem „Networking“, in dessen Mittelpunkt die Förderung von schulischen und beruflichen Bildungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen stand. Eine ihrer wichtigsten Aufgaben war die Leitung einer zunächst privaten Rechtsschutzstelle für Frauen, aus der die amtliche Berufsberatung für Frauen hervorging.

Johannes Reuchlin (1455-1522) war einer der bedeutendsten Humanisten, gebildet, weitgereist und tolerant. Seine Studienjahre verbrachte er in Deutschland, Frankreich und Italien. Spätere Reisen brachten ihn mit bedeutenden italienischen Humanisten zusammen sowie dem kaiserlichen Leibarzt Jacob ben Jechiel, der ihn Hebräisch lehrte. All dies trug zu einer Geisteshaltung bei, die sich an Kenntnissen und nicht an Meinungen zu orientieren versuchte und Andersartigkeit, auch die jüdische Religion, aus Sicht der jeweils eigenen Perspektive respektierte. In Württemberg wirkte Reuchlin als Berater von Eberhard im Bart, später als Richter des Schwäbischen Bundes. Während seiner letzten Lebensjahre erlebte er eine Hetzkampagne gegen jüdische Schriften, der er mit den prägnanten Worten begegnete: "Verbrennt nicht, was ihr nicht kennt!" Eines seiner bedeutendsten Werke ist der „Augenspiegel“.

1927 veröffentlichte Berthold Rosenthal (1875-1957) die „Heimatgeschichte der badischen Juden“. Das rund 500 Seiten umfassende Werk, das unter Einbeziehung älterer Grundlagen erschien, umfasst einen Zeitraum von den Anfängen jüdischen Lebens bis zur Weimarer Republik. Es werden alle Territorien eingeschlossen, die einmal zu badischen Gebieten werden sollten. Berthold Rosenthal wurde 1875 in Liedolsheim bei Karlsruhe als Sohn eines Viehhändlers geboren. Nach einer Ausbildung am evangelischen Lehrerseminar in Karlsruhe sowie Unterricht bei Daniel Epstein, der am israelitischen Landesstift in Karlsruhe lehrte, arbeitete er als Religionslehrer und Grundschulleher an allgemeinen Schulen. Die „Heimatgeschichte“ sollte das Andenken an Dinge bewahren, die im Verschwinden begriffen waren und auch im Schulunterricht eingesetzt werden. Da die Unterlagen der jüdischen Gemeinden spätestens ab den Novemberpogromen von 1938 vernichtet wurden, kommt dem Werk eine besondere Bedeutung zu, umso mehr, da es aus einer innerjüdischen Perspektive geschrieben wurde.

Der aus dem Elsass stammende Josel von Rosheim (um 1478–1554) gilt als der „bedeutendste Fürsprecher der Juden“ im Heiligen Römischen Reich. Als unermüdlicher und geschätzter Unterhändler vermittelte er in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zwischen Juden und Christen. Er intervenierte bei drohenden Vertreibungen seiner jüdischen Glaubensgenossen durch Fürsten oder Städte beim Kaiser oder beim Reichskammergericht, setzte sich für gefangene Juden ein oder organisierte als Anwalt praktische Hilfe, etwa in Form von Geleitbriefen.

Biographien S - W

Max Silberstein (1897-1966) war einer der Wenigen, die schon kurz nach dem Ende der NS-Herrschaft zurückkehrten. Vor Inkrafttreten des Berufsverbots hatte Silberstein als Richter und Landgerichtsrat am Landgericht Mannheim gearbeitet. Nach mehrfacher Verhaftung und Flucht, zuletzt im Winter 1945, war er für das US-Hauptquartier in Nizza tätig. Im Sommer 1946 erhielt Silberstein auf eigenen Wunsch seine ursprüngliche Stelle als Landgerichtsdirektor in Mannheim, damals Württemberg-Baden, zurück und wurde 1949 zum Präsidenten befördert. Sein besonderes Anliegen war die Ausbildung junger Juristen. Anfang der 60er-Jahre gehörte er der vom Landtag eingesetzten Dreierkommission an, die die Vorwürfe gegen Richter und Staatsanwälte wegen ihrer Rolle in Sondergerichten überprüfte. Sein persönliches Umfeld würdigte seine liberale und humane Haltung.

Edith Stein (1891-1942) stammte aus einer jüdisch-orthodoxen Familie in Breslau. Sie studierte unter anderem in Göttingen und Freiburg im Breisgau, Edmund Husserl promovierte. 1922 trat sie zum römisch-katholischen Glauben über. Sie arbeitete als Lehrerin, setzte sich für die Mädchenbildung ein und pflegte engen Kontakt zur Abtei Beuron. 1933 trat Edith Stein den Karmelitinnen bei, ab 1938 lebte sie im Karmel von Echt in Holland. Eine nach der Besetzung Hollands geplante Übersiedlung in die Schweiz konnte nicht mehr stattfinden. Auf einen Protest des Erzbischofs von Utrecht, der die Massendeportationen von Juden anprangerte, wurden Anfang August an die 250 zum Katholizismus übergetretene Juden verhaftet, darunter auch Edith Stein und ihre Schwester. Edith Stein starb vermutlich am 9. August in Auschwitz-Birkenau.

Rahel Goitein (1880-1963), Tochter einer Karlsruher Rabbiner-Familie, war 1899 die erste weibliche Abiturientin in Deutschland. Als sie daraufhin in Heidelberg Medizin zu studieren begann, gehörte sie auch zu den ersten Studentinnen der Uni Heidelberg. 1905 heiratete sie den Juristen und Zionisten Elias Straus und arbeitete als niedergelassene Ärztin in München. Von 1909 bis 1922 kamen fünf Kinder zur Welt. Rahel Straus engagierte sich in der Frauen- und Sozialarbeit. Sie war Vizepräsidentin des Jüdischen Frauenbundes und leitete in München verschiedene zionistische Frauengruppen. 1933 starb Elias Straus und Rahel emigrierte mit zwei Kindern nach Palästina. 1952 gründete sie die israelische Gruppe der Women’s International League for Peace and Freedom und wurde später deren Ehrenpräsidentin.

Nur wenige Figuren aus der württembergischen Geschichte dürften so bekannt sein wie Joseph Süß Oppenheimer (1698-1738), genannt Jud Süß; und kaum eine andere Person wird so überlagert von den Bildern, welche die Mit- und Nachwelt über sie und die Geschehnisse verbreitete. 1732 wurde Oppenheimer Hof- und Kriegsfaktor des Prinzen Karl Alexander von Württemberg, der ein Jahr später auf den württembergischen Thron gelangte. Bald stieg er zum geheimen Finanzrat auf, was mit dem Gratial- sowie dem Fiskalamt verbunden war, die beide wegen Korruptionsverdacht einen überaus schlechten Ruf hatten. Oppenheimer wurde außerdem für die drückenden Steuerlasten verantwortlich gemacht. Als Karl Alexander 1737 überraschend starb, wurde buchstäblich kurzer Prozess gemacht. Das Todesurteil, das am 4. Februar 1738 vorstreckt wurde, erging unter Auslassung sonst üblicher Rechtswege.

In der Großen Heidelberger Liederhandschrift „Codex Manesse“ erscheinen zwölf Sangsprüche des Minnesängers Süßkind der Jude von Trimberg. Die bildliche Darstellung zeigt einen vornehmen Mann mit reichem Pelzkragen und dem für Juden typischen Hut. Ursprünglich zeigte dieser einen gehobenen Status an. Erst mit den Kleiderordnungen wurde daraus ein diskriminierendes Symbol. Mit der Erwähnung im „Codex Manesse“, dessen Entstehung in die Zeit zwischen 1250 und 1300 fällt, ist Süßkind von Trimberg der einzige jüdische Autor in der Geschichte der deutschen mittelalterlichen Dichtung. Die weitere Suche nach seiner Identität erbrachte bislang nur wenige Hinweise. So steht die Herkunftsbezeichnung Trimberg, nahe der Trimburg im bayerischen Landkreis Kissingen, möglicherweise in Verbindung mit einem Aufenthalt Süßkinds am Hof des Bischofs von Würzburg.

Gerda Taro alias Gerta Pohorylle (1910-1937) war die Tochter einer Familie, die aus Österreich-Ungarn nach Württemberg einwanderte. Kaum bekannt ist, dass die Fotografin, die wegen ihrer Bilder aus dem Spanischen Bürgerkrieg bekannt wurde, in Stuttgart zur Welt kam. Hier besuchte Gerta die Königin Charlotte Realschule. Die Familie zog 1929 nach Leipzig. Nach dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns hatten sie die polnische Staatsangehörigkeit erhalten, was die im KPD-Umfeld engagierte Gerta 1933 vor der Verfolgung bewahrte. Im Pariser Exil lernte sie André Friedmann kennen, der ihr das Fotografieren beibrachte. Als Fotojournalisten, nun Robert Capa und Gerda Taro, berichteten sie über den 1936 ausgebrochenen Spanischen Bürgerkrieg. Gerda Taro starb im Juni 1937 in Madrid, als sie während eines Angriffs der „Legion Condor“ von einem republikanischen Panzer überrollt wurde. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof Père-Lachaise in Paris.

1931 erhielt der Biochemiker Otto Heinrich Warburg (1883-1970) den Nobelpreis für Medizin. Er wuchs in Freiburg auf und absolvierte dort sein Studium in Chemie sowie Medizin, das ihn außerdem nach Berlin, München und Heidelberg führte. Beide Fächer schloss er mit der Promotion ab. 1918 wurde er Abteilungsleiter am Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie in Berlin-Dahlem. Seine Forschungen galten der Zellatmung und dem Gewebestoffwechsel. Im dem Zusammenhang ging er auch der Entstehung von Krebs nach. Schon frühzeitig setzte er sich hier für Vorbeugemaßnahmen ein, die sich auf die Einschränkung des Rauchens, von Nahrungsmittelzusätzen sowie die Abgasemission bezogen. Als Sohn eines jüdischen Vaters durfte Warburg ab 1934 keine Lehrveranstaltungen mehr abhalten, jedoch weiter forschen. Das wurde auch nach 1941 trotz seiner regimekritischen Einstellung aufrechterhalten.

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